Politik
Eine Friedensperspektive
22. September 2012, 14:57 Uhr aktualisiert am 22. September 2012, 14:57 Uhr
"Und aus allem, was wir sammelten, ergab sich uns die Kritik unserer Zeit und des jetzigen Europa, das in ungeheuren Bestrebungen mächtige neue Waffen der Menschheit erschaffen hatte, endlich aber in eine tiefe und zuletzt schreiende Verödung des Geistes geraten war. Denn es hatte die ganze Welt gewonnen, um seine Seele zu verlieren."
So schreibt Hermann Hesse am Ende des Ersten Weltkriegs 1917 in seinem Roman "Demian" sein pazifistisches Bekenntnis gegen den Krieg. Wer jetzt, fast 100 Jahre später, im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" eine Reportage über deutsche Offiziere in Afghanistan liest, der kann nicht anders als zu spüren, dass der Krieg dort nichts von seinem verstörenden, zerstörenden Charakter verloren hat. Was vor zehn Jahren als scheinbar berechtigte, ja geradezu notwendige Antwort der westlichen Kultur auf die Anschläge in New York von einer großen Mehrheit der bürgerlichen Welt auch bei uns in Deutschland begrüßt wurde, hat sich längst in einen sinnlosen Grabenkrieg verwandelt, der nur mehr als verstörend erlebt werden kann. Damals, vor zehn Jahren, waren es nur wenige Intellektuelle, die vor diesem sinnlosen Afghanistanfeldzug warnten; denn zu dramatisch waren die Bilder der in sich zusammenstürzenden Türme in New York, als dass man glauben wollte, man müsste jetzt nicht mit militärischen Mitteln darauf antworten. Wenige widersprachen und meinten, es wäre eher das richtige Signal, auf diese Unmenschlichkeit nicht mit neuer Unmenschlichkeit, also einem Krieg zu reagieren. Heute wissen wir: Diese Mahner hatten recht!
Der hoch angesehene langjährige Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Theo Sommer, hat jetzt ein kleines Büchlein herausgebracht, das unter dem Titel "Diese Nato hat ausgedient" die Auslandseinsätze der Nato in scheinbar humanitärem
Auftrag einer kritischen Würdigung unterzieht. Auf die Frage, ob das Bündnis in Syrien militärisch eingreifen sollte, schreibt er:
"Das Argument, die Armeen der westlichen Welt seien dazu da, unsere Werte zu verteidigen, nicht unsere Grenzen, basiert auf einer fatalen Fehleinschätzung unserer Möglichkeiten. Gewiss, innerhalb unserer Grenzen müssen wir unsere Werte
verteidigen. Nicht jedoch dürfen wir uns dazu verleiten lassen, wo auch immer mit Waffengewalt für ein wenig internationale Ordnung und etwas Schutz der Menschenrechte zu sorgen." In der Spiegel-Reportage "Mayers Krieg" beschreibt der Journalist Alexander Osang diese Überforderung am Beispiel eines Offiziers, der mit der Herausforderung Afghanistan nicht zurechtkommt. Mit einem einzigen Satz wird die Absurdität dieses Krieges beschrieben: "Ich erfülle einen politischen Auftrag", sagt Mayer und reißt die Augen auf, als hätte er einen Witz erzählt. Im Kopf und auch im Herzen des Menschen Mayer gehen die Situationen in Afghanistan und die Welt, in der er eigentlich lebt, nicht mehr zusammen. Und der Brigadegeneral Glawatz kommentiert in derselben Geschichte die veränderte Situation der Soldaten heute: Früher im Kalten Krieg "mussten sie kämpfen lernen, um nicht kämpfen zu müssen. Heute lernen sie kämpfen, um kämpfen zu können."
Damit aber findet die Kriegssituation über den Hintereingang der humanitären Einsätze weltweit wieder Akzeptanz. Die Bischöfin Margot Käßmann hat mit ihrer klugen Intuition "Nichts ist gut in Afghanistan" ihr Unwohlsein darüber mit einem einzigen Satz auf den treffenden Begriff gebracht. Wenn der höchstdekorierte deutsche General nach dem Zweiten Weltkrieg, General Klaus Naumann, in den Medien über seine geostrategischen Sichtweisen schwadroniert, so ist dagegen schon kritisch einzuwenden, dass das militärisch gesprochen alles richtig sein mag: aber es bleibt die Sichtweise eines ehrgeizigen Vier-Sterne-Generals, der in der militärisch-strategischen Perspektive stecken geblieben ist und von dorther seine eindimensionale Weltsicht entwickelt. Er ist ein General und er kann wohl kämpfen oder die Kämpfer kommandieren. Auf ihn sollen wir nicht hören!
Militärische Lösungen sind nicht tragfähig, das zeigt Theo Sommer in seinem Buch an vielen Beispielen der letzten Jahrzehnte, "und dies nicht nur, weil jeder Krieg die Hölle ist; weil er die Kämpfer verroht, schon weil ihnen die Angst im Nacken sitzt;
und weil selbst die besten Motive das Abgleiten in die Brutalität nicht verhindern können". Und er fasst seinen humanen und nachahmenswerten Standpunkt so zusammen: "Ich halte es eindeutig mit jenen, denen die Verhältnisse in fremden Ländern nicht gleichgültig sind, die sich über die Verletzung der Menschenrechte empören, die die dafür Verantwortlichen anprangern und auf Wandel drängen, die jedoch nicht glauben, dass militärisches Eingreifen das geeignete Mittel zur Abhilfe ist." Eine solche Haltung ist nicht feige und auch nicht verantwortungslos, sondern sie schützt uns, die wir in Europa den teuer erkämpften Frieden wahren wollen.
Und noch eine Fußnote: Gerade der zunehmende Einsatz unbemannter Drohnen ist nur scheinbar human, denn die Tötung des Gegners geschieht jetzt digital, es wird zwar getötet, aber man sieht es nur noch abstrakt auf dem Bildschirm, ein enthemmender Vorgang, der am Ende doppelt grausam enden kann, wenn auch die "Terroristen", wie Sommer schreibt, diese Drohnen "in ihren Besitz bringen und einzelne Staatsmänner, Politiker, Kirchenfürsten oder Großindustrielle ins Visier nehmen".
Als am Beginn des von George W. Bush willkürlich vom Zaun gebrochenen Irakkriegs der noch in Amt und Würden stehende Vier-Sterne-General Naumann im Bayerischen Fernsehen lustvoll für diesen Krieg warb, meinte damals der radikale Pazifist Eugen Biser in einem scheinbar absurden Gedanken: "Es hätte nur einen Weg gegeben, diesen Krieg zu verhindern. Der Papst hätte nach Bagdad fliegen und so lange dort sitzen bleiben müssen, bis der kleine Bush seinen Krieg abgeblasen hätte."
Ein radikaler Gedanke, eine Friedensutopie, denn auch Päpste, gerade Päpste sind Gefangene eines Hofzeremoniells. Der Papst kam so nicht auf diesen rettenden Gedanken. Und doch nimmt dieser Gedanke Hermann Hesse auf.
Denn als im Ersten Weltkrieg, wo noch nicht klar war, wie verheerend und unmenschlich Kriege im 20. Jahrhundert sein würden und die Armeen vorfreudig singend in den Kampf zogen, da schrieb Hermann Hesse seinen "Demian" als Antwort auf das kollektive Kriegsgeschrei. Statt die Welt aggressiv verändern oder verbessern zu wollen, sollte der Weg jedes Menschen besser erst einmal nach innen gehen, zu sich selbst. Denn uns Menschen, so Hesse, sei die Aufgabe gestellt, "innerhalb unseres eigenen, einmaligen und persönlichen Lebens einen Schritt weiter zu tun, vom Tier zum Menschen". Es ist also jeder Einzelne aufgefordert, dem Krieg zu widersprechen; auch wenn er den besten und edelsten Motiven zu dienen vorgibt.