Regierungskrise in Österreich
Kanzler Kurz sieht weiter keinen Grund für Rücktritt
8. Oktober 2021, 20:02 Uhr aktualisiert am 8. Oktober 2021, 20:02 Uhr
Die Grünen gehen immer mehr auf Distanz zum konservativen Regierungschef. Wegen Korruptionsvorwürfen gegen Kurz steht die Koalition auf der Kippe. Grüne und Opposition loten nun Optionen aus.
Trotz der Regierungskrise in Österreich sieht Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) weiterhin keinen Grund für einen Rücktritt. Er und seine Partei seien "handlungsfähig und vor allem auch handlungswillig", sagte Kurz am Freitagabend. Er wolle alles tun, um politische Stabilität zu gewährleisten. Dazu werde er in einem engen Dialog mit dem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen bleiben.
Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat zuvor in der Regierungskrise alle Parteien aufgefordert, zuallererst an das Wohl des Landes und nicht an eigene Interessen zu denken. "Österreich kann sich jetzt keine Egoismen leisten", sagte das Staatsoberhaupt am Freitagabend in einer kurzen Rede an die Nation. Ohne Kanzler Sebastian Kurz und dessen ÖVP ausdrücklich zu nennen, ließ er seinen Unmut über deren Verhalten erkennen. Zwar hätten Beschuldigte ein Recht auf die Unschuldsvermutung, "aber auch die Bürgerinnen und Bürger Österreichs haben Rechte, unter anderem jenes auf eine handlungsfähige Regierung".
"Im Raum stehen schwere Anschuldigungen", sagte der Präsident. Es entstehe ein "Sittenbild, das der Demokratie nicht gut tut". Er habe andere Erwartungen an das Verhalten von politisch Verantwortlichen, fügte er hinzu. Generell betonte das Staatsoberhaupt: "Ich werde mit Argusaugen darüber wachen, dass die Handlungsfähigkeit und Integrität aller Institutionen unserer Republik gewährleistet ist".
Grüne wollen "untadelige Person" statt Kurz
In Österreich scheint der Riss zwischen den beiden Regierungsparteien unüberbrückbar. Die Grünen stellten am Freitag klar, dass eine Fortsetzung ihrer Koalition mit der konservativen ÖVP angesichts der schweren Korruptionsvorwürfe gegen Kanzler Sebastian Kurz nur ohne ihn möglich sei.
"Es ist ganz klar, dass so jemand nicht mehr amtsfähig ist", sagte die grüne Fraktionschefin Sigrid Maurer in Wien. Die ÖVP sei nun aufgefordert, eine "untadelige Person" zu nominieren, die die Regierung weiterführen könne. Zuvor hatten die Grünen die Handlungsfähigkeit von Kurz nur infrage gestellt.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kurz und einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue. Das Team soll den Aufstieg von Kurz an die Spitze von Partei und Staat seit 2016 durch geschönte Umfragen und gekaufte Medienberichte abgesichert haben. Dafür seien Steuermittel geflossen. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, die am Mittwoch nach einer Razzia im Bundeskanzleramt bekanntgeworden waren.
Misstrauensantrag am Dienstag
Am kommenden Dienstag will die Opposition bei einer Sondersitzung des Parlaments einen Misstrauensantrag gegen Kurz einbringen. Aufgrund der bisherigen Äußerungen gilt es als wahrscheinlich, dass die Grünen als derzeitiger Koalitionspartner der ÖVP dem Sturz von Kurz zustimmen, falls er nicht zuvor zurücktritt.
Kurz wurde schon einmal per Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt: Im Mai 2019 stimmte eine Mehrheit im Parlament gegen den ÖVP-Chef und seine gesamte Regierung. Damals folgten Neuwahlen, die Kurz und seine Partei deutlich gewannen.
Für einen Rücktritt des Kanzlers noch vor einem weiteren Misstrauensvotum gab es zuletzt keine Anzeichen. Nach Solidaritätsbekundungen der Teilorganisationen, Länderchefs und Minister der ÖVP versicherte am Freitag auch die Fraktion dem Kanzler ihre Loyalität: "Eine Regierungsbeteiligung der Österreichischen Volkspartei ohne Bundeskanzler Sebastian Kurz wird vom Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei gänzlich ausgeschlossen."
Am Freitag begannen die Grünen Gespräche mit allen Parlamentsparteien, um künftige Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Für eine mögliche Mehrparteienregierung ohne die Beteiligung der ÖVP bräuchten die Grünen allerdings nicht nur die Stimmen der sozialdemokratischen SPÖ und der liberalen Neos, sondern auch jene der rechten FPÖ.
FPÖ fordert Gespräche auf Augenhöhe
Herbert Kickl, der Chef der FPÖ, signalisierte, dass seine Partei eine aktive Rolle in solch einer Regierung einfordern werde. "Ich will Gespräche auf Augenhöhe haben und nicht eine Vorgangsweise, bei der sich mehrere Parteien etwas ausmauscheln und dann kommt man zu den Freiheitlichen und sagt, wir sollen das Ganze unterstützen", sagte er bei einer Pressekonferenz. Während Grüne, SPÖ und Neos derzeit keine Neuwahlen gegen den bislang populären Kurz anstreben, schloss Kickl einen Urnengang als Option nicht aus.
Um die politische Situation zu sondieren, führte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Freitag weitere Gespräche mit Parteichefs. Das Staatsoberhaupt müsste nach dem möglichen Platzen der Koalition einer anderen Politikerin oder einem Politiker den Regierungsauftrag erteilen und dabei die Mehrheitsverhältnisse im Parlament im Auge behalten.