Zu Besuch
Selenskyj: Deutschland ist ein "wahrer Freund"
14. Mai 2023, 12:08 Uhr
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Deutschland bei seinem ersten Besuch seit Beginn des russischen Angriffskriegs für die breite Unterstützung gedankt.
"In der schwierigsten Zeit in der modernen Geschichte der Ukraine hat sich Deutschland als unser wahrer Freund und verlässlicher Verbündeter erwiesen, der im Kampf für die Verteidigung von Freiheit und demokratischen Werten entschieden an der Seite des ukrainischen Volkes steht", schrieb Selenskyj am Sonntag beim Empfang durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Englisch ins Gästebuch. Er ergänzte: "Gemeinsam werden wir gewinnen und den Frieden nach Europa zurückbringen."
Empfang durch Scholz mit militärischen Ehren
Im Anschluss an das Treffen mit Steinmeier empfing Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Selenskyj mit militärischen Ehren im Kanzleramt. Selenskyj legte seine rechts Hand aufs Herz und sang mit, als die ukrainische Nationalhymne gespielt wurde.
In Deutschland war Selenskyj zuletzt wenige Tage vor Kriegsbeginn im Februar 2022 bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Die ersten zehn Monate nach der russischen Invasion hatte er das Land gar nicht mehr verlassen. Das änderte er Ende vergangenen Jahres. Inzwischen war der ukrainische Präsident schon in Washington, Warschau, Paris, London, Brüssel, Helsinki und Den Haag.
Nach Kriegsbeginn hatte Selenskyj der Bundesregierung Zögerlichkeit bei den Waffenlieferungen in die Ukraine vorgeworfen. Spätestens seit der Zusage von Leopard-2-Kampfpanzern hat sich das aber gelegt. Deutschland gehört zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine - sowohl militärisch als auch finanziell. Seit Kriegsbeginn genehmigte die Bundesregierung Waffenlieferungen für 2,75 Milliarden Euro.
Neues Milliarden-Programm zur Unterstützung mit Waffen
Vorbereitet wurde der Besuch in Deutschland mit der Zusage weiterer militärischer Unterstützung für die Ukraine im Wert von zusätzlichen 2,7 Milliarden Euro. Unter anderem sollen 20 weitere Marder-Schützenpanzer, 30 Leopard-1-Panzer und vier Flugabwehrsysteme Iris-T SLM von der deutschen Rüstungsindustrie bereitgestellt werden, wie das Verteidigungsministerium am Samstag mitteilte.
Selenskyj dankt Bundespräsident Steinmeier persönlich
Ausdrücklich bedankte sich Selenskyj bei Steinmeier persönlich für dessen Unterstützung. Er schrieb: "Vielen Dank, Herr Bundespräsident, für Ihre persönliche Unterstützung der Ukraine und Gastfreundschaft". Er dankte auch dem deutschen Volk für dessen "fantastische Solidarität". Auf Deutsch ergänzte er: "Danke Deutschland!"
Steinmeier hatte Selenskyj am Schloss Bellevue, dem Amtssitz des deutschen Staatsoberhauptes, mit einem Lächeln empfangen. Der ukrainische Präsident erschien in schwarzem Pullover und olivgrüner Hose - so wie bei vielen öffentlichen Auftritten. Er traf in einem Autokonvoi ein. Zuvor war erwogen worden, dass Selenskyj aus Sicherheitsgründen mit einem Hubschrauber zu dem Treffen geflogen werden könnte. Nach dem Eintrag Selenskyjs ins Gästebuch zog sich Steinmeier mit seinem ukrainischen Gast zu einer Unterredung zurück. Auf beiden Seiten sollten je vier Berater dabei sein, hieß es.
Zunächst nicht einfaches Verhältnis Steinmeier-Selenskyj
Das Verhältnis zwischen Steinmeier und Selenskyj war zunächst nicht einfach - ein Besuch des deutschen Staatsoberhaupts in der Ukraine hatte erst Ende Oktober im dritten Anlauf geklappt. Kurz zuvor musste ein Besuchstermin aus Sicherheitsgründen kurzfristig verschoben werden. Im April 2022 hatte Steinmeier eine gemeinsame Reise mit den Staatspräsidenten aus Polen, Lettland, Litauen und Estland in letzter Minute absagen müssen. Kiew hatte Steinmeier damals signalisiert, dass er nicht willkommen sei. Dem früheren SPD-Außenminister Steinmeier wurde in der Ukraine lange seine russlandfreundliche Politik angekreidet.
Karlspreis für Selenskyj in Aachen
Am Sonntagnachmittag sollen Selenskyj und das ukrainische Volk in Aachen mit dem Karlspreis für Verdienste um die Einheit Europas geehrt werden. Scholz wird die Laudatio halten. Als weitere Redner sind EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki dabei. Es wurde erwartet, dass der Kanzler und Selenskyj gemeinsam von Berlin nach Aachen fliegen.
In der Begründung für die Preisverleihung wurde die Rolle Selenskyjs bei der Abwehr des russischen Angriffskriegs hervorgehoben: Er sei nicht nur der Präsident seines Volkes und der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee. Er sei "auch der Motivator, Kommunikator, der Motor und die Klammer zwischen der Ukraine und der großen Phalanx der Unterstützer".
Voriges Jahr hatten die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja und zwei Mitstreiterinnen den Karlspreis bekommen, 2021 der rumänische Präsident Klaus Iohannis. Auch Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Papst Franziskus sind Preisträger.
Selenskyj mit Flugbereitschaft von Rom nach Berlin
Selenskyj war am frühen Sonntagmorgen aus Rom kommend zu seinem ersten Besuch in Deutschland nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine eingetroffen. Ein Airbus A319 der Flugbereitschaft der Luftwaffe hatte Selenskyj am Samstagabend in Rom abgeholt, wie die Luftwaffe auf Twitter mitteilte. Zwei Eurofighter seien vom Fliegerhorst Lechfeld in Bayern gestartet und "eskortierten ihn sicher nach Berlin", hieß es weiter. Die Luftwaffe veröffentlichte zwei Fotos - eines aus dem Fenster des Flugzeugs mit Blick auf einen der begleitenden Kampfjets, das andere mit Blick auf den Airbus.
"Bereits in Berlin", twitterte Selenskyj kurz nach seiner Ankunft. "Waffen. Starkes Paket. Luftverteidigung, Wiederaufbau. EU. Nato. Sicherheit.", fügte er hinzu - Stichworte für die möglichen Gesprächsthemen in Berlin. Das genaue Programm Selenskyjs war aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehalten worden.
Sicherheitsmaßnahmen erinnern an Besuch von US-Präsidenten
Wegen des Selenskyj-Besuches waren die Sicherheitsmaßnahmen in Berlin verstärkt worden - sie erinnerten an jene, die etwa auch beim Besuch eines US-Präsidenten gelten. Durch eine sogenannten Allgemeinverfügung galten umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen und Verkehrssperrungen. Besonders betroffen waren die Bereiche rund um das Regierungsviertel in Mitte. Auch das Befahren der Spree war unter anderem in Höhe des Bundeskanzleramtes nicht mehr möglich. Auf dem Dach des Kanzleramts waren Scharfschützen positioniert.