Schmähgedicht
Ein Kunstwerk? - Böhmermann wird weiter hitzig diskutiert
10. April 2016, 14:43 Uhr aktualisiert am 10. April 2016, 14:43 Uhr
Inzwischen ist es also eine "Staatsaffäre". Als solche bezeichnen einige Medien die Debatte um das umstrittene Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann. Eineinhalb Wochen ist es nun her, dass der 35-Jährige in seiner satirischen Late-Night-Show "Neo Magazin Royale" in einem Text namens "Schmähkritik" über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan herzog. Er handelte sich einen Rüffel von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ein.
Und der Fall zieht weitere Kreise. Jetzt hat Mathias Döpfner - Chef eines der führenden Medienhäuser Europas - für Böhmermann Partei ergriffen. "Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen", schreibt der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer ("Bild", "WeltN24") in einem offenen Brief. "Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht", bekennt Döpfner - und erklärt: "Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und beleidigend war, war ja - wenn ich es richtig verstanden habe - der Sinn der Sache."
Böhmermann hatte das Gedicht mit dem Titel "Schmähkritik" am 31. März im Digitalkanal ZDFneo präsentiert - und vorher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass so etwas in Deutschland nicht erlaubt sei. Anlass war Erdogans Protest gegen einen vergleichsweise harmloseren Satire-Beitrag des NDR-Fernsehmagazins "extra 3". Böhmermann witzelte, er wolle Herrn Erdogan mal an einem praktischen Beispiel erklären, was in Deutschland von der Satire-Freiheit gedeckt sei und was nicht.
"In Deutschland brach eine Art Staatskrise aus, nur weil Sie Herrn Erdogan als "Ziegenficker" bezeichnet haben", schreibt Döpfner in seinem offenen Brief in der "Welt am Sonntag". "Ein Kunstwerk", urteilt der Chef des Medienhauses, das gewöhnlich im eher konservativen Spektrum verortet wird. Der Leitartikel des aktuellen "Spiegel" kommt zu einem ähnlichen Schluss: "Und natürlich war Böhmermanns Beitrag keine Schmähkritik, sondern das Spiel mit ihr."
Einer anderen Lesart folgt die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". "Man kann Erdogan mit guten Gründen kritisieren, auch mit den Mitteln der Satire. Aber indem man ihn als Sodomisten bezeichnet, sagt man ausschließlich etwas über sich selbst. Man will der sein, der sich traut, sowas zu sagen. Man ist der Gute, der den Bösen beschimpft. Das ist Pubertät, nicht Humor und erst recht nicht Politik", meint Autorin Friederike Haupt.
Und Böhmermann selbst? Von ihm war am Wochenende nichts weiter zu hören. Schon am Freitagabend machte er sich rar, als die festliche Gala zur Verleihung der begehrten Grimme-Fernsehpreise im westfälischen Marl anstand. In Abwesenheit bekam er den Grimme-Preis für seine Satire über den Mittelfinger des früheren griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis - mit der sogenannten Varoufake-Aktion hatte Böhmermann schon im März 2015 viel Aufsehen erregt.
Auch ohne persönlich anwesend zu sein, war Böhmermann in Marl der Star des Abends. Zum Schluss setzte der Deutsche Volkshochschul-Verband als Stifter der Grimme-Preise dann noch einen drauf: Böhmermann bekam auch die "Besondere Ehrung" - für seine Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens in der digitalen Welt. Dass die Würdigung mit der Debatte um das umstrittene Erdogan-Gedicht zusammenfiel, war Zufall.
"Dieses Gedicht hat sicherlich die Grenzen des guten Geschmacks verletzt und ist sicher alles andere als grimme-preis-würdig", stellte DVV-Präsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die auch saarländische Ministerpräsidentin ist, fest. Aber das ändere nichts an Böhmermanns Qualitäten und Leistungen für eine offene, mutige und demokratisch-gelassene Medienwelt, betonte sie. "Deshalb ist diese Ehrung verdient."