Tatort-Kritik
"Schattenleben": Milch-Szenen mit Falke sind übertrieben
12. Juni 2022, 19:00 Uhr aktualisiert am 12. Juni 2022, 20:30 Uhr
Der Hamburger "Tatort: Schattenleben" ist eher nur ein klassischer Krimi. Wenn man diesen "Tatort" für seine Diversität feiern will, dann eher wegen des entspannten Auftritts von Jonathan Kwesi Aikins.
Pinneberg! Polizei! Die beiden Begriffe werden in diesem Hamburger "Tatort" (Buch: Lena Fakler, Regie: Mia Spengler) stets mehr ausgespuckt als ausgesprochen. Dazu muss man wissen, dass aus Hamburger Sicht die Pinneberger, nun ja, etwas rückständig sind. Oder, wie Mike Krüger einst sang: "Ich hab ne Pinneberger Nummer, und das ist mein großer Kummer, denn mit so ner Nummer denken alle, man is'n kleiner Dummer."
Für die wilden Weiber aus der alternativen Szene ist das spießige Leben in der Hamburger Vorstadt jedenfalls fast so schlimm wie die Polizei. Und in diese Szene taucht Julia Grosz (Franziska Weisz) diesmal tief ein, weil ihre alte Freundin Ela, die als verdeckte Ermittlerin dort eingeschleust wurde, sie verzweifelt um Hilfe anrief - und seitdem verschwunden ist.
Zentrales Thema: Diversität
Diese "FLINTA*"-Szene - Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen - ist im "Tatort: Schattenleben" weit weniger schräg, als das Akronym es vermuten lässt; eine insgesamt nicht völlig unsympathische Frauen-WG mit einigen sehr fragwürdigen Ansichten: Polizisten und Männer sind quasi naturschuldig. Na ja.
Gleichzeitig erzählt "Schattenleben" aber auch von der Liebe, in deren Zentrum Nana Leopold (Gina Haller) steht, die Ela als "Liebe ihres Lebens" vermisst, aber - etwas wankelmütig - dann sofort was mit Julia Grosz anfängt. Und zudem ein Problem mit ihrer unkontrollierbaren Wut hat. Sie wirft der Polizei ein strukturelles Gewaltproblem vor und ist gewissermaßen selbst eins. Aber es reichen ja immer ein, zwei Personen, um den Ruf eines ganzen Hauses zu ruinieren. Immerhin ist da noch als positive Gegenfigur Jana Julia Roth in der Rolle der WG-Mutti Maike Nauener.
Ansonsten ein klassischer Krimi
Abgesehen von diesem Szene-Tauchgang ist es ein eher klassischer Krimi: Wer steckt hinter dem Brandanschlag auf das Haus eines Polizisten? Und wo steckt diese Ela (Elisabeth Hofmann)? Auf der Suche stößt Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) auf einen unsympathischen Mann vom Landeskriminalamt, bei dem die Speisepausen fest zum Dienst gehören und der sich über Dinge mokiert, die er nicht versteht, und sich dabei für lustig hält. Ein Mensch, den man lieber nicht duzen möchte, der Falke aber dauernd ankumpelt.
Wenn man diesen "Tatort" für seine Diversität feiern will, dann eher wegen des entspannten Auftritts von Jonathan Kwesi Aikins als Falke Kollege Thomas Okonjo. Der taucht auf, ist sympathisch und cool, stellt kurz fest, dass er der einzige Schwarze weit und breit ist - und gehört dann einfach zum Ensemble des Krimis.
Den Drehbuchschreibern aber rufen wir zu: Diesmal habt Ihr es mit der Falke-trinkt-immer-nur-Milch-Nummer übertrieben. Gebt sie ihm in die Hand, macht ihm einen Milchbart, aber thematisiert es doch nicht immer wieder.