Politik

Benedikt: Der Papst aus Oberbayern - "Ein herausragender Theologe"

Joseph Ratzinger war über 20 Jahre Präfekt der Glaubenskongregation, der zentralen Instanz für die Glaubens- und Sittenlehre in der katholischen Kirche. Eine Einordnung.


ARCHIV - Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, verabschiedet sich am 28. Februar 1982 auf dem Münchener Marienplatz von den Gläubigen, im Hintergrund sind Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauss (CSU) und seiner Frau Marianne zu sehen (Archivfoto vom 28.02.2007). Papst Benedikt XVI wird am 16. April 80 Jahre alt. Foto: Wirginings dpa (zu dpa:"Papst Benedikt XVI. gibt Pontifikat am 28. Februar auf") +++ dpa-Bildfunk +++

ARCHIV - Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, verabschiedet sich am 28. Februar 1982 auf dem Münchener Marienplatz von den Gläubigen, im Hintergrund sind Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauss (CSU) und seiner Frau Marianne zu sehen (Archivfoto vom 28.02.2007). Papst Benedikt XVI wird am 16. April 80 Jahre alt. Foto: Wirginings dpa (zu dpa:"Papst Benedikt XVI. gibt Pontifikat am 28. Februar auf") +++ dpa-Bildfunk +++

Von Ruth Schormann

Von 1982 bis zur Papstwahl 2005 ist Ratzinger der "Wachhund des Papstes" - Im November 1981 ernennt Papst Johannes Paul II. Joseph Ratzinger zum Präfekten der Glaubenskongregation in Rom, der zentralen Instanz für die Glaubens- und Sittenlehre in der katholischen Kirche. Der Freiburger Dogmatik-Professor Helmut Hoping beantwortet in der AZ die wichtigsten Fragen zu dieser Aufgabe und Ratzingers Rolle.

AZ: Herr Hoping, wie kam es dazu, dass Joseph Ratzinger nach Rom beordert wurde?
HELMUT HOPING: Johannes Paul II. kannte Joseph Ratzinger vom Zweiten Vatikanischen Konzil, das 1962 bis 1965 stattfand, an dem Karol Józef Wojtyla als Bischof teilnahm. Joseph Ratzinger war einer der einflussreichsten theologischen Berater beim Konzil. Bald nach seiner Wahl zum Papst nahm Johannes Paul II. Kontakt mit Ratzinger auf, der ein Jahr zuvor von Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising ernannt worden war. Johannes Paul II. schätzte den Theologen Ratzinger sehr und wollte ihn als Mitarbeiter in seine Kurie holen. Zunächst lehnte Ratzinger ab, 1982 wechselte er dann als neuer Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre in den Vatikan und sollte dort bis zu seinem Tod bleiben.

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Der römische Kurienkardinal und enge Papstvertraute Joseph Ratzinger am Sonntag (19.05.2002) im Münchner Liebfrauendom beim Gottesdienst. Ratzinger feiert sein 25. Bischofsjubiläum in München, wo er am 28. Mai 1977 als Nachfolger von Kardinal Julius Döpfner sein Amt antrat und nur vier Wochen später von Papst Johannes Paul II. in das Kardinalskollegium aufgenommen wurde. 1981 ernannte ihn der Papst zum Präfekten der Vatikanischen Glaubenskongregation. dpa/lby +++ dpa-Bildfunk +++

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President of the Catholic Congregation of Faith, Cardinal Joseph Ratzinger of Germany, gestures during a press conference in the Vatican on Monday 26 June 2000. Ratzinger, responsible for Vatican doctrine, disclosed details of the third secret of Fatima, described as a prophetic comparable to the holy scriptures. dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wie war das Verhältnis zwischen Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger?
Johannes Paul II. hatte zu Ratzinger ein sehr enges, vertrauensvolles Verhältnis. Er wusste, dass er sich auf ihn unbedingt verlassen konnte. Ihre beiden Pontifikate gehören untrennbar zusammen.

Was hat es mit dieser Glaubenskongregation eigentlich auf sich? Sie gilt ja als Nachfolge-Behörde der Inquisition.
Die Glaubenskongregation, neuerdings heißt sie Dikasterium für die Glaubenslehre, steht als Nachfolgebehörde der 1542 errichteten Inquisition mit den Ketzerprozessen - eines der bekanntesten und ersten Opfer war Giordano Bruno - in einem schwierigen Erbe. Doch schon im 19. Jahrhundert hatte die Behörde, inzwischen mit dem neuen Namen "Heiliges Offizium", keine exekutive Gewalt mehr. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wirkt die Behörde in enger Abstimmung mit dem Papst vor allem durch Texte, nämlich Dekrete, Instruktionen, Lehrschreiben und Stellungnahmen zu Fragen des Glaubens, der kirchlichen Disziplin und Moral.

Wie hat Joseph Ratzinger die Katholische Kirche in dieser Funktion mitgestaltet?
Zu den wichtigsten Dokumenten der Glaubenskongregation, die in seiner Zeit als Präfekt veröffentlicht wurden, zählt ohne Zweifel die Erklärung zur Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche 2000, in der die These einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller großen Religionen und christlichen Kirchen zurückgewiesen wird.

Was ihm nicht gerade als Beitrag zur ökumenischen Annäherung ausgelegt werden kann.
Die Aussage, dass die Kirchen der Reformation keine Kirchen im eigentlichen Sinne seien, war sicherlich nicht sehr glücklich. Die Kirchen der Reformation sind aber keine Kirchen im Sinne bischöflich verfasster Ortskirchen mit einem priesterlichen Dienstamt wie die katholische Kirche und die Kirchen der Orthodoxie, sondern sind Kirchen ganz eigenen Typs. Die Befreiungstheologie lehnte Ratzinger nicht grundsätzlich ab, wie seine beiden zusammengehörenden Instruktionen aus den 1980er Jahren zeigen, doch warnte Ratzinger davor, die christliche Theologie der Befreiung mit politischer Befreiung gleichzusetzen oder mit marxistischer Ideologie zu verbinden.

Welches Bild lässt sich insgesamt von Ratzinger zeichnen - ein absolut Konservativer oder ist es vielschichtiger?
Das Bild ist in der Tat vielschichtiger. Joseph Ratzinger war ohne Zweifel ein konservativer Theologe, er war aber kein Traditionalist oder Reaktionär, als den ihn seine Gegner gerne hinstellen. Das Zweite Vatikanische Konzil interpretierte er im Sinne einer "Hermeneutik der Reform" in Kontinuität zur Tradition der Kirche.

Hat er in manchen Bereichen seine Meinung im Laufe der Jahre auch geändert?
Natürlich gab es Entwicklungen in seinem Denken, etwa was die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Welt betrifft, zum Teil auch Korrekturen, zum Beispiel bei der Frage des Zölibats oder der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Der Blick auf die Kirche und die Verantwortung, die man trägt, verändert sich auch, wenn man nicht mehr Theologieprofessor, sondern Bischof, Kardinal, Präfekt der Glaubenskongregation und schließlich Papst ist.

Im Jahr 2000 gab es ein Schuldbekenntnis, ein Anerkennen der Versäumnisse und Vergehen, die die Kirche angehäuft hat. Ratzinger sagte später, er sei dabei gewesen, aber "man kann sich schon fragen, ob die vielen Schuldbekenntnisse wirklich etwas Sinnvolles sind". Was halten Sie davon?
Auf den ersten Blick scheint dies eine irritierende, für manchen vielleicht verstörende Aussage. Ratzinger hat sich aber nicht gegen das allgemeine Schuldbekenntnis zur Millenniumswende gestellt, war daran vielmehr mit einer zentralen Vergebungsbitte beteiligt. Für Ratzinger stellte sich allerdings die Frage, inwieweit eine Institution Schuld bekennen kann, die ja eine zutiefst persönliche Sache ist, auch wenn man im analogen Sinne von so etwas wie Strukturen der Sünde, auch in der Kirche, sprechen kann. Zudem befürchtete Ratzinger wohl eine Inflation von Schuldbekenntnissen, zu der es dann in der Missbrauchskrise auch gekommen ist, ohne dass Bischöfe, bis auf wenige Ausnahmen, daraus Konsequenzen gezogen hätten - ein Beispiel im deutschsprachigen Raum ist der in die Vertuschung sexuellen Missbrauchs verstrickte langjährige Bischof von Osnabrück, der sich bis heute weigert, seinen Amtsverzicht zu erklären. Zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs durch Priester hat Joseph Ratzinger als Kurienkardinal und Papst übrigens mehr beigetragen als Johannes Paul II. und Papst Franziskus.

Welche Mitschuld trägt Ratzinger an der Krise, in der die Kirche heute steckt?
Ratzinger hat als Präfekt der Glaubenskongregation und Papst sicherlich einige Fehler gemacht. Die tiefgreifende Krise, in der sich die katholische Kirche heute befindet, kann man aber nicht an Joseph Ratzinger festmachen. Sie zeichnete sich schon in der frühen Nachkonzilszeit Ende der 1960er Jahre ab, sei es die Krise der Liturgie, des Priesteramtes oder die wachsende Glaubenskrise. Es wäre sehr kurzsichtig, zu meinen, mit fortschreitender Anpassung der katholischen Kirche an die evangelische Kirche würde die katholische Kirche den Weg aus der Krise finden, was mit der Rede vom Reformstau, für den die Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. verantwortlich gemacht werden, insinuiert wird.

Was hat Joseph Ratzinger aus dieser langen Zeit als "Wachhund des Papstes", wie er teilweise bezeichnet wurde, mitgenommen in sein Wirken als Papst? Erfolgreich? Oder muss man sagen, er ist gescheitert?
Die Verunglimpfungen von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. sind zahlreich; "Panzerkardinal" "Wachhund des Papstes", "God's Rottweiler", wie "The Sun" schrieb, bis zum Bild des inkontinenten Papstes in der "Titanic" und zur Lüge von der Nazivergangenheit Benedikts XVI. - Joseph Ratzinger ist weder als Präfekt der Glaubenskongregation noch als Papst gescheitert. Was Joseph Ratzinger in sein Pontifikat mitgenommen hat, war seine theologische Exzellenz und intellektuelle Brillanz, wie zum Beispiel seine Jesus-Trilogie, seine Enzykliken über die Liebe, die Hoffnung und die ganzheitliche Entwicklung des Menschen zeigen.

Und dann kam der Rücktritt.
Es waren Intrigen, Lügen und Verrat im Vatikan, die beim Amtsverzicht Benedikts XVI. 2013 wohl eine mindestens so große Rolle gespielt haben wie die angeschlagene Gesundheit. Der Rücktritt war aber nicht das Eingeständnis eines Scheiterns, sondern ein revolutionärer Akt den viele dem Theologenpapst nicht zugetraut hätten. Wenn manche Kommentaroten meinen, vom Pontifikat Benedikts XVI. werde am Ende nur sein Amtsverzicht bleiben, zeigt das nur ihre Winzigkeit. Verdienste und Schwächen Benedikts XVI. werden erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand deutlicher werden. Schon jetzt aber lässt sich sagen, dass er ein herausragender Theologe und bedeutender Papst war.

Lesen Sie in Teil 3 der AZ-Serie: "Habemus papam!" - 2005 wird aus Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.i