Leitartikel

Politik

Für eine Handvoll Dollar


Natürlich hat Judas Jesus nicht für die bekannten dreißig Silberlinge verraten. Sondern er war enttäuscht. Er hatte sich eine Lösung für diese Welt erhofft, und jetzt wurde er von seinem Meister aufs Jenseits vertröstet. Auch die Staatsanwälte, die
jetzt den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff wegen einer Hotelrechnung von sage und schreibe 400 Euro vor Gericht bringen wollen, haben nicht primär das Geld im Sinn. Denn längst steht ihre eigene Ehre auf dem Spiel - und da ist mit ihnen wahrlich nicht zu spaßen! Von all den mit viel Brimborium vorgebrachten Vorwürfen und Vorverurteilungen ist nichts übrig geblieben außer einer Hotelrechnung, wo sich mit viel Scharfsinn ein Zusammenhang konstruieren lässt zu einem Telefonanruf, der sich für ein Filmprojekt einsetzte, und sich so also der damalige Ministerpräsident Wulff für den Freund und Produzenten verwandte, der sein Hotel in München für eine Nacht bezahlt hatte. Selbst wenn es stimmt: eine lächerliche Geschichte, eine Lappalie!

Längst haben sich die Staatsanwälte über beide Ohren blamiert. Sie erinnern an Großwildjäger, die mit voller Montur auszogen, um in Afrika Löwen zu jagen, um am Ende froh zu sein, im eigenen Keller mit 30 Mäusefallen tatsächlich eine Maus
gefunden zu haben. Eine ganze Maus! Oder auch an den römischen Zenturio, der sich vom gefangenen Druiden Miraculix in "Asterix und Obelix" den berühmten Zaubertrank brauen lässt. Weil aber im Zaubertrank das entscheidende Gewürz
fehlt, stemmt er vergeblich die größeren Steinbrocken, die vor ihm liegen, bis er am Ende voller Stolz einen Kieselstein in die Höhe reckt. Was für eine aberwitzige Veranstaltung! Die Staatsanwälte spielen Michael Kohlhaas, dem bei Kleist zwei
Rappen entführt werden. Weil er nicht recht bekommt, setzt er die Welt in Brand aus narzisstischer Wut. Die zwei Pferde sind wirklich weg, aber am Ende verliert Kohlhaas unnötig sein Leben, und das ist der Inhalt des Dramas, mit dem Heinrich
von Kleist bis heute Furore macht. Nicht um die Pferde geht es, sondern verhandelt wird der Wahnsinn dessen, der seine Gerechtigkeitsvorstellungen durchpeitscht - vor allem für sich selbst.

Ein Drama wie Michael Kohlhaas konnte nur einem Deutschen einfallen. Und ein Drama, wie es die Staatsanwälte mit Christian Wulff veranstalten, auch das kann es nur hierzulande geben. Der Mann, der alles verloren hat, seinen Beruf, seine Ehre,
seine Frau, sein soziales Umfeld, sein politisches Leben, der wird jetzt für 400 Euro ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt, weil er nicht klein beigeben wollte, um den irregeleiteten Staatsanwälten mit der Zahlung von 20.000 Euro bei deren
versuchter Gesichtswahrung zu helfen. Was für ein Prozess!

Während in Italien Silvio Berlusconi nach Hunderten Bunga-Bunga-Partys zurück zur Macht will, während in Frankreich Nicolas Sarkozy seine Präsidialmacht nur zum eigenen narzisstischen Genuss missbrauchte, während in Venezuela wieder eine
neue Witzfigur an die Macht kommt und in Nordkorea ein Wahnsinniger die Welt terrorisiert, wird in Deutschland gefragt, wer aus welchem Grund dem ehemaligen Bundespräsidenten eine Nacht beim Oktoberfest spendiert hat.

Sicher, der Rücktritt von Wulff war notwendig. Gezeigt hatte sich eine Handschrift, die nicht zu einem Bundespräsidenten passt. Hier ein Handy, dort ein Urlaub, dann wieder ein Kindergeburtstag, wo keiner die Rechnung übernehmen wollte. Eine
Handschrift, die schnell klar wurde und wo das einzelne Beispiel eigentlich schnell uninteressant war, auch wenn die Medien und eben die Staatsanwälte sich mit immer neuer Gier und neuem Feuereifer auf jedes einzelne Beispiel stürzten. Es war
eine Stillosigkeit von Wulff und eine Unterschätzung dessen, was man sich leisten darf an Großzügigkeit gegen sich selbst, ohne dass der Öffentlichkeit ein solches Tun aus gutem Grund missfällt. Aber ein Fall für den Staatsanwalt war Wulff nie.

Es ist eben typisch deutsch, dass wir alles gerne vor Gericht lösen. Den Nachbarschaftsstreit nicht weniger als das Problem der Steuerhinterziehung, wo jetzt wieder Tausende angezeigt werden, weil sie ihre Millionen dem Fiskus entzogen haben. Sicher, diese Millionäre haben betrogen und es tut gut, dass sie dafür bezahlen müssen. Es gilt aber auch: Für vier Millionen Euro hat das Land Rheinland- Pfalz einem Datenhehler eine CD abgekauft und wird jetzt voraussichtlich eine halbe Milliarde Euro damit erlösen. Also ein Geschäft. Ein gutes Geschäft. Der Staat macht aber eigentlich keine Geschäfte. Dass sich das Land Rheinland-Pfalz und die Staatsanwälte bei diesem Geschäft mit dem Kauf dieser CD selbst einer immer noch höchst fragwürdigen Methode bedienen, das sollte dennoch nicht ganz in Vergessenheit geraten, auch wenn diese Methode einen großen Nutzen für unsere Gemeinschaft bringt. Und auch die Sprache, mit der man hier zu Werke geht, entstammt eher dem kriminellen Milieu: Der Stoff auf der CD sei von "ausgezeichneter Qualität", so lassen sich die Herren Staatsanwälte zitieren. So sprechen sonst Drogenhändler, wenn das Kokain oder Heroin hochwertig ist.

Sicher, es ist ein ungeheures Unrecht, wenn sich die Reichen auf Kosten der gemeinsamen Solidarität aus der Verantwortung stehlen und ihren Beitrag zum Gemeinwohl nicht leisten wollen. Das ist abscheulich! Aber der Steuerrechtler Paul
Kirchhof hat auch längst darauf hingewiesen, dass ein besseres und transparenteres Steuerrecht der Solidarität dienlicher wäre als das immer nur nachträgliche juristische Belangen der Steuersünder, die ihre Millionen in den Steueroasen dieser
Welt in Sicherheit bringen wollen.

Wir rufen in Deutschland eben gerne die Gerichte an. Der angesehene Jura-Professor Robert Schweizer aus München hat in seiner Lehre immer wieder darauf hingewiesen, dass Gerichte von einem scheinbaren Objektivitätsmaßstab her urteilen, den es in Wirklichkeit aber gar nicht gibt. Am Ende wird dort oft genug, so Schweizer, der "gesunde Menschenverstand" zugrunde gelegt, und der ist nichts anderes als das subjektive Empfinden des Richters. Und bei den Staatsanwälten, wie sich gerade bei Wulff zeigt, kommt eben noch das Jagdfieber hinzu. Wo aber allzu vieles vor Gericht geklärt werden muss, da haben eine Gesellschaft und eine Kultur offenkundig bessere Möglichkeiten verloren, im Miteinander Lösungen zu finden, gut, menschlich und fair miteinander umzugehen. Und das Beilegen eines Streits mit einem Handschlag, der gilt, ist immer noch besser als ein Gang durch alle Instanzen, wo am Ende allzu leicht noch größere Verletzungen bleiben.

Als Judas aber seinen Wahnsinn erkannte, konnte er damit nicht mehr leben. Er warf seine dreißig Silberlinge fort und erhängte sich. Den Staatsanwälten, die in der Causa Wulff das Maß verloren haben, wollen wir ein solches Ende nicht wünschen. Es würde reichen, wenn sie sich besinnen und ihrem Opfer weitere Qualen ersparen.