Kinoindustrie
"Traumfabrik" Mosfilm produziert seit 100 Jahren Propaganda
31. Dezember 2024, 09:30 Uhr
Ein riesiges Fassadenplakat zu einem Kriegsfilm und Panzerattrappen gleich am Eingang lassen keinen Zweifel daran, welchen Auftrag Russlands größtes Kinostudio Mosfilm in diesen Zeiten zu erfüllen hat. Seit jeher wird Moskaus "Traumfabrik" mit dem markanten Emblem des Arbeiters und der Kolchosbäuerin in der Konfrontation mit dem Westen instrumentalisiert.
Mosfilm-Chef Karen Schachnasarow feierte 2024 nicht nur 100-Jähriges des Staatskonzerns. Der 72 Jahre alte Filmemacher brüstete sich unlängst bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin im Kreml auch, dass Mosfilm aktiv die "militärische Spezialoperation" unterstütze, wie der Krieg offiziell heißt.
Das Kinostudio habe Dutzende Panzer und andere Kampftechnik, "die wir in der militärtechnischen Basis gelagert hatten", den Streitkräften übergeben, sagte Schachnasarow. Er ist linientreuer Unterstützer von Putins Invasion in der Ukraine und arbeitet selbst an einem großen Spielfilm zum Thema. "Wir sind stolz auf Mosfilm", erwiderte Putin. Schon seit Jahrzehnten spezialisiert sich das Kinostudio auch auf Kriegsfilme, um den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg wachzuhalten.
Der Mosfilm-Chef verglich das 34 Hektar große Areal nahe dem Zentrum der Hauptstadt wieder einmal mit Hollywood-Studios wie Warner oder Universal. Dabei ist klar, dass der Staatskonzern angesichts zunehmend repressiver Gesetze und einer rigiden Kulturpolitik kaum frei agieren kann. Mosfilm steht auch für eine lange Geschichte der Zensur und staatlicher Auftragsproduktionen. Unter der Gewaltherrschaft von Sowjetdiktator Josef Stalin gab es auch Opfer in der Filmbranche.
Als der Mosfilm-Chef Boris Babizki in den 1930ern beklagte, dass "das Studio nicht das Recht hat, auch nur eine selbstständige Entscheidung bei einer einigermaßen wichtigen Frage zu treffen", verlor er erst seinen Posten. Dann wurde er - wie viele damals - erschossen wegen angeblicher konterrevolutionärer Umtriebe.
Und Sergej Eisenstein, einer der Pioniere des Kinos, erlag als künstlerischer Leiter bei Mosfilm wohl auch durch den politischen Druck unter Stalin einem Herzinfarkt, wie russische Medien im Jubiläumsjahr des Kinostudios erinnern. Eisenstein brachte es als ein wichtiger Vertreter der Avantgarde mit seinem Streifen "Panzerkreuzer Potemkin" 1925 zu Weltruhm.
In einem Filmmuseum auf dem Studiogelände tauchen Besucher ab in die lange Geschichte, die international bekannte Filmemacher wie Andrej Tarkowski ("Solaris") und Andrej Kontschalowski ("Onkel Wanja") und viele bei Festivals preisgekrönte Streifen hervorbrachte. Oft prägten die Filme die Vorstellung im Ausland über das Leben in der Sowjetunion. Allein in der DDR sahen mehr als zwei Millionen Menschen den in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film "Wenn die Kraniche ziehen" (1957) über ein Liebespaar vor und nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion.
Das Studio umfasst einen ganzen Stadtteil. Es gibt große Außenkulissen, die der früheren Zarenmetropole St. Petersburg nachempfunden sind, und riesige Pavillons mit Sets, Tonstudios, Requisiten, Kostümdepots und einem Filmmuseum. Hier entstehen auch Fernsehserien, Musicals, Musikclips und Werbefilme. Tickets für eine Besichtigung sind immer schnell vergriffen.
"Mosfilm ist eine nationale Errungenschaft Russlands", stellte die Vereinigung der Filmschaffenden zum 100-Jährigen fest. "Auf Hunderten Kilometern Filmrollen sind die Träume und Enttäuschungen einer großen Epoche, die Verdienste des Volkes und menschliche Schicksale verewigt."
Mehr als 2000 Filme hat der Konzern hervorgebracht. Drei von ihnen wurden in den USA mit dem Oscar prämiert. Der Streifen "Moskau glaubt den Tränen nicht" von Wladimir Menschow, der 1981 den Oscar als bester ausländischer Film erhielt, ist bis heute Kult und gilt als Inbegriff sowjetischer Nostalgie. "Krieg und Frieden" von Sergej Bondartschuk wurde 1969 ausgezeichnet, "Die Sonne, die uns täuscht" von Nikita Michalkow 1995.
Das rigide Filmwesen in der Sowjetunion erlebte nur vergleichsweise kurze Phasen freier künstlerischer Arbeit. Es gab eine Periode der Experimente in der Anfangsphase, als der Konzern aus einzelnen Studios hervorging und auch neben Sojusfilm zeitweilig immer wieder neue Namen hatte. "In den 1920ern war das sowjetische Kino das interessante auf dem Planeten. Die ganze Welt hat mit Entzücken zugeschaut, wie in Moskau, Leningrad, Kiew gedreht wurde … Das war erstaunlich, romantisch", schrieb der Kinoexperte Sergej Lawrantjew in seinem Buch über die Mosfilm-Regisseure.
Auch nach dem Tod Stalins gab es für das Kino wie für andere Bereiche der Kunst ein politisches Tauwetter. Vor allem aber in den 1980ern unter Kremlchef Michail Gorbatschow mit seiner Glasnost-Politik der Offenheit erlebte auch die Kinowelt eine Revolution - nicht zuletzt mit Sexszenen in den Filmen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sagte der ehemalige Mosfilm-Chef Wladimir Dostal im Gespräch mit US-Journalisten, die Zeit der Lügen sei vorbei. "Wir haben endlich angefangen, uns mit der negativen Seite unserer Geschichte zu beschäftigen... Vorher haben wir in unseren Filmen gesagt: Prostitution gibt es nicht, Drogensucht gibt es nicht." Das alles habe in den USA gespielt.
Heute laufen etwa 120 Projekte jedes Jahr durch das Studio. Das propagandistische Kino lebe vor allem von kremlnahen Fonds und Instituten, wie die im Exil im Ausland produzierte kremlkritische Zeitung "Nowaja Gaseta" schrieb. Eine Traumfabrik sei Mosfilm schon lange nicht mehr.
Mosfilm-Chef Schachnasarow machte bei dem Treffen mit Putin deutlich, wo er seine Aufgabe sieht: in der patriotischen Ertüchtigung der russischen Bevölkerung. Er betonte, dass das Studio heute profitabel arbeite, Steuern in die Staatskasse spüle und auch für den Krieg spende. Und er will einen Wunsch Putins erfüllen: Die alten sowjetischen Filme sollen wieder in den Schulen laufen und auch das Weltbild künftiger Generationen prägen.
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