Kultur

Um das Leben spielen

Iván Fischer und das Budapest Festival Orchestra in der Isarphilharmonie


Der Dirigent Iván Fischer - hier mit dem Fahrrad vor dem Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt.

Der Dirigent Iván Fischer - hier mit dem Fahrrad vor dem Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt.

Von Michael Bastian Weiß

Ab und zu sorgt die Isarphilharmonie für gespenstische Momente. Mitten im lustigsten Liebesgetümmel reißt im "Don Juan" von Richard Strauss die Musik ab, der symphonische Held schaut in seinen eigenen Abgrund. Dieser Moment soll schockieren, aber im Gasteig HP8 ist die Stille ohne Atmosphäre, ohne Atmen, kurz: tot. Dabei hatte das Budapest Festival Orchestra die Ekstasen so unwiderstehlich feurig und voller verführerischster Details durchlebt. Iván Fischer, der diesen wunderbaren Klangkörper zusammen mit dem bereits verstorbenen Pianisten Zoltán Kocsis vor genau vierzig Jahren gegründet hat, reagiert sofort auf diesen Exitus und schießt beim Wiedereinsatz besonders viel neue Energien zu.

Die Ungarinnen und Ungarn ziehen sofort mit. Sie sind auf ihren Landsmann eingeschworen und schauen viel mehr auf ihn als in die Noten. Bei ihm gibt es aber auch etwas zu sehen. Wer von seinen Kollegen dirigiert so uneitel nur für das Orchester? Ein aufforderndes Kopfnicken führt zu einem spontanen, doch einhelligen Akzent sämtlicher Violinen, der 72-jährige gibt den Takt fast swingend lässig, aber eben nur da, wo er gebraucht wird, sodass die phänomenale Koordination der Gruppen nie von außen aufgezwungen ist. Selbst nicht bei einer Rarität wie den "Symphonischen Minuten" von Ernst von Dohnányi, einer wertvollen Entdeckung.

Selten kann man beobachten, wie ein Dirigent allein durch seine Kunst, ohne jeden Motivationstrainer-Quatsch, seine Orchestermusiker dazu bringt, um ihr Leben zu spielen. Wenn der symphonische Held im "Till Eulenspiegel" von Richard Strauss die Beine in die Hand nimmt, wippt der Pferdeschwanz der Kontrabassistin wild. Und die schwer beschäftigten Hörner hatten es schon längst verdient, als eine Art Concertino-Gruppe ganz nach vorne gesetzt zu werden - neben den Konzertmeister!

Überhaupt arbeitet Ivan Fischer wirkungsvoll mit der Räumlichkeit des Orchesters. Die ersten und zweiten Violinen sitzen sich, wie es längste Zeit Usus war, im Klavierkonzert von Robert Schumann gegenüber. Weil die zweiten aber so solistisch bewusst spielen wie die ersten, entdeckt das Publikum in diesem vielgespielten Stück unerhörte Kontrapunkte, die sonst im Eifer des Gefechts überdeckt werden. Nicht immer hat das Spiel Rudolf Buchbinders, der selbst noch im rauschendsten Klavierpart pointierte Klarheit schafft, ein so ebenbürtiges Gegenüber. Der Pianist beginnt das Werk introvertiert und öffnet sich erst allmählich der Gemeinschaft, die das Orchester repräsentiert: eine gedankenvolle und berührende Deutung eines Werks, das Musikern und Hörern bisweilen selbstverständlich zu sein scheint. Ist es aber nicht, wie hier gezeigt wird.