Russische Invasion
Die Gesichter des ersten Monats Krieg
23. März 2022, 21:06 Uhr aktualisiert am 24. März 2022, 5:42 Uhr
Seit einem Monat hält die Ukraine der russischen Invasion stand. Präsident Selenskyj gilt international als Symbol des Widerstands gegen Kremlchef Putin. Der Krieg hat aber viele Gesichter.
Russlands Krieg gegen die Ukraine hat nach dem ersten Monat schon viele Gesichter:
Der Angreifer, Russlands Präsident Wladimir Putin. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich als unbeugsamer Widerstandskämpfer zeigt, unterstützt auch von Kanzler Olaf Scholz. Eine russische Fernsehjournalistin macht bei der Kremlpropaganda nicht mehr mit. Ein Generalmajor präsentiert täglich die nackten Zahlen aus Moskauer Sicht. Und dann sind da natürlich die vielen Opfer.
Wladimir Putin (69)
Der russische Präsident hat das Riesenreich in mehr als 20 Jahren an der Macht durch zahlreiche blutige Konflikte geführt. Nach Kriegen in der russischen Nordkaukasus-Republik Tschetschenien, gegen Georgien und in Syrien ist der Angriff auf das Nachbarland bisher der folgenreichste. Putin hat dazu die Atomwaffen des Landes in besondere Kampfbereitschaft versetzen lassen.
Damit droht der frühere Geheimdienstchef auch, sollten sich die USA oder die Nato in die "militärische Spezial-Operation" einmischen. Putin lehnt es zwar ab, dort von Krieg zu reden. Aber das Wort benutzt er längst selbst. Angesichts der beispiellosen internationalen Sanktionen spricht er von einem Wirtschaftskrieg, mit dem der Westen die Rohstoffgroßmacht zerstören wolle. Trotzdem zeigt sich Putin weiter siegessicher.
Wolodymyr Selenskyj (44)
Der ukrainische Präsident steht als Held des Widerstands im weltweiten Rampenlicht. Beinahe jeden Tag wendet sich der Ex-Schauspieler, der viele Jahre einen Präsidenten in einer Comedy-Serie spielte, per Videoschalte an sein Volk und auch an Parlamente und Regierungen im Ausland. Er fordert Waffenlieferungen und härtere Sanktionen gegen Russland. Innenpolitisch konnte er die Gelegenheit nutzen. Sowohl die russlandfreundliche als auch die nationalistische Opposition ist nun still.
Die Fernsehsender seines Vorgängers und Widersachers Petro Poroschenko müssen das staatliche Einheitsprogramm bringen. Kritik an Selenskyj ist derzeit tabu. Wirkte der Staatschef vor Kriegsausbruch angeschlagen und eine zweite Amtszeit in Frage gestellt, so ist er aktuell der unangefochtene Führer seiner Nation.
Olaf Scholz (63)
Der deutsche Bundeskanzler hat die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nach Kriegsbeginn komplett umgekrempelt. Waffenlieferungen in einen laufenden Krieg, die nun gegen eine Atommacht eingesetzt werden - ein Tabubruch. Jedes Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr - vor wenigen Monaten noch undenkbar. Kehrtwende in der Energiepolitik, um die Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland zu beenden.
Die Rede des Kanzlers vom 27. Februar im Bundestag gilt schon als historisch. Was Deutschland zur Unterstützung der Ukraine tun kan, hat aber auch Grenzen. Das zeigte das Schweigen von Scholz und seiner Regierung nach einer Videoschalte Selenskyjs in den Bundestag. Zu einem kompletten Energie-Embargo gegen Russland sagt Deutschland genauso Nein wie zu einer EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine.
Marina Owssjannikowa (44)
Die TV-Journalistin lief zur besten Sendezeit in den Hauptnachrichten des russischen Staatsfernsehens ins Bild und zeigte ein Plakat: "Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen." Mit ihrem mutigen Anti-Kriegs-Protest erlangte sie schlagartig Berühmtheit. International wird sie nach jahrelanger Arbeit für den Propaganda-Sender des Kreml nun als Heldin gefeiert. Das Putin-Lager sieht sie als Verräterin.
Die Tochter einer Russin und eines Ukrainers musste für ein Video mit einem Protestaufruf bereits eine Geldstrafe zahlen. Wegen des TV-Auftritts droht ihr ein Strafverfahren. Obwohl sie Angst um ihre Sicherheit hat, will die Mutter eines 17 Jahre alten Sohns und einer 11-jährigen Tochter in Russland bleiben. "Mein Leben hat sich für immer verändert", sagt sie. Bereut habe sie es nicht.
Boris Romantschenko (gestorben mit 96)
Der KZ-Überlebende hat vier Konzentrationslager der Nationalsozialisten überlebt. Nun fiel er wie Hunderte andere Zivilisten dem Krieg zum Opfer. Am 18. März traf ein Geschoss sein Wohnhaus im ostukrainischen Charkiw. Seine Wohnung, die er wegen Corona monatelang nicht verlassen hatte, brannte aus. Er selbst starb.
Damit ging ein bewegtes Leben zu Ende. Mit 16 hatten ihn deutsche Truppen nach Dortmund verschleppt, wo er unter Tage arbeiten musste. 1943 kam er ins KZ Buchenwald, dann nach Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen. Nach dem Krieg engagierte er sich in der Erinnerungsarbeit. Bei vielen löste sein Tod im Krieg nun tiefe Trauer aus, auch in Deutschland.
Igor Konaschenkow (55)
Der Generalmajor und Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums tritt jeden Tag vor die Kamera. Er ist auch in westlichen Nachrichten Moskaus Gesicht des Krieges. Mit ruhiger Stimme erklärt der Mann in Uniform die russische Sicht auf die "militärische Spezial-Operation" in der Ukraine, die in Moskau nicht als Krieg bezeichnet werden darf. Kritische Fragen muss er keine beantworten. Er referiert im Monolog etwa über den Vormarsch oder zerstörte Militäreinrichtungen - und über Tote.
In den vergangenen Jahren gehörte der in der Ex-Sowjetrepublik Moldau geborene Militär zu den meistzitierten Vertretern seines Ministeriums - noch vor Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Seit 2011 ist er Chef der Presseabteilung. Konaschenkow wurde als Militär schon mit 14 Medaillen ausgezeichnet, auch mit dem Tapferkeitsorden Russlands.
Aljona Nadtochij (27)
Die Krankenschwester aus Jahotyn nahe der Hauptstadt Kiew gehört zu den mehr als 230.000 Flüchtlingen aus der Ukraine, die schon in Deutschland sind. Sie floh bereits Anfang März, mit acht anderen Frauen und Mädchen ihrer Familie. Die Männer mussten zuhause bleiben, um im Widerstand gegen die russischen Truppen das Land zu verteidigen. Ihre Tochter Lisa ist mit sieben Jahren die Jüngste. Fürs Packen hatten sie nur 20 Minuten Zeit.
In einem völlig überfüllten Zug ging es dann bis zur Grenze nach Polen und weiter mit dem Bus nach Bad Düben in Sachsen. Reiner Zufall: Ein Busfahrer aus Nordsachsen hatte Spenden gesammelt und an die Grenze gebracht. Auf der Rückfahrt lud er eine größere Gruppe Flüchtlinge ein. In Deutschland war von den neun Flüchtlingen noch niemand. Sie kennen auch niemanden hier. Wie lange sie bleiben, ist ungewiss: "Wenn der Krieg aufhört, gehen wir zurück", sagt Aljona.