AZ-Interview mit Sachsens Ministerpräsident
Was setzen Sie der AfD entgegen, Herr Kretschmer?
23. August 2019, 6:15 Uhr aktualisiert am 23. August 2019, 6:15 Uhr
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (44) ist Sachsens Ministerpräsident und Vorsitzender des sächsischen CDU-Landesverbandes. Bis 2017 saß er im Bundestag, wo er unter anderem für die Aufgabenbereiche Bildung und Forschung zuständig war. Was sagt er zum Thema AfD?
AZ: Herr Kretschmer, 30 Jahre nach der Wende geht es Sachsen gut. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fünf Prozent, Städte und Dörfer sind schmuck hergerichtet. Leipzig und Dresden strahlen über Sachsen hinaus. Warum, fragt man sich im Westen, rennen so viele Sachsen der AfD hinterher?
Michael Kretschmer: Weil es dieser Partei doch gelingt, im Internet sehr stark zu mobilisieren. Es gibt eine große WhatsApp- und Facebook-Gemeinde, die regelmäßig mit selektiven Botschaften befeuert wird. Das ist ein Zerrbild der Gesellschaft und auch der Situation bei uns im Lande, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Dennoch empfinden das viele Leute als authentisch. Es ist sehr schwer, das aufzubrechen. Das gelingt nur durch ganz viele persönliche Gespräche. Das haben wir die letzten 18 Monate gemacht, und das werden wir weiter machen.
Die CDU regiert in Sachsen seit 30 Jahren. Haben Sie und Ihre Partei den Kontakt zu den Wählern verloren und den Frust nicht mehr gespürt?
Sicherlich werden, wo gearbeitet wird, auch Fehler gemacht. Das haben wir angepackt. Wir stellen neue Lehrer ein und verbeamten sie. Wir stellen 1000 neue Polizisten ein und sorgen für mehr Sicherheit. Wir stärken den ländlichen Raum durch eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen, den flächendeckenden Breitbandausbau oder mehr Buslinien.
Wie wollen Sie die Wähler am 1. September davon überzeugen, das Kreuz bei Ihnen zu machen? Was sind Ihre Kernangebote?
Wir haben für den ländlichen Raum ein richtiges Investitions- und Zukunftspaket. Und wir wollen das sicherste Bundesland Deutschlands werden.
Ihr Landesverband gilt als der konservativste der CDU. Dort grenzt man sich in Teilen nicht so deutlich von Rechtsradikalen ab, wie es notwendig wäre.
Extremismus, vor allem Rechtsextremismus, ist die größte Bedrohung für die Demokratie. Alle Landtagsabgeordneten haben sich festgelegt: Eine Koalition mit der AfD geht nicht.
Ihr Berater, der Politikwissenschaftler Werner Patzelt, empfiehlt, nach der Wahl eine Minderheitsregierung ins Auge zu fassen. Die CDU würde sich im Landtag für ihre Projekte wechselnde Mehrheiten suchen. Gesetze könnten dann mit den Stimmen mit der AfD beschlossen werden.
Erstens wird Patzelt falsch interpretiert. Er steht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Und es gilt für ihn wie für andere: Man muss diskutieren. Es ist sein Recht, Vorschläge zu machen. Eine Minderheitsregierung ist nicht mein Weg. Und auch das wird in der Partei geteilt. Unser Ziel ist eine stabile Regierung mit einer klaren Mehrheit.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat eine grüne Wende eingeschlagen. Sie brauchen die Grünen wahrscheinlich nach der Wahl als Koalitionspartner. Warum sind Sie nicht auf den grünen Zug aufgesprungen?
Ohne eigene Kohlekraftwerke kann man leicht den Ausstieg 2030 fordern. Mit ihrem Ziel, aus der Kohleverstromung in ganz kurzer Zeit auszusteigen, würden die Grünen diesem Land großen Schaden zufügen. Ich meine damit nicht nur Sachsen, sondern ganz Deutschland. Der Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohle ist ein riesiges technologisches Projekt. Das kann man gewinnen, aber dafür muss man investieren in Forschung und Entwicklung. Wir brauchen eine andere Energieform, die genauso preiswert ist wie das, was wir jetzt haben.
Wenn Sie nach dem ersten September doch zusammenkommen mit den Grünen, weil es anders nicht reicht - was machen Sie dann?
Ich spekuliere nicht darüber. Wir haben die ganzen Umweltbelastungen aus der DDR-Zeit nach 1990 beseitigt. Die Elbe war ein toter Fluss. Wir sind die Partei des Klimaschutzes. Aber wir machen es nicht mit Verboten, sondern mit Innovationen.
Ist die Große Koalition in Berlin gut für Sie im Wahlkampf - oder vergrault sie Wähler?
Wir brauchen eine Koalition, die zusammenhält, die Dinge klärt. Das haben wir hier in Sachsen mit der SPD sehr gut gemacht. Es ist schade, dass gute Entscheidungen aus Berlin nicht zur Kenntnis genommen werden, weil der Streit dominiert.
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