Katastrophe

Mehr als 4.200 Tote bei Erdbeben in Syrien und Türkei


Zivilisten und Mitglieder des syrischen Zivilschutzes bergen in Harem in der Region Idlib ein Erdbebenopfer.

Zivilisten und Mitglieder des syrischen Zivilschutzes bergen in Harem in der Region Idlib ein Erdbebenopfer.

Von Von Anne Pollmann, Mirjam Schmitt, Cindy Riechau, Johannes Sadek und Arne Bänsch, dpa

Das ganze Ausmaß der Katastrophe ist weiter nicht abzusehen, die Zahl der Toten steigt an. Häuser und Straßen sind zerstört, die Temperaturen eisig. Internationale Hilfe für die Türkei und Syrien läuft an.

Bei einer der schwersten Erdbebenkatastrophen der letzten Jahrzehnte sind im türkisch-syrischen Grenzgebiet mehrere Tausend Menschen gestorben. Die Zahl der Todesopfer wurde am Dienstagmorgen mit mehr als 4.200 angegeben. Weiter wurden Hunderte Menschen unter Trümmern vermisst. Nach bisherigen Informationen sind zudem mehr als 15.000 Menschen in der Südtürkei und Nordsyrien verletzt worden. Die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad warnte unterdessen vor weiteren Nachbeben.

Im Katastrophengebiet herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Tausende Menschen sind nach Angaben von Hilfsorganisationen obdachlos geworden - und das bei kaltem Wetter. Ein drohender Schneesturm könnte die Situation in den Erdbebengebieten nach Einschätzung der Hilfsorganisation Care noch deutlich verschärfen. Viele Straßen seien nicht passierbar. Die Welthungerhilfe rechnet mit langen Aufräumarbeiten. In betroffenen türkischen Provinzen sind auch Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.

Angehörige und Rettungskräfte suchten bis spät in die Nacht nach Verschütteten. Das Gesundheitsministerium habe rund 4.200 Helfer in das Katastrophengebiet entsandt, teilte der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca auf Twitter mit. Verletzte und kranke Erdbebenopfer würden zunächst in Zelten medizinisch versorgt und anschließend in Krankenhäuser verlegt, so der Minister in einem weiteren Tweet. Mit aller Kraft sei man vor Ort, um das Leid zu lindern. Der Chef der Hilfsorganisation Kizilay sagte dem Sender Habertürk, man habe bereits 40.000 Blutspenden bekommen.

Der türkische Vizepräsident, Fuat Oktay, teilte mit, dass bereits 7.840 Verschüttete aus den Trümmern gerettet worden seien. Es werden weiterhin Menschen lebend geborgen. In Adiyaman wurde ein 12-jähriger Junge nach 21 Stunden aus den Trümmern gerettet, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Auch aus Diyarbakir und Sanliurfa wurden Menschen nach fast einem Tag und in eisigen Temperaturen lebendig aus den Trümmern gerettet.

Erdogan: Schwerstes Beben seit 1939

Das Hauptbeben am Montagmorgen hatte nach Afad-Angaben eine Stärke von 7,7, das Epizentrum lag im südtürkischen Kahramanmaras. Am Mittag erschütterte ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, wie die Erdbebenwarte Kandilli meldete. Afad verzeichnete insgesamt 243 Nachbeben.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939. In dem betroffenen Bereich habe es seit etwa 900 Jahren kein so großes Beben mehr gegeben, sagte die Geologin Prof. Charlotte Krawczyk vom Geoforschungszentrum Potsdam der ARD. Ob und wann weitere große Beben folgen, könne nicht vorhergesagt werden.

Im Bürgerkriegsland Syrien kamen nach Angaben des Gesundheitsministeriums sowie der Rettungsorganisation Weißhelme von Montagabend mindestens 1.300 Menschen ums Leben. In der Türkei stieg die Zahl der Toten auf 2.921, wie die Katastrophenschutzbehörde Afad meldete. Präsident Erdogan verkündete eine einwöchige Staatstrauer. Flaggen aller Vertretungen im In- und Ausland sollen dafür bis Sonntag auf halbmast wehen.

Internationale Staatengemeinschaft sagte Hilfe zu

Die Türkei wird immer wieder von schweren Erdbeben getroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich "zutiefst traurig" über die Katastrophe. Die Vereinten Nationen stünden bereit, um Nothilfe zu leisten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte Hilfe aus Deutschland zu. Das Zentrum für Katastrophenhilfe der EU koordiniert die Entsendung europäischer Rettungskräfte in die Türkei.

Zur Unterstützung vor Ort wurde auch der Copernicus-Satellitendienst der EU aktiviert. Unter anderem sagten Großbritannien, Indien, Pakistan, die USA, Finnland, Schweden und Russland Hilfe zu. Die EU will auch Betroffene in Syrien unterstützen. Auch Australien und Neuseeland senden Millionenhilfen.

Griechenland schickte trotz der Spannungen mit der Türkei bereits eine erste Rettungsmannschaft mit Spürhunden in das Erdbebengebiet. Athen und Ankara streiten sich seit Jahrzehnten um Hoheitsrechte in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. Nun hatten Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis und der Präsident der Türkei erstmals seit Monaten wieder direkten Kontakt.

Israel will der Türkei und Syrien, mit dem es sich im Kriegszustand befindet, Hilfe leisten. Der Iran bot ebenfalls Unterstützung an - er ist neben Russland im Bürgerkrieg der wichtigste Verbündete des syrischen Machthabers Baschar al-Assad.

Türkei bat Nato-Partner um Unterstützung

Eines der am schwersten vom Erdbeben betroffenen Gebiete war die Region Idlib in Syrien, die von Rebellen gehalten wird. Dies dürfte dort die staatliche Nothilfe erschweren. Die syrische Regierung rief die internationale Staatengemeinschaft zur Hilfe auf. Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg in Syrien kontrollieren Assads Regierungstruppen wieder rund zwei Drittel des Landes.

Die Türkei bat ihre Nato-Partner um Unterstützung. Konkret wurden etwa drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal für deren Einrichtung genannt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte bereits am Vormittag mitgeteilt, Alliierte seien dabei, Unterstützung zu mobilisieren.

Hilfsorganisationen und Gemeinden in den betroffenen Regionen riefen neben Blutspenden auch zu Sachspenden auf und baten etwa um Decken, Heizer, Winterkleidung. Zahlreiche Organisationen aus Deutschland baten um Spenden und kündigten Soforthilfen an.

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Menschen und Rettungsteams versuchen in Adana, eingeschlossene Bewohner in eingestürzten Gebäuden zu erreichen.

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Menschen und Rettungskräfte bergen eine Person auf einer Bahre aus einem eingestürzten Gebäude in Adana.

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Beschädigte Fahrzeuge vor einem eingestürzten Gebäude in Diyarbakir.

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Die Moschee in Malatya (Türkei) wurde durch das Erdbeben zerstört.

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Unter Trümmern begraben: Auch die nordsyrische Stadt Azmarin ist von dem Erdbeben betroffen.

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Rettungskräfte versuchen, verschüttete Bewohner in einem eingestürzten Gebäude in Diyarbakir zu erreichen.