Kultur

Vom Schicksal der Bilder

Der Berliner Künstler Norbert Bisky hat denverschollenen "Turm der Blauen Pferde" vonFranz Marc nachgemalt - und wieder zerstört.Im neu eingerichteten Schloßmuseum Murnau steht das Ergebnis für schmerzliche Leerstellen


Der Maler Norbert Bisky vor seiner Installation "Untitled (Franz Marc)". Münchner Museumsgänger sollten ein Déjà-vu haben - die Arbeit entstand auf Einladung der Graphischen Sammlung und war 2017 in der Ausstellung "Vermisst! Der Turm der Blauen Pferde von Franz Marc" in der Pinakothek der Moderne zu sehen. In Murnau steht sie nun für die dunkle Seite der Geschichte des Expressionismus.

Der Maler Norbert Bisky vor seiner Installation "Untitled (Franz Marc)". Münchner Museumsgänger sollten ein Déjà-vu haben - die Arbeit entstand auf Einladung der Graphischen Sammlung und war 2017 in der Ausstellung "Vermisst! Der Turm der Blauen Pferde von Franz Marc" in der Pinakothek der Moderne zu sehen. In Murnau steht sie nun für die dunkle Seite der Geschichte des Expressionismus.

Von Christa Sigg

Farbe muss sein, am besten noch in markante Formen gebracht. Das sieht man schon am Pullover, den Norbert Bisky schnell fürs winterkalte Oberland aus dem Koffer gezogen hat. Im Schloßmuseum Murnau, das seine Blaue-Reiter-Sammlung nun erhellend neu präsentiert, nimmt Biskys Beschäftigung mit Franz Marcs "Turm der Blauen Pferde" eine zentrale Rolle ein. Das Original ist seit 1945 verschollen - wie so vieles, das in den Kriegswirren unterging oder von den Nazis beschlagnahmt, verscherbelt, zerstört wurde. Gerade der Expressionismus ist mit dieser unfassbaren Barbarei verknüpft, ganz zu schweigen von der Enteignung und Verfolgung vieler seiner Sammler.

AZ: Herr Bisky, Sie kommen gerade aus dem warmen Spanien. Wie finden Sie Murnau und die Berge?

NORBERT BISKY: Ich muss gestehen, dass ich noch nie in dieser Gegend war. Doch obwohl es heute etwas neblig und trüb ist, finde ich das Panorama ziemlich eindrucksvoll. Am Wegesrand sind mir einige schöne Gehöfte aufgefallen, die wären ideal für Ateliers. Aber sagen Sie das bloß nicht den Bauern.

Den Malern des Blauen Reiter ging es ähnlich, sie haben sich in diese Gegend verguckt und sind vor über 100 Jahren ins "Blaue Land" gezogen.

Das wird auch sicher nicht mein letzter Besuch in Murnau sein. Vor einem Jahr habe ich in Georgia eine Ausstellung gemacht - und alle kannten Murnau! Dieser magische Ort ist in der Kunstwelt sehr geläufig.

Gibt es eine besondere Beziehung zu Franz Marc, bei dem die Farben ja auch eine große Rolle spielen?

Außer, dass wir beide Fans von Blau, Gelb und Rot sind, stand ich Franz Marc anfangs nicht so nahe. Aber durch die Beschäftigung mit dem verschollenen, ich meine sogar zerstörten "Turm der Blauen Pferde" hat sich das dann sehr verändert. Ich habe sein Bild ja so gut es nur ging nachgemalt.

Das sieht man selbst nach der Zerstörung.

Ja, ich habe eine Leinwand besorgt, wie sie Franz Marc benutzt hat, den historischen Keilrahmen nachgebaut, Ölfarben genommen, die um 1913 benutzt wurden. So ist eine besondere Intimität entstanden. Normalerweise würde ich ja niemals das Bild eines anderen abmalen.

Das ist eher die Sache von Fälschern.

Mein Interesse war ein völlig anderes. Die Zerstörung des Bildes kann man nur verstehen, wenn man den ganzen Entstehungsprozess durchläuft.

Sie ließen keine Gnade walten.

Nachdem ich das Bild fertig gemalt hatte, warf ich es aus dem Atelierfenster in den Hof. Dort schoss ich dann mit einer Luftdruckpistole drauf, habe es angezündet und schließlich mit einer Axt bearbeitet. All diese Zerstörungsschritte kann man jetzt in der Ausstellung im Schloßmuseum Murnau nachvollziehen. Wir sehen ja immer nur digitale Bilder von Zerstörung, Kriegen und Konflikten, weil wir das hier in Deutschland Gott sei Dank nicht mehr gewohnt sind.

Tut es nicht weh, wenn man ein mühsam gemaltes Bild so gnadenlos attackiert?

Natürlich! Aber Zerstörung ist schmerzhaft, und mir ist dabei wirklich klar geworden, was für ein Albtraum es ist, dass so viele großartige Kunstwerke verschwunden oder vernichtet sind. Als ich die Arbeit 2017 gemacht habe, war der Krieg in der Ukraine noch sehr weit weg. Nun müssen wir uns umso mehr klar machen, was dieser Wahnsinn für Auswirkungen hat. Auch für die Kultur.

Es gibt ja noch eine andere Variante, Bildern zu nahe zu treten. Wie sehen Sie es als Künstler, wenn sich Klimaschutz-Aktivisten an Gemälde kleben oder sie mit Tomatensuppe bewerfen?

Da bin ich gespalten. Auf der einen Seite habe ich große Sympathie für die jungen Leute, die sagen, hört auf, unserer Erde zu zerstören. Aber wenn Werke wirklich demoliert werden, ist das problematisch. Vielleicht sollte ich sagen, nehmt lieber ein Bild von mir als von Rembrandt! Meine Bilder halten einiges aus, und zur Not kann ich sie wieder restaurieren. Wie immer ist es ein bisschen komplizierter, als man denkt.

Sie sind für Ihre intensiven Farben bekannt. War das eine Art Gegenentwurf zur DDR?

Absolut. In Leipzig und in Ostberlin, wo ich groß geworden bin, ist das Wetter im Winter zwar immer noch trübe wie vor 30 Jahren, nur kam damals hinzu, dass die Städte kaputt waren und unheimlich viele Grautöne vorgeherrscht haben. Deshalb habe ich eine ganz besondere Liebe zur Farbe entwickelt. Das ist doch Lebensenergie. Ich kann mir auch nicht vorstellen, zum Beispiel Schwarzweiß-Bilder zu malen.

Ihr Kunstplakat zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 haben viele noch in Erinnerung. Farben vermitteln erst einmal eine heile Welt - aber der Schein kann trügen.

Das Verrückte ist doch, dass Bilder eben nie so ganz in Sprache zu übersetzen sind. Und jeder kommt mit seinen eigenen Vorstellungen. Das Plakat zur Fußball-WM ist bald 20 Jahre alt. Und komisch, ich habe jetzt lange Zeit ganz andere Farben benutzt, aber letztes Jahr wieder mit ganz ähnlichen Farben wie 2006 gemalt. Das verändert sich und hat viel mit Atmosphäre und Stimmung zu tun.

Sie haben junge, sportliche Männer in sommerlicher Atmosphäre gemalt. Dann gab es einen Bruch und die Hinwendung zum Düsteren. Ist das die Apokalypse?

Einspruch, letztes Jahr habe ich neun propere Walküren für die Staatsoper in Stuttgart gemalt. Es gib also durchaus auch andere Themen.

Ja, Frauen!

Viele sogar, eine ganze Ausstellung nur mit Frauen. Aber es stimmt, ich habe unglaublich lange viele düstere, dunkle, teils auch brutale Bilder gemalt. Momentan ist das Gegenteil der Fall, weil ich es so schrecklich finde, dass wir einen realen Krieg in Europa haben. Ich vermeide bewusst, etwas zu malen, dass als Kommentar auf diesen Krieg missverstanden werden könnte.

In Ihren Bildern kommt durchaus christliche Ikonografie vor, Kreuze zum Beispiel.

Wenn man sich mit europäischer Malerei beschäftigt, kommt man an diesen Motiven gar nicht vorbei. Und natürlich habe ich mich viel mit den Bildern der alten Meister beschäftigt, unter anderem in Madrid studiert und viel Zeit im Prado vor den fantastischen Werken von Goya, Ribera und anderen verbracht. Das waren oft religiösen Themen wie Kreuzabnahmen, Himmelfahrt und Abendmahl, deshalb spielt das immer wieder in meine Bilder hinein. Selbst die Werbung im Fernsehen und Internet kommt nicht ohne christliche oder religiöse Motive aus.

Sie sind damit aber nicht aufgewachsen?

Doch, meine Mutter hatte eine unglaubliche Begeisterung für Ikonen, aber keine Möglichkeit, an Originale zu kommen. Also hingen in unserer Wohnung Reproduktionen von Ikonen. Und die haben mich schon beeindruckt.

Sie kommen aus einer sehr kreativen, auch politischen Familie. Beflügelt man sich gegenseitig, oder hemmt das eher?

Leider sind meine Eltern verstorben, aber mit meinem Bruder Jens, der Autor und Journalist ist, verbinden mich tolle Gespräche. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, und das ist ein großer Gewinn. Mit den Eltern hatte ich das schon auch, obwohl die gerade in den 1990er Jahren intensiv mit der Politik beschäftigt waren.

Es geht in Ihrem Schaffen oft um Spaltungen, vor allem auch die deutsch-deutsche. Hilft das Malen beim Fertigwerden mit Zuständen oder Erlebnissen?

Malen ist meine Form, mit dem Leben klar zu kommen und Dinge zu verarbeiten. Andernfalls würde ich vieles gar nicht aushalten. Das beginnt natürlich schon mit dem großen Konflikt, aus dem ich selbst komme - dem Wahnsinn des 20. Jahrhunderts. Meine Eltern waren beide Flüchtlingskinder, das hat sie sehr geprägt. In Deutschland war das lange vergessen und ist in den letzten Jahren wieder zu einem aktuellen Thema geworden. Diese deutsche Teilung war ein fürchterlicher Wahnsinn, das Sowjetimperium mit all seiner Brutalität, seinen ganzen Propagandalügen - damit bin ich ja noch großgeworden. Deshalb bin ich so dankbar für mein Lebensglück und dass es 1989 friedlich abgelaufen ist. Es wäre durchaus möglich gewesen, ein durchgeknallter Verbrecher wie Putin hätte die Öffnung verhindert. Putin hat ja mehrmals geäußert, dass er es schade findet, dass nicht auf die Demonstranten in Dresden geschossen wurde.

Sie haben 1989 in der NVA Wehrdienst geleistet und hätten womöglich auf diese Demonstranten schießen müssen.

Ja, ich bin ja damals auch abgehauen, aber das wäre umso mehr Grund gewesen zu desertieren.

Stimmt es, dass Sie ohne den Mauerfall nie Künstler geworden wären?

Ja, mein ganzes frei bestimmtes Leben begann erst nach dem Mauerfall. Vorher war ich einsortiert in eine Gesellschaft voller Zwänge, in der DDR wäre ich bestimmt nicht Maler geworden. Und viele haben ja das Land verlassen.

Sie haben bei einem solchen Künstler studiert: Georg Baselitz. Hat das eine Rolle gespielt?

Wir hatten intensive Gespräche, die mir wirklich geholfen haben. Baselitz hat die DDR ja von ihrer ekelhaftesten Seite in den 1950er Jahren kennengelernt und wusste natürlich, aus was für einer Welt ich komme. Das hat sicherlich zum Verständnis beigetragen.

Sie leben auch in Spanien, ist das Ihre Art der Flucht - so wie die Blauen Reiter-Maler München den Rücken gekehrt haben?

Andalusien ist für mich schon auch ein magischer Ort. Viele Kulturen treffen aufeinander. Ich bin diesem offenen Europa dankbar, dass ich eine zweite Heimat in Südspanien finden konnte. Für die Malerei ist das sowieso toll. Während in Berlin und im Norden alles düster und dunkel ist, gibt es dort unglaubliches Licht, und ich kann im Freien stehen und Bilder malen. Auch das ist ein Glück.

Schloßmuseum Murnau, Di bis So 10 bis 17 Uhr

AZ-Interview mit Norbert Bisky

Der 52-jährige Maler aus Berlin hat an der dortigen Hochschule der Künste und in Madrid studiert. Der Sohn des PDS/Die Linke-Politikers und Filmwissenschaftlers Lothar Bisky zählt zu den wichtigsten deutschen Vertretern der figurativen Malerei.