Tallinn
Steuererklärung in Estland: Ein Blick, ein Klick - fertig
17. April 2016, 12:55 Uhr aktualisiert am 17. April 2016, 12:55 Uhr
Für seine Einkommenssteuer greift in Estland kaum ein Bürger mehr zu Kugelschreiber und Papierformularen. Einfach und unbürokratisch erledigt sich die Erklärung online fast von selbst.
Für viele Deutsche sorgt allein der Gedanke an die Steuererklärung für Anspannung. Für Esten hingegen ist die alljährliche Angabe ihrer Einkommens- und Vermögenslage kein Behörden-Horror, den sie am liebsten wochenlang aufschieben. Die 1,3 Millionen Einwohner des Baltenstaats erledigen das flink am eigenen Computer. Umständlicher Papierkram mit komplizierten Formularen und langwieriges Jonglieren mit Zahlen sind Geschichte.
Ein Klick öffnet ein zentrales Internetportal der Steuerbehörde mit geschütztem Zugang. Dort kann die Erklärung innerhalb weniger Minuten online abgegeben werden - sie steht am Jahresende vorausgefüllt im Netz. Die nötigen Daten werden dazu vom Finanzamt automatisch bei Arbeitgeber, Banken und anderen Behörden abgerufen. Auch abzugsfähige Ausgaben wie Kreditzinsen oder Versicherungsbeträge werden direkt an das System übermittelt.
Nach seiner Einwahl muss der Bürger sie nur noch einmal überprüfen, eventuelle Änderungen vornehmen und sie dann mit seiner digitalen Unterschrift freigeben. Ein Blick, ein Klick - fertig. Der Rückkanal funktioniert ebenfalls flott: Reicht der Steuerzahler die Erklärung digital ein, erhält er die Rückzahlung nach Angaben der Steuerbehörde binnen fünf Tagen auf sein Konto.
"Es ist so viel einfacher", schwärmt Staatspräsident Toomas Hendrik Ilves. Für 2015 haben 96 Prozent aller Esten so ihre Steuer eingereicht. Durchschnittlich dauerte es drei bis fünf Minuten, meint die Steuerbehörde in Tallinn. Der in Deutschland so prestigevolle Beruf des Steuerberaters ist in Estland deshalb nahezu unbekannt.
Eingeführt wurde die elektronische Steuererklärung bereits 2000, seit vergangenem Jahr sind nun auch Ein-Klick-Erklärungen möglich. Das technische Rückgrat dafür bildet die sogenannte X-Road - ein dezentrales System, über das alle Behörden miteinander verbunden sind. Es ermöglicht den Austausch und Abgleich von Informationen zwischen verschiedenen Datenbanken.
Begleitet wird die Infrastruktur von der entsprechenden Gesetzgebung. So wurde festgelegt, dass der Staat die Daten von Bürgern nur einmal erfassen darf und die für digitalen Behördengänge notwendigen Informationen aus den Datenbanken kommen sollen. Estland ist dadurch eine hochgradig vernetzte Gesellschaft, und nahezu alles kann mit ein paar Mausklicks über das Internet erledigt werden.
Die kleine Ostseerepublik hat sich damit den Ruf eines IT-Vorreiters erarbeitet - selbst im US-Präsidentschaftswahlkampf spielen die digitalen Bürgerdienste eine Rolle. "Sie können Ihre Steuererklärung in Estland online in fünf Minuten ausfüllen", sagte der inzwischen aus dem Rennen ausgestiegene republikanische Bewerber Jeb Bush und sorgte damit für Aufsehen in US-Medien.
Auch der estnische Regierungschef Taavi Roivas wurde beim jüngsten Besuch in den USA darauf angesprochen. "Wir haben das System jetzt verbessert. Es sind drei Minuten - im Durchschnitt", verkündete der 36-Jährige im März in einer US-Fernsehshow. Erledigen könne man die Steuererklärung überall dort, wo es einen Internetzugang gibt. Er selbst habe seine Steuer für 2015 per iPad am Flughafen in Luxemburg abgegeben, erzählte Roivas dem staunenden Moderator.
Möglich macht das ein elektronischer Ausweis. Nahezu alle Esten besitzen eine computerlesbare ID-Karte, die als Personalausweis dient und im Internet die Feststellung der Identität ermöglicht. Damit können auch digitale Signaturen geleistet werden. In "e-Estonia", wie sich der Baltenstaat selbst nennt, ist das nahezu überall möglich - kostenloses Internet ist ein Grundrecht.
In der Beliebtheit der E-Services steht die Steuererklärung weit oben. Sicherheitsbedenken oder Sorgen vor Datenhortung gibt es kaum. Denn bei allen E-Lösungen behalten die Bürger die Hoheit über ihre Daten. Das System hält nach Angaben des staatlichen Amt für Informationsdienste jede Abfrage fest und garantiert Transparenz - unerlaubte Dateneinsicht wird juristisch geahndet.
Auch der Staat profitiert von der Digitalisierung. So müssen nur noch wenige der jährlich etwa 650 000 Steuererklärungen manuell bearbeitet werden. Damit können dem Steueramt zufolge rund 750 Finanzbeamte eingespart werden. Und auch die Steuerehrlichkeit habe sich "dramatisch erhöht", betont Staatschef Ilves. "Die Menschen bezahlen ihre Steuern." Dies habe es der estnischen Regierung sogar ermöglicht, die Steuern zu senken.
Für die Einkommensteuer gilt nun ein Pauschalsatz von 20 Prozent. Auch die Unternehmenssteuern sind niedrig - und reinvestierte Gewinne ohnehin körperschaftsteuerfrei. Einer US-Studie zufolge hat Estland das wettbewerbsfähigste Steuersystem unter allen 34 OECD-Ländern.