AZ-Interview mit Grünen-Fraktionschef

Hartmann: "Jetzt kann Söder zeigen, wie ernst er es meint"


Ludwig Hartmann sitzt seit 2008 für die Grünen im Bayerischen Landtag.

Ludwig Hartmann sitzt seit 2008 für die Grünen im Bayerischen Landtag.

Von André Wagner

Der 40-Jährige Ludwig Hartmann ist seit Oktober 2008 Mitglied des Bayerischen Landtags und dazu Fraktionschef der bayerischen Grünen. Zudem ist er einer der vier Sprecher des Volksbegehrens "Rettet die Bienen". Bei vielen Themen der Grünen sieht er den Rückhalt der Bevölkerung. Über Ministerpräsident Markus Söder findet er kritische Worte.

München - Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann spricht im Interview mit der AZ über die Konsequenzen aus dem Bienen-Begehren, die Notwendigkeit eines dritten Nationalparks, Öko-Socken und Aldi-Hähnchen.

AZ: Herr Hartmann, wie umweltbewusst leben Sie privat?
LUDWIG HARTMANN: Ich bemühe mich, immer ökologischer zu leben. Mein Auto habe ich 2009 abgeschafft, zugunsten von Carsharing und Bahn. Mein letzter Flug in den Urlaub war im Sommer 2017. Bei Flugdienstreisen überlege ich zweimal: Musst Du da mit? Meine letzte Delegationsreise habe ich zum Beispiel 2012 gemacht, weil ich bei den nachfolgenden den Mehrwert nicht gesehen habe.

Und wann sind Sie tatsächlich zum letzten Mal geflogen?
Im Landtagswahlkampf hatte ich terminbedingt drei Flugsegmente: zwei Mal hin nach Berlin und einmal zurück. Wenn es sich zeitlich ausgeht, in die eine Richtung mit der Bahn zu fahren, wird der Flug nur für die andere Richtung gebucht.

Wie sieht’s bei Kleidung aus?
Da habe ich gerade angefangen: mit nachhaltig produzierten Socken aus Schweden. Und demnächst bin ich zum Einkleiden in Lauf in Mittelfranken, wo es einen Laden gibt, der fair gehandelte Businessmode anbietet.

Was kommt bei Hartmanns auf den Tisch? Nur Bio?
Ich bemühe mich, regional oder bio einzukaufen. Aber vor allem bemühe ich mich, kleinere Mengen zu kaufen, weil es mir ein Dorn im Auge ist, was alles weggeworfen wird. Wenn ich also die Wahl habe zwischen einem Riesen-Sack Bio-Birnen, die wir gar nicht aufessen können, und einer kleineren Menge regionaler Birnen, nehme ich die. Da gehe ich lieber häufiger einkaufen.

Hartmann: "Ich bemühe mich, regional oder bio einzukaufen"

Und welche Umwelt-Sünde haben Sie heuer schon begangen?
Ich habe zwei Mal Kaffee im Coffee-to-go-Becher gekauft, weil ich meinen Mehrwegbecher vergessen hatte. Da bin ich dann auch gleich drauf angesprochen worden, ob das wirklich sein müsse.

Sind Sie eigentlich noch geknickt, dass es die Grünen nicht in die Staatsregierung geschafft haben?
Persönlich nicht. Aber für unsere Themen tut es mir leid. Die Wissenschaft ist sich relativ einig, dass man beim Kampf gegen die Erdüberhitzung nur noch fünf bis zehn Jahre hat, um die Weichen anders zu stellen. Auch beim Kampf gegen das Artensterben sind die nächsten Jahre entscheidend. In dieser Hinsicht könnten die nächsten fünf Söder-Jahre verlorene Jahre für Bayern werden. Das ist traurig.

Streben Sie an, in fünf Jahren Ministerpräsident zu werden, um das Ruder dann womöglich noch herumzureißen?
Inhaltlich denke ich immer langfristig, aber meine Person ist dabei zweitrangig. Ich werde mich die nächsten Jahre auf meinen Fraktionsvorsitz konzentrieren und versuchen, die neue bayernweite Umweltbewegung zusammenzuhalten, die wir gerade zusammengeschmiedet haben. Für uns Landtags-Grüne wird die Konsequenz aus dem erfolgreichen Volksbegehren "Rettet die Bienen" sein, dass wir bei Gesetzentwürfen in diesem Bereich - sei es zu Flächenfraß, beim Klimaschutz oder einem Dritten Nationalpark - immer auch diese Brille aufsetzen: Wenn es im Parlament nicht geht, schauen wir doch, ob wir es letztendlich partnerschaftlich mit Gleichgesinnten per Volksbegehren auf den Weg bringen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in der Gesellschaft eine Mehrheit für die genannten Themen finden.

Hartmann: "Der Schulstreik fürs Klima wirkt und rüttelt ganz Europa auf"

Was macht Sie da so sicher?
Der Rückhalt in der Bevölkerung ist da! Die natürlichen Lebensgrundlagen werden nicht durch bloßes Reden und Freiwilligkeit geschützt. Das wissen die Menschen. Das Volksbegehren "Rettet die Bienen" hat gezeigt, dass sie konkrete Maßnahmen fordern. Genau wie die Schülerinnen und Schüler bei den Freitagsdemos. Auf deren Plakaten steht nicht "Schreibt Klimaschutz in die Verfassung", sondern "Früherer Kohleausstieg", "Flugverkehr reduzieren", "Kerosin besteuern" - konkrete Maßnahmen eben. Das müssen wir in der Politik umsetzen.

Würden Sie Ihrem Sohn - angenommen er wäre nicht drei, sondern schon 13 Jahre alt - eine Entschuldigung schreiben, wenn er freitags schwänzt und demonstriert?
Der Schulstreik fürs Klima wirkt und rüttelt ganz Europa auf. Die Regierungen müssen jetzt ihre Hausaufgaben beim Klimaschutz machen. Die Schulschwänzdebatte am späten Freitag finde ich kleinkariert. Da versucht die Generation "nach mir die Sintflut", vom eigenen Versagen abzulenken.

Hartmann: "Söder erscheint mir mehr als Taktiker, denn als Macher"

Nach dem Volksbegehren hat der Ministerpräsident einen Runden Tisch zum Artenschutz einberufen. Wie schwierig sind die Verhandlungen?
Vermittler Alois Glück möchte eine Lösung finden, davon bin ich fest überzeugt. Wie ernst es Markus Söder meint, ist schwer einschätzbar. Mir erscheint er mehr als Taktiker, denn als Macher. Beim Umweltschutz hilft aber kein taktisches Manöver. Das ist ein andauernder Arbeitsauftrag. Und Markus Söder ist bislang nicht dadurch aufgefallen, verlässlich an einem Thema dranzubleiben. Unser Ziel ist, die Tier- und Pflanzenwelt zu schützen und Vielfalt zurückzugewinnen. Dafür muss sich in der Agrarpolitik grundlegend etwas ändern. Das geht nur mit den Landwirten - aber nicht mit Kleinklein, einem Blühstreifen hier und einem dort. Wenn man das Volksbegehren sinnvoll ergänzen möchte, heißt das für mich: Volksbegehren 1:1 umsetzen - und einen Dritten Nationalpark für Bayern. Alle wissen, dass man für Artenvielfalt auch große, zusammenhängende Schutzgebiete als Rückzugsräume für unsere vom Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen braucht. Da kann Markus Söder zeigen, wie ernst er es meint.

Haben Sie ihm das gesagt?
Das sage ich in jeder dritten Landtagssitzung. Das ist ja kein Geheimwissen.

Hartmann will dritten Nationalpark in Bayern

Wie läuft es mit den Bauern?
In einem Bereich gebe ich den Landwirten absolut recht: Sie sind mit ihrem Berufsfeld in der Gesellschaft oft ziemlich an den Rand gedrückt worden. Das ist ungut. Da muss sich etwas ändern.

Wie wollen Sie das erreichen?
Wenn eine medizinische Therapie nicht so gut für den Menschen ist wie gedacht, wird man etwas Neues anwenden. Deshalb würde ich mir vom Bauernverband und seinen Funktionären wünschen, wenn das Wissen weiter ist - wie bei Glyphosat oder anderen Ackergiften -, einzusehen, dass man den Einsatz reduzieren muss; also zu einer Landwirtschaftspolitik zu kommen, die mit der Natur arbeitet, nicht gegen sie. Das ist doch auch im Interesse der Landwirte. Und dabei müssen wir sie unterstützen.

Die Bauern fürchten um die Fördergelder, die sie jetzt für freiwillige Naturschutzleistungen vom Staat bekommen.
Aktuell werden 5,5 Prozent der Wiesen im Freistaat erst Mitte Juni gemäht, und das läuft über den Vertragsnaturschutz. Im Gesetzentwurf steht, dass zehn Prozent der Wiesen später gemäht werden sollen. Das kann ich aber kaum verordnen. Deshalb müssen wir die Förderung ausweiten, um das Ziel zu erreichen. Auch 30 Prozent Bio-Landwirtschaft kann ich nicht einfach verordnen. Wir haben Berufsfreiheit. Also muss ich ein Förderprogramm auflegen, damit mehr Landwirte bereit sind, umzustellen und den Gifteinsatz zu reduzieren. Deshalb wird am Ende sogar mehr Geld ins System fließen als vorher - allerdings für ganz konkrete Maßnahmen. Im Moment ist die Förderung noch ein ziemlicher Gemischtwarenladen und dient nicht immer dem Artenschutz. Es fließt zum Beispiel Geld, wenn ich eine Zwischenfrucht anbaue, die dann im Frühjahr kaputtgespritzt wird. Das darf es in Zukunft nicht mehr geben.

Hartmann: "Jeder muss seinen Beitrag leisten, nicht nur die Landwirte"

Wie wird es mit dem Volksbegehren weitergehen?
Es wird weitere Runde Tische geben, Einzelgespräche und Arbeitsgruppen. Dann muss man schnell festlegen: Ist der Gesetzentwurf vom Volksbegehren derjenige, den man übernehmen möchte - plus weiterer Maßnahmen, wofür ich ganz deutlich die Hand heben werde. Denn natürlich muss man im Bereich der Kommunen, im Wald, im Wasser, in unseren Privatgärten auch etwas machen. Jeder muss seinen Beitrag leisten, nicht nur die Landwirte. Das Volksbegehren musste sich aber auf ein konkretes Gesetz beschränken, das ist in der Verfassung so festgelegt. Da gibt es ein sogenanntes Kopplungsverbot. Der Runde Tisch jedoch bietet die Möglichkeit, Landwirte und andere Bereiche des Naturschutzes durch weiterführende Maßnahmen zu versöhnen.

Was heißt das konkret?
Der Landtag könnte zeitgleich die Suche nach einem Dritten Nationalpark auf den Weg bringen; oder bei den Staatsforsten mehr Flächen aus der Nutzung nehmen; oder wir könnten auf kommunalen Flächen mehr Blühwiesen vorschreiben. Fakt bleibt allerdings, dass wir den größten Schwund von Tier- und Pflanzenarten in der Agrarlandschaft haben. Deshalb ist dort die Veränderung am notwendigsten. Dafür gibt es übrigens noch ein anderes Argument.

Welches denn?
Zwischen 20 und 30 Prozent der Nahrungsmittel, die produziert werden, landen in der Mülltonne. Das ist doch absurd! Wenn weniger Gifte eingesetzt werden und die Wiese später gewalzt wird, sinkt zwar der Ertrag - aber wir haben in der Landwirtschaft aktuell eine Überproduktion. Deshalb muss man sich fragen: Macht es Sinn, dass Lebensmittel jedes Jahr noch günstiger werden?

Für Menschen mit wenig Geld schon. Machen Sie Politik für Besserverdienende?
Jetzt nehmen wir mal die Hähnchen-Unterkeule von Aldi, 600 Gramm, im Angebot für 1,59 Euro. Das ist verramscht! Das ist doch krank! Da ist ein Lebewesen großgezogen, gefüttert und geschlachtet worden. Das kauft sich dann jemand - und wenn er keine Zeit hat, es zuzubereiten, wandert es in den Müll bei dem Preis. Außerdem kann es doch nicht sein, dass wir, weil die Sozialpolitik in diesem Land nicht funktioniert, weil der Mindestlohn nicht angemessen ist und Paketboten für einen Hungerlohn schuften müssen, eine solche Agrarpolitik zulassen, um die Preise so weit zu drücken, dass es sich die Menschen mit dem Hungerlohn noch leisten können. Da muss sich etwas ändern. Zudem ist mir nicht bekannt, dass in Österreich die Nahrungsmittelpreise durch die Decke gegangen sind. Die haben 22 Prozent Bio-Anteil, Bayern nur zehn.

Thema Klimaschutz als Staatsziel: Aus der CSU ist zu hören, die Grünen hätten die entsprechende Verfassungsänderung nur deshalb abgelehnt, weil sie ihr Volksbegehren "Klimaschutz in die Verfassung" nicht aushebeln wollten.
Dieses von uns unterstützte Volksbegehren geht weiter, als das, was die Staatsregierung vorgelegt hat. Die will nur ein einzelnes Wort in der Verfassung ergänzen. Beim Volksbegehren gibt es aber zusätzlich die Forderung, die Stromversorgung in Bayern auf 100 Prozent Erneuerbare Energien umzustellen. Eine konkrete Maßnahme, das ist uns wichtig. Es reicht nicht, ein einzelnes Wort aufzurufen und sich dann vorzustellen, dass die Meeresspiegel vor lauter Respekt vor der Bayerischen Verfassung aufhören anzusteigen. Das war mir deutlich zu wenig.

Hartmann: "Nur Wind und Sonne sind unbegrenzt verfügbar"

Kann Bayern seinen Strom überhaupt zu 100 Prozent aus Erneuerbaren beziehen?
Es wird eine Kraftanstrengung werden, aber es ist möglich - mit Wind und Sonne als Rückgrat der Energiewende. Denn nur Wind und Sonne sind unbegrenzt verfügbar.

Die Freude über neue Windräder ist bei denen, wo sie aufgestellt werden sollen, in der Regel aber äußerst begrenzt.
Da bin ich mir gar nicht so sicher. Beispiel Landkreis Starnberg: Da wurden vier Anlagen gebaut und die Diskussion war heftig. Aber der Widerstand schwindet, wenn sie mal da sind. Außerdem werden uns unsere Kinder nie vorwerfen, wir hätten zu viele Windkraftanlagen gebaut. Sie werden uns eher fragen, warum wir nichts gegen die Erdüberhitzung getan haben. Darum geht’s. Und eine Windkraftanlage ist ein einfaches Mittel, um etwas gegen den CO2-Ausstoß zu tun. Sie produziert günstig sauberen Strom und wenn wir in 30 Jahren eine bessere Technik haben, ist sie ohne bleibenden Landschaftsschaden zurückgebaut.

Aber nochmal: Ist mit Wind- und Sonnenenergie made in Bayern der Bedarf im Freistaat tatsächlich zu decken?
Aufs Jahr gemittelt wird man es schaffen. Man wird aber nicht jede Stunde abdecken können. Deshalb brauchen wir die neuen Stromleitungen. Da ist der aktuelle Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger immer noch auf dem falschen Dampfer. So lange man Strom nicht werfen kann, werden wir Stromleitungen brauchen. So einfach ist es.

Wandern mit dem Ministerpräsidenten

Sagen Sie das auch den Leuten vor Ort, die gegen die geplanten Trassen demonstrieren?
Ich bin 2014 mehrmals in die Region gefahren, in der es Widerstand gegen die Stromleitungen gab, und habe mich für etwas abwatschen lassen, was nicht ich zu verantworten hatte, sondern die Staatsregierung. Wenn man den Menschen erklärt: Wir wollen 100 Prozent Erneuerbare Energien und eine dezentrale Stromversorgung möglichst in Bürgerhand, an der jeder verdienen darf und als Zusatz noch ein paar Stromleitungen, wäre die Akzeptanz in der Bevölkerung sicher eine andere, als wenn man sagt: Windkraftanlagen dürft ihr nicht mehr bauen und ihr in der Oberpfalz kriegt zwar die Stromleitungen vor die Tür gesetzt, dürft aber nicht dran verdienen. Das funktioniert nicht. Das ist das, was mich an der Söder-Regierung gerade so wahnsinnig macht: dass die große Linie fehlt. Wie wollen wir 2030 in Bayern zusammenleben? Was müssen wir anpacken, damit wir den Wohlstand halten können und die ökologischen Folgeschäden so gering wie möglich halten? Was bringt uns der größte wirtschaftliche Erfolg, wenn wir auf dem Weg dorthin unsere Lebensgrundlagen zerstören?

Apropos Weg: Wann wandern Sie denn mit dem Ministerpräsidenten, wie beim TV-Duell ausgemacht?
Da müssen Sie ihn fragen. Der Landrat von Rhön-Grabfeld hat uns beide eingeladen. Ich habe bereits zugesagt.

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