Gipfel im Kanzleramt
Vor dem Flüchtlingsgipfel: Hoffnung auf EU-Reform
7. Mai 2023, 10:00 Uhr
Seit Jahresbeginn haben rund 100.000 Menschen in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Das ist deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum. Da im Moment nichts darauf hindeutet, dass sich dieser Trend in den nächsten Monaten umkehren wird - und weil die Kommunen auch noch Wohnraum sowie Schul- und Kita-Plätze für mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bereitstellen müssen - werden Vertreter von Bund und Ländern an diesem Mittwoch wieder einmal über Flüchtlingspolitik und Finanzen sprechen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Darüber, dass Asylsuchende, die Schutz brauchen, in Deutschland gut untergebracht und versorgt werden sollen, ist man sich einig. Auch das Ziel, die Zahl der unerlaubten Einreisen zu reduzieren, wird im Prinzip von allen geteilt. Doch da hört die Einigkeit auch schon auf.
Die Länder und Kommunen wollen, dass der Bund dafür sorgt, dass weniger Menschen, die in anderen EU-Staaten bereits registriert oder sogar als Flüchtlinge anerkannt wurden, nach Deutschland kommen. Außerdem fordern sie mehr finanzielle Unterstützung. Allerdings sitzen die Vertreter der Kommunen bei den Beratungen am Mittwoch nicht mit am Tisch. Deshalb gibt es am Montag eine Vorbesprechung der Länder mit den kommunalen Spitzenverbänden.
Im März sprachen sich die Ministerpräsidenten für eine Rückkehr zum sogenannten Vier-Säulen-Modell aus. Das gab es bis Ende 2021. Es sah vor, dass der Bund 670 Euro für jeden Geflüchteten zahlte sowie eine Pauschale für flüchtlingsbezogene Zwecke. Außerdem übernahm er die Kosten für die unbegleiteten minderjährigen Ausländer. Denn für sie gibt es besondere Vorgaben in Bezug auf Unterkunft und Betreuung. Außerdem trug der Bund damals die Kosten für die Unterbringung nach der Erstaufnahme.
Sie will nicht zurück zur Pro-Kopf-Pauschale. Außerdem betont sie, im Bundeshaushalt sei kein Spielraum für weitere Hilfen. Ihr Hauptargument: Den Ländern und Gemeinden gehe es insgesamt finanziell besser als dem Bund. Für 2023 hatte der Bund im vergangenen Jahr 1,5 Milliarden Euro für die Geflüchteten aus der Ukraine zugesagt, sowie eine allgemeine flüchtlingsbezogene Pauschale in Höhe von 1,25 Milliarden Euro. Außerdem zahlt der Bund für ukrainische Kriegsflüchtlinge und für anerkannte Flüchtlinge aus anderen Staaten, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten, Sozialleistungen. Er finanziert außerdem Sprach- und Integrationskurse und hat den Ländern für die Unterbringung der Schutzsuchenden Immobilien mit etwa 70 000 Schlafplätzen überlassen.
Doch. Allerdings müssten die teils von den Ländern umgesetzt werden. Das gilt etwa für die Digitalisierung in den Ausländerbehörden und eine schnellere Bearbeitung von Asylklageverfahren.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will sich nach Abstimmung mit den Koalitionspartnern bei den laufenden Beratungen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) dafür einsetzen, dass Asylsuchende künftig an den EU-Außengrenzen verlässlicher als bisher registriert und identifiziert werden. Zu den in Brüssel diskutierten Vorschlägen gehört auch, dass diejenigen, die keine Aussicht auf Schutz haben, die EU nach einer schnellen Prüfung direkt wieder verlassen sollen. Staaten mit Außengrenzen wie Italien oder Griechenland werden so einem Verfahren, bei dem die Asylsuchenden in der Nähe der Grenze über Wochen festgehalten werden, aber wohl nur zustimmen, wenn sich die Mitgliedstaaten auf einen Verteilmechanismus für alle, die bleiben dürfen, einigen. Ob das vor der Europawahl 2024 gelingt, ist ungewiss.
Ungeachtet der Kritik aus den Reihen der Grünen hat Faeser, die Spitzenkandidatin der SPD für die hessische Landtagswahl ist, die stationären Kontrollen an der Landgrenze zwischen Deutschland und Österreich verlängert. Mit Unterstützung des Sonderbevollmächtigten Joachim Stamp (FDP) will die Bundesregierung zudem sogenannte Migrationsabkommen mit Herkunftsstaaten schließen. Diese Staaten sollen bei der Abschiebung ihrer Staatsbürger, die ausreisepflichtig sind, aber Deutschland trotzdem nicht verlassen, besser kooperieren. Im Gegenzug soll es für sie Erleichterungen geben, etwa bei Visa für Arbeitskräfte oder Studierende. Auch wird überlegt, Georgien und die Republik Moldau auf die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsländer zu setzen. Das sind Länder, bei denen vermutet wird, dass es in der Regel weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung gibt. Das soll schnellere Asylentscheidungen und Abschiebungen ermöglichen.
Die Flüchtlinge aus der Ukraine werden nach einer EU-Richtlinie, die für plötzliche große Fluchtbewegungen geschaffen worden war, aufgenommen. Sie müssen also keinen Asylantrag stellen und bekommen gleich eine Arbeitserlaubnis. Zwar kommen immer noch Menschen aus der Ukraine nach Deutschland, doch es kehren auch welche zurück oder ziehen weiter in andere Staaten. Die Zahl von etwas mehr als einer Million Ukrainerinnen und Ukrainern, die im Ausländerzentralregister gespeichert sind, ist daher seit Monaten relativ stabil.
In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 101 981 Asylerstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) entgegengenommen. Das ist eine Zunahme der Antragszahlen um rund 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 7,5 Prozent der Anträge betrafen in Deutschland geborene Kinder im Alter unter einem Jahr.
Hauptherkunftsländer waren seit Jahresbeginn Syrien, Afghanistan und die Türkei. Die sogenannte Gesamtschutzquote lag in diesem Zeitraum bei rund 52 Prozent. Das bedeutet, dass etwas mehr als die Hälfte aller Antragsteller entweder einen Schutzstatus erhalten hat - zum Beispiel als Flüchtling nach der Genfer Konvention - oder wegen eines Abschiebungsverbots nicht ausreisen muss. Für Menschen aus Syrien lag diese Quote bei 84 Prozent, für türkische Staatsbürger bei 16 Prozent. Aus Deutschland wird zwar niemand nach Syrien abgeschoben, es kommt aber vor, dass ein Syrer in ein anderes EU-Land geschickt wird, das nach den sogenannten Dublin-Regeln für ihn zuständig ist.
Sie werden, wenn sie nicht freiwillig das Land verlassen, abgeschoben, sofern das praktisch möglich ist und keine Gründe dagegen sprechen, etwa gesundheitliche Probleme. Im Jahr 2022 waren 12 945 Menschen aus Deutschland abgeschoben worden. Darunter waren 4158 Ausländer, die aufgrund der Dublin-Regeln in einen anderen EU-Staat gebracht wurden. Laut Ausländerzentralregister hielten sich zum Stichtag 31. Dezember 2022 in Deutschland 304 308 vollziehbar ausreisepflichtige Personen auf. Iraker stellten im vergangenen Jahr unter ihnen die größte Gruppe, gefolgt von Menschen aus Afghanistan, Nigeria und der Russischen Föderation.
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