Freiwillige Kompensationen
Klimaschutz-Projekte: So können Fluggäste ihren CO2-Ausstoß ausgleichen
7. August 2019, 8:47 Uhr aktualisiert am 7. August 2019, 8:47 Uhr
Wer fliegt, verursacht viele klimaschädliche Emissionen. Man kann das wiedergutmachen, indem man den Ausstoß kompensiert. Wie das geht und warum es trotzdem kein Freischein ist.
Früher hat man noch von einer Flugreise nach Amerika, Australien oder in die Karibik geschwärmt, heute schämen sich viele dafür. Stichwort: klimaschädliche CO2-Emissionen. Die häufig debattierte Frage: Sollte man überhaupt noch fliegen?
Wer nicht darauf verzichten kann oder will, hat eine andere Möglichkeit, seinen dadurch verursachten CO2-Ausstoß zumindest auszugleichen: mit freiwilligen Kompensationen, die an Klimaschutz-Projekte gehen.
- Wie funktioniert das?
Erst wird berechnet, wie viel Emissionen ein Flug verursacht, erklärt das Umweltbundesamt. Das bieten NGOs wie Atmosfair an. Der AZ erklärt die Atmosfair-Entwicklungschefin Michaela Thurau das Prinzip: "Unser CO2-Flugrechner berechnet die Klimawirkung des Flugs in Kilo CO2. Diese Emissionen haben einen Geldwert." Bei Atmosfair liegt er bei 23 Euro pro Tonne. Die Spende verwende Atmosfair dann dafür, etwa erneuerbare Energien in Entwicklungsländern auszubauen. Auch das Umweltbundesamt bietet einen Rechner an. Er kann als Vergleich dienen.
- Welche Faktoren werden einbezogen? Thurau erklärt: "Die CO2-Emissionen von Flügen und ihre Effekte hängen nicht nur von der Distanz des Fluges, sondern auch vom Flugzeugtyp, der Auslastung des Flugzeugs, der Flughöhe und dem Zustand der Atmosphäre zu dem Zeitpunkt ab, an dem das Flugzeug sie durchfliegt und die Schadstoffe ausstößt." Zudem werden nicht nur CO2-Emissionen betrachtet, sondern die gesamte Klimawirkung eines Flugs. "Das sind Kondensstreifen, Rußpartikel, Ozonbildung, Zirruswolken, die in ihrer Gesamtheit einen zusätzlichen Treibhausgaseffekt bewirken."
2018 sind bei Atmosfair 9,5 Millionen Euro zusammengekommen. (Quelle: Atmosfair)
- Kann man sich damit vom schlechten Gewissen einfach "frei" kaufen und muss somit nicht mehr über Emissionen nachdenken? Nein. Das Umweltbundesamt schreibt ausdrücklich, dass das "keine Lizenz zum umweltschädlichen Handeln" sein soll. Es geht in erster Linie einmal darum, sich klar zu machen, wie viel CO2 man selbst eigentlich produziert. Auf dieser Basis sollte man versuchen, seine individuellen Emissionen zu verringern und zu vermeiden. Etwa, indem man öffentliche Verkehrsmittel nutzt, energieeffiziente Haushaltsgeräte verwendet, weniger Fleisch isst oder etwa: nicht mehr oder zumindest weniger fliegt. Dann kommt Schritt 3 ins Spiel: verbliebene Emissionen ausgleichen.
- Welche Projekte werden gefördert? Laut Umweltbundesamt gehören zu den häufigsten Projekten das Aufforsten von Wäldern oder die Förderung von erneuerbaren Energien wie Biogas, Biomasse, Solar oder Wind. Ausgangspunkt soll sein, dass die Projekte ohne die Kompensationserlöse nicht hätten umgesetzt werden können. Meistens finden sich die Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern. Laut Thurau von Atmosfair profitieren dadurch auch die Menschen vor Ort, "da sie zum ersten Mal Zugang zu sauberer und ständig verfügbarer Energie erhalten".
- Welche Anbieter gibt es? Bekannte neben Atmosfair sind myclimate oder Goclimate. Alle drei wurden schon 2010 uneingeschränkt von Verbraucherschützern empfohlen, als bei manch anderen noch die Berechnungen bemängelt wurden. Aber auch bestimmte Fluglinien bieten es an. Lufthansa etwa arbeitet mit myclimate zusammen.
- Wie überprüft man die Seriösität? Gute Anbieter raten Kunden erst einmal dazu, Emissionen zu vermeiden, wo immer es möglich ist - schreibt das Umweltbundesamt in seinem Ratgeber zum Thema. Beispiel: Bei Atmosfair wird beim Flug von München nach Hamburg angezeigt, dass man doch den Zug nutzen könnte. Zudem müssen sie verständlich und transparent erklären, für welches Projekt und in welchem Land man die Zertifikate erwirbt. Auch Jahresberichte aus den Projekten sind ein Zeichen für Seriösität. Auch wichtig: Qualitätsstandards. Sie sollen garantieren, dass die Kompensationen wirklich ausgeglichen werden. Die wichtigsten internatio- nalen Stan- dards: CDM (Clean Developement Mechanism; Kriterien der UN), Gold Standard oder auch Verified Carbon Standard.
- Kann die Umsetzung überhaupt kontrolliert werden? CDM-Projekte etwa lässt Atmosfair in der Regel einmal jährlich durch unabhängige akkreditierte Prüfer der UN prüfen. Das schaut laut Thurau so aus: Das Projekt wird besucht, eine Stichprobe an Haushalten aufgesucht und kontrolliert, ob l die Biogasanlage gebaut wurde, À im Einsatz ist und à die Nutzer befragt, wie zufrieden oder unzufrieden sie mit der Technologie sind. Der Prüfbericht könne von jedem auf der Homepage eingesehen werden. Hier geht's zum Ratgeber des Umweltbundesamtes
Mehr Menschen machen mit
Wie entwickelt sich die Idee mit den freiwilligen Kompensationen? Michaela Thurau von Atmosfair sagt der AZ: "Seit dem heißen und trockenen Sommer 2018 haben offensichtlich viele Menschen gemerkt, dass der Klimawandel nicht abstrakt und weit weg ist, sondern direkt vor der Haustür stattfindet."
Die Kompensationseinnahmen von Atmosfair seien 2018 um 45 Prozent gestiegen im Vergleich zum Vorjahr. Und die vorläufigen Zahlen für 2019: "Im ersten halben Jahr konnten wir einen Zuwachs von 50 Prozent verzeichnen im Vergleich zum ersten Halbjahr 2018." 2018 sind bei Atmosfair demnach 9,5 Millionen Euro zusammengekommen.
Projekt in Ruanda: Effiziente Öfen
Eines der Projekte, das Atmosfair unterstützt, ist der Verkauf von hocheffizienten Holzöfen vom Typ "Save80" in Ruanda. Diese Öfen benötigen laut der NGO etwa 80 Prozent weniger Holz zum Kochen. Die Vorteile: weniger Ausgaben für Brennstoff, weniger gesundheitsschädlicher Rauch, weniger Abholzung. Weiter rechnet Atmosfair der AZ vor: "Jeder Ofen spart pro Jahr etwa 2 bis 2,5 Tonnen CO2 ein, das ist mehr, als ein Mittelklassewagen mit einer Jahresfahrleistung von 10.000 Kilometern ausstößt."
Projekt in Indien: Strom aus Ernteresten
Eine weitere Möglichkeit, an die man seine Kompensationen leisten kann: Zwei Biomassekraftwerke in Tonk und Ganganagar verwenden laut Atmosfair jetzt die Erntereste, um daraus Strom zu produzieren. Tausende Kleinbauern in Indien verkaufen die vorher wertlosen Reste an den Anlagenbetreiber. Damit sie den Brennstoff nicht über weite Strecken selbst zu den Kraftwerken bringen müssen, sind Sammelzentren im Umkreis von 50 Kilometern um das Werk eingerichtet, schreibt Atmosfair.
Projekt in Nepal: Kleinanlagen für Biogas
In ländlichen Regionen Nepals baut Atmosfair Kleinbiogasanlagen für Haushalte und Bauernfamilien. Diese müssen mindestens zwei Rinder, Büffel oder ähnliches Vieh besitzen - damit genügend Dung für einen kontinuierlichen Betrieb der Anlage anfällt. Die Gülle wird mit Wasser gemischt und in einem Faulbehälter gesammelt. Durch die anaerobe Vergärung entsteht Gas, welches sich im oberen Teil der Anlage sammelt. Dieses wird über Rohre zu den Gaskochern in die Küchen geleitet.
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