AZ-Interview
Zaimoglu über Immendorf: Dem Tod lachend entgegen tanzen
27. November 2018, 8:42 Uhr aktualisiert am 27. November 2018, 8:42 Uhr
Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu blickt im Haus der Kunst in München auf das Werk des großen Malers Jörg Immendorf.
München - Er kennt das Gefühl, vor einem leeren Blatt zu sitzen - oder vor einer weißen Leinwand. Und mit Büchern wie "Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft" ging er in jüngeren Jahren selbst ganz gerne auf Konfrontation. Schon deshalb ist der Schriftsteller und Maler Feridun Zaimoglu eine Art idealer Ermittler im Fall Jörg Immendorff.
Seine Annäherungen sind im Katalog zur großen Retrospektive des 2007 verstorbenen Künstlers nachzulesen und am Mittwoch live im Haus der Kunst zu erleben, wenn Zaimoglu aus "Ich Immendorff - 100 fliegende Zettel" liest. Der 53-jährige Schriftsteller aus dem türkischen Bolu wuchs in Deutschland auf und studierte Medizin und Kunst in Kiel, wo er seit 1985 lebt.
Feridun Zaimoglu
AZ: Herr Zaimoglu, haben Sie heute schon gezeichnet?
FERIDUN ZAIMOGLU: Beim Telefonieren mit meiner Mutter habe ich kleine Zeichnungen gemacht. Sie gab mir wegen meines Schnupfens ein Rezept für Hühnersuppe durch - dabei kann ich gar nicht kochen.
Und was zeichnen Sie nebenbei?
Mal Krickelkrakel, mal entsteht sogar eine Vorstudie für ein Bild.
Hat sich die Beschäftigung mit Jörg Immendorff auf Ihre Malerei ausgewirkt?
Die Auseinandersetzung mit anderen Malern hinterlässt immer Spuren. Ich wende mich ja immer wieder ab von meiner Malerei und sage mir, was soll denn das noch werden, das ist doch lächerlich. Wofür? Aber durch die intensive Beschäftigung mit Immendorff hatte ich wieder große Lust zu malen. Gleichzeitig wurde ich schwermütig, denn das sind ja Bilder, die nicht zur Erheiterung taugen. Aber das ist auch gut so.
Für Ihren Roman über das dünne Ex-Model "Isabel" haben Sie 15 Kilo abgenommen und für das Luther-Buch "Evangelio" unter anderem auf kalten Burgen übernachtet. Welche Schauplätze Immendorffs haben Sie aufgesucht?
Es blieb bei der Kunst. Ich habe mir tage- und wochenlang seine Bilder angeschaut bis sie mir dann in meine Träume eingeschliert sind. Und da nicht wenige der Bilder als Traumbilder komponiert sind, war's mir so, als würde ich im Schlaf durch seine Traumlandschaften gehen.
Der Maler Jörg Immmendorff. Foto: Albrecht Fuchs
Zaimoglu: Das Markante am Deutschen sind die Selbstzweifel
Worüber sind Sie denn in Immendorffs Landschaften gestolpert?
Jörg Immendorff war und blieb ein deutscher Maler. Das hat man seltsamerweise erst gemerkt, als er sich mit der Mauer beschäftigte und die "Café Deutschland"-Bilder malte. Aber dieser große Erzähler war schon immer ein deutscher Maler gewesen.
Woran machen Sie das bei ihm fest?
Das Markante am Deutschen sind die Selbstzweifel, ist die Selbstzerstörung und in diesem Falle die Selbstvergeudung. Das ist mir ja nicht fremd. Weil Immendorff ein deutscher Maler ist, brachte er - ob bewusst oder unbewusst - Motive der düsteren deutschen Romantik in seine Bilder. Es ist der Wald, durch den er geht und der für das Dickicht steht. Es ist der düstere Himmel. Es ist die Naht, die aufplatzt, die Wunde, die sich nicht schließt. Es ist der unheilige Boden, auf dem er sich bewegt. Im Grunde ist das ein großer Totentanz.
Ein Totentanz im spätmittelalterlichen Sinne?
Ja, Immendorff hat sich auch auf die Tradition berufen, auf die Bilder der Krankheiten, der Schwänke, des Aberglaubens und der Sophisterei. Das hat er mehr und mehr aufgenommen und dann besonders intensiv, als man bei ihm die tödliche Nervenkrankheit ALS diagnostizierte. Irgendwann konnte Immendorff den Pinsel nicht mehr selbst halten und ließ seine Assistenten malen.
Zaimoglu: Plötzlich wachsen Finsternisse in die Bilder hinein
Was halten Sie von diesem Spätwerk?
Es sind seine Bilder, auch wenn er "untätig" ist.
Spricht da der Schriftsteller, der seinen Roman auch diktieren könnte?
Es sind doch Immendorffs Gedanken und Ideen, die seine Assistenten umgesetzt haben! Ich bin immer recht entgeistert, wenn eine Idee aus den USA kommt und alle applaudieren. Hat die Idee hier ihren Ursprung, muss man mäkeln und rummaulen. Ich brauche ja nicht erst auf Jeff Koons und andere verweisen, die mit der Idee der Originalität gebrochen haben. Hier geht es nicht um eine seltsame Kasperei im Sinne von "Ich lasse malen, das ist jetzt der neue Clou". Hier geht es um eine Krankheit, die Immendorff zerfrisst. Er lässt sich aber weder die Ideen, noch die Bilder zerfressen. Er gab Anweisungen, wie der Meister seinem Schüler Anweisungen gibt.
Wie um 1500 in einer Malerwerkstatt in Nürnberg oder Florenz?
Darauf wollte ich hinaus. Was soll daran falsch sein? Man sollte sich Immendorffs Bilder ansehen. Da ist natürlich das große Krankheitsdrama und all das, was verdrängt wurde. Plötzlich wachsen Finsternisse in diese Bilder hinein.
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Zaimoglu: Kritik bitte nicht mit Lärm und Lautheit
Sie haben für den Immendorff-Katalog keinen klassischen Aufsatz geschrieben, sondern sich fliegende Zettel ausgedacht. Welche Idee steckt dahinter?
Als Maler macht man schnell eine Skizze. Auch Immendorff hat wie wahrscheinlich jeder andere Maler in einer Zettelwirtschaft gelebt. Also wollte ich seinen Alltag in kleinen Skizzen und Zetteln darlegen. Skizzen sind der Ausdruck des Unfertigen - und jeder Maler träumt davon, das Unfertige zu malen. Gleichzeitig erinnern fliegende Zettel auch an Flugblätter.
"Ich dünge Hammer und Sichel", ist da zu lesen. Das passt wunderbar zu Immendorffs Agitprop-Bildern der frühen 1970er Jahre.
Ja, wenn die Horde marschiert, und die Erde bebt … Mao Tse-tung ist der große Führer der Massen. Man weiß ja, wie damals auch Diktatoren und Massenmörder idealisiert wurden. Davon haben sich viele wieder distanziert.
Irgendwann heißt es "Ich wollte Künstler werden, um nicht tropfenden Spargel gegen Kartoffeln einzutauschen." Hat Immendorff mit dem Wohlstand seine alten linken Positionen vergessen?
Nein, anders. Immendorff hat die kommunistischen Symbole als Zeichen entwertet. Für ihn waren sie irgendwann Teile seiner Requisitenkammer. Etwa wenn das Mao-Porträt auftaucht. Er hat im Grunde damit gebrochen, und wie schmerzhaft das für ihn war, vermag ich nicht zu sagen. Aber es ist immer schmerzhaft, wenn man eine Familie oder eine Gemeinschaft verlässt.
Wünschen Sie sich politisch engagierte Künstler wie Immendorff in jungen Jahren - oder ist das gar nicht die Aufgabe der Künstler, wie Jonathan Meese meint?
Wenn man politisch wird, darf der Einsatz nicht dazu führen, dass man Kunsthandwerk liefert. Man muss ernsthaft seine Kunst betreiben und kann sich schon über Missstände äußern. Aber bitte nicht mit Lärm und Lautheit, und bitte nicht mit den Mitteln der Volkspädagogik, als wollte man jetzt die Doofen der Republik mal aufklären. Wenn ich Kritik übe, will ich das nicht mit simplen Parolen tun. Genauso bin ich ungern bereit, zu jedem Sachverhalt eine Meinung zu haben. Oft genug ist Mist entstanden, wenn Erzähler ein politisches Buch geschrieben haben.
Sich vornehm zurückzuhalten, kann aber nicht die Lösung sein.
Aber nein, dann lebt man vor sich hin und wird irgendwann vom Luxus der Langeweile aufgefressen. Oder man wird sehen, dass das genormte Leben - und nichts anderes ist die Politik - einen bereits eingeholt oder überholt hat.
"Jörg Immendorff. Für alle Lieben in der Welt", bis 21. Januar täglich von 10 bis 20, Donnerstag bis 22 Uhr, im Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1. Szenische Lesung mit Feridun Zaimoglu am Mittwoch, 20 Uhr, Dauer ca. zwei Stunden, Eintritt 13 Euro, Anmeldung unter Telefon 089-21127113