SOS-Helferin in Mosambik
Katharina Ebel: "Die Menschen stehen vor dem Nichts"
9. Mai 2019, 17:59 Uhr aktualisiert am 9. Mai 2019, 19:47 Uhr
Mosambik ist innerhalb weniger Wochen von zwei schweren tropischen Wirbelstürmen erschüttert worden. Zyklon "Idai" kam Mitte März auf das südostafrikanische Land zu, "Kenneth" wütete an Ostern. Die Stürme hinterließen eine Spur der Verwüstung. Hunderte Menschen starben. Tausende sind verletzt oder krank. Die SOS-Kinderdörfer in Mosambik sind vor Ort und versuchen, die Not der Menschen zu lindern. Katharina Ebel, Expertin für Katastrophenhilfe der SOS-Kinderdörfer weltweit, spricht im Interview über ihre Arbeit, die Folgen der Stürme für die Kinder und die Zukunft des Landes. Mosambik gehört einem UN-Index zufolge zu den zehn ärmsten Staaten der Welt.
Frau Ebel, vor über einem Monat ist die Stadt Beira in Mosambik vom Zyklon "Idai" heimgesucht worden. Ein paar Wochen später kam "Kenneth". Wie würden Sie die Situation dort beschreiben?
Katharina Ebel: Man würde ja annehmen, da ist überall Wasser. Das habe ich zumindest gedacht. Aber als ich den Flughafen verlassen habe, war ich überrascht. Da war nichts. Totale Verwüstung. Das Wasser war weg. Und mit dem Wasser auch die Häuser. Wie nach einer riesigen Flut, die einmal um sich greift und alles um sich herum wegspült. Alles war zerstört. Lose Stromkabel, abgeknickte Straßenlaternen. Riesige Bäume waren umgeknickt, zum Teil entwurzelt. Der Strand und die Häuser dort sahen aus, als hätte ein Riese drüber getrampelt.
Wie ist die Lage in anderen Städten des Landes?
Ebel: Im SOS-Kinderdorf in Pemba waren die Leute bei "Kenneth" vorbereitet. Unsere Häuser sind zudem sehr stabil. Das Auge des Sturms hat Pemba aber nicht getroffen. So extrem wie nach dem ersten Sturm in Beira lief es nicht ab. In der Region um Pemba waren der Starkregen und die Überschwemmungen das größere Problem. Die Gegend um Beira war auch nach Wochen noch überflutet. Die Region ist eine recht fruchtbare flache Ebene, die jetzt unter dem Meeresspiegel liegt. Dort leben größtenteils Bauern. Ihre Häuser, Ackerflächen und das Saatgut für die nächste Ernte sind weggeschwemmt worden, die Viecher gestorben. Diese Menschen stehen vor dem Nichts.
Was war Ihre Aufgabe?
Ebel: Das internationale Team und ich haben die Nothilfe für "SOS" koordiniert. Vor Ort gibt es lokale Teams. Leider sind bei solchen Katastrophen auch oft unsere Mitarbeiter betroffen. Deren eigene Häuser sind zum Teil stark beschädigt. Deshalb brauchten unsere lokalen Teams in der ersten Zeit Verstärkung. Zwei Traumapsychologen haben die Opfer betreut, unser Team hat Nahrungsmittel an Familien in den umliegenden Armenvierteln verteilt. Wir haben Wasser aufbereitet, um der Cholera entgegenzuwirken. Wichtig war vor allem, Familien, die vor dem Nichts standen, psychologisch zu begleiten. Ihnen klar zu machen: "Keine Panik, wir kriegen das wieder hin!"
Wie gehen die Menschen mit dem Erlebten um?
Ebel: Jeder Mensch reagiert anders. Eine Frau hat mir erzählt, dass einer ihrer Zwillinge in ihren Armen gestorben ist. Sie reagierte zum Beispiel mit extremer Hilfsbereitschaft. Sie zog los und versuchte, ihr eigenes Haus wieder aufzubauen und ihre Familie zu versorgen. Sie ging in eines der Cholerazentren und half den Kranken. Eine andere Mutter baute innerhalb von drei Tagen eine Lehmhütte für sich und ihre Kinder wieder auf. Um mehr Einkommen für die Familie zu erwirtschaften, bereitete sie Teigtaschen zu und verkaufte diese. Die Erwachsenen sind nun mal für ihre Kinder verantwortlich. Da bleibt wenig Zeit, um sich selbst mit dem Erlebten auseinanderzusetzen. Eigentlich doppelter Stress. Sobald die Bilder wieder hochkommen, brechen viele zusammen. Andere ziehen sich komplett zurück.
Und wie reagieren Kinder?
Ebel: Völlig unterschiedlich. Ein Junge hat mir von seinen Alpträumen erzählt, in denen er wegrennt und die Bäume auf ihn drauf fallen. Das war eine recht reale Szene. Das ist so ungefähr passiert. Er fing an zu weinen. Seine Oma hat ihn sofort gemaßregelt. Unsere Psychologen haben sich für den Jungen eingesetzt und klargemacht, dass seine Reaktion in Ordnung ist. Darüber reden hilft. Tränen sind gut. Gleichzeitig muss der Junge verstehen, dass er jetzt in Sicherheit ist.
Wie kann man Kinder auf den Notfall vorbereiten?
Ebel: Bei uns im Dorf haben wir die Kinder über den Sturm informiert. Die Kinder haben Ketten gebildet, sich an den Händen gefasst, um von einem Haus zum anderen zu kommen. Für die Notsituation trainiert sozusagen. Sie wussten, was passieren wird. Während des Sturms haben wir mit ihnen gespielt und gesungen. Wir haben sie einfach abgelenkt. Unsere Kinderdorfhäuser sind ja stabil. Für Kinder außerhalb des Dorfes sieht das anders aus. Diese Kinder haben oft Bilder im Kopf, die sie nicht mehr loslassen. Sie weinen viel, ziehen sich zurück. Sie haben Angst. Bis sie darüber hinwegkommen dauert. Je positiver die Eltern sind, umso besser geht es den Kindern. Auch ein geregelter Alltag und Schule helfen, solange das traumatische Erlebnis einmalig bleibt.
Infolge des ersten Wirbelsturms sind tausende Menschen an Cholera erkrankt. Konnte die Ausbreitung bereits eingedämmt werden?
Ebel: Ja, durch eine massive Impfkampagne für 900.000 Leute. Die Kampagne umfasst das komplette Gebiet um Beira. Gerade noch rechtzeitig hat UNICEF damit begonnen. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Impfstoff etwa eine Woche braucht, um zu wirken. Eigentlich bräuchte man zwei Impfungen, die Zeit hatte man aber nicht. Aber besser als nichts. In der kompletten Stadt und allen umliegenden Gebieten haben die Menschen Impfungen bekommen. Sonst hätte man die Krankheit nicht mehr in den Griff gekriegt. Das Trinkwasser war das Hauptproblem. Es war größtenteils verseucht und so schnell hätte es nicht wieder aufbereitet werden können.
Sind Kinder besonders von der Cholera bedroht?
Ebel: Ja. Wenn die Krankheit um sich greift, geht es schnell. Vor allem bei Kindern. Kinder sterben an Cholera innerhalb weniger Stunden. Es kommt zu einem massiven Flüssigkeitsverlust im Körper, den Kinder einfach nicht verkraften. Wir reden hier von zwölf bis 24 Stunden, die den Kindern noch bleiben. Treffen kann es zwar jeden, aber Kinder sind einfach schwächer und damit eher anfällig.
Was brauchen die Menschen akut?
Ebel: Sie brauchen Begleitung beim Wiederaufbau ihrer Häuser und ihrer Existenzen. Über diese akute Phase muss man den Leuten hinweghelfen. Die Einkommensquelle fehlt ja. Alles ist weg. Der Bauer braucht erst mal wieder eine Ernte. Der Händler braucht Waren, die er verkaufen kann. Die Leute schaffen es nicht alleine.
Was braucht die Region langfristig?
Ebel: Wirtschaftliche Stabilität. Damit die Leute nicht mehr in extremer Armut leben. Genau das macht sie ja hilfsbedürftig und abhängig. Die Region an sich muss auf die Beine kommen. Bildung und wirtschaftliche Maßnahmen sind nötig. Auch vorbereitende Maßnahmen braucht die Region. Solche Wetterlagen nehmen zu. Aufklärung ist hier notwendig. Die Bevölkerung muss besser informiert werden. Auf den Zyklon war niemand vorbereitet. Solche Stürme kannten die Menschen in Mosambik nicht. Für solche Fälle braucht es Notfallpläne und Notunterkünfte, in die sich die Menschen flüchten können. Es braucht zudem eine bessere Koordination für Soforthilfen, damit die Bevölkerung schneller versorgt werden kann. "Idai" hat die Menschen unvorbereitet getroffen. Das darf nicht noch mal passieren.
Wie lange wird Mosambik noch auf Soforthilfe angewiesen sein?
Ebel: Sechs bis acht Monate. Bis die nächste Ernte kommt und die Menschen ihre Lebensgrundlagen wiederaufbauen konnten.