Vor 150 Jahren begannen die Ausgrabungen in Troja
Raimund Wünsche über Heinrich Schliemann
10. April 2020, 17:00 Uhr aktualisiert am 10. April 2020, 17:00 Uhr
Vor 150 Jahren begann der leidenschaftliche Hobby-Archäologe Heinrich Schliemann mit seinen legendären Ausgrabungen in Troja
"Im Augenblick, als Archäologe, bin ich die Sensation von Europa und Amerika, weil ich das alte Troja entdeckt habe, jenes Troja, nach welchem die Archäologen der ganzen Welt in den letzten 2000 Jahren vergeblich gesucht haben." So schreibt voll Stolz im Juni 1870 Heinrich Schliemann an seinen 15-jährigen Sohn nach St. Petersburg. Seit wenigen Wochen gräbt er auf einem bei den Dardanellen gelegenen Burghügel.
Auf die Idee dort zu graben, brachte ihn der Brite Frank Calvert, leidenschaftlicher Amateurarchäologe, der dort ansässig und im diplomatischen Dienst tätig ist. Für beide ist Homers Ilias, mit der Schilderung vom Kampf um Troja, nicht nur eine großartige Dichtung, sondern auch ein Geschichtsbuch. Und so ist Schliemann völlig überzeugt, er könne in dem von meterdicken Schutt bedeckten Hügel den Palast des trojanischen Königs Priamos und die mächtigen Burgmauern Trojas finden, die dem griechischen Belagerungsheer unter der Leitung Agamemnons, des Herrschers von Mykene, zehn Jahre lang widerstanden, bis schließlich die Burg durch eine List des Odysseus erobert und dann vollkommen zerstört wurde.
Ein Jugendtraum
Schliemanns erste Grabungsversuche im Jahre 1870 enden vorzeitig: Es hat keine offizielle Erlaubnis eingeholt und muss die Arbeiten einstellen. Doch Schliemann gibt den Traum seiner Jugend, einmal "Troja auszugraben", nicht auf. Warum auch: Er ist hochbegabt, von sich und seinen Ideen überzeugt, von einem unbändigen Willen und außerdem sehr, sehr reich.
Schliemanns Kindheit war nicht leicht: 1822 in Neu-Bukow geboren, Sohn eines Pastors, sieben Geschwister, Mutter früh verstorben, kein Geld für eine höhere Schule. Dann ein romanhafter Aufstieg: Erst arbeitete er fünf Jahre als Lehrling in einem Krämerladen, dann als Kajütenjunge. Das Schiff kenterte. Die Besatzung konnte gerettet werden. Jetzt kam er in Amsterdam in ein Handelshaus und lernte in jeder freien Minute geradezu manisch Fremdsprachen.
Mit seiner ungewöhnlichen Sprachbegabung und seinem phänomenalen Gedächtnis gelang es ihm, in wenigen Wochen eine Sprache zu beherrschen. Nachdem er auch Russisch konnte, wurde er mit 24 Jahren als Agent einer holländischen Handelsfirma nach St. Petersburg geschickt. Er war so erfolgreich im Handel mit der Textilfarbe Indigo, dass er schon ein Jahr später seine eigene Firma gründen konnte und die russische Staatsbürgerschaft bekam. 1850 ging er nach Kalifornien seinen Bruder zu suchen. Nebenbei gründete er dort eine erfolgreiche Bank.
In der Heimat des Odysseus
Nach Petersburg heimgekehrt heiratete er 1852 in eine alte russische Adelsfamilie ein. Geschäftlich ging es noch weiter aufwärts, aber die Sehnsucht nach Troja blieb. Er lernte jetzt, neben Latein, auch Neugriechisch und vor allem Altgriechisch, um Homer im Original lesen zu können. Nach verschiedenen längeren Reisen u. a. nach Ägypten, wo er schnell Arabisch lernte, beschloss er 1863, seine Handelsfirmen zu liquidieren.
Jetzt hatte er Geld ohne Ende. Er machte eine Weltreise, schrieb unterwegs ein Buch über China und Japan (auf Französisch), studierte dann in Paris. Seine vornehme russische Frau konnte diese Reiserei nicht mitmachen. Sie blieb in Petersburg mit den drei Kindern. Schliemann ließ sich scheiden.
Jetzt gab es für ihn nur noch Archäologie. Er forschte in Ithaka, der Heimat des Odysseus, schrieb ein Buch darüber. Besuchte Troja, Mykene, Tiryns und schrieb wieder ein Buch und bekam den Doktortitel. Jetzt war er reif, Troja auszugraben. Er brauchte nur noch die richtige Frau als Begleiterin: Griechin, jung und von Homer begeistert musste sie sein. Nach einem Foto wählte er sie aus. Sophia - sie war 17, er 30 Jahre älter. Er heiratet und zieht nach Athen.
Wer so konsequent die Verwirklichung seines Lebenstraums plant, lässt sich von einer Behörde nicht bremsen. Mit Verbissenheit kämpft er um eine offizielle Grabungserlaubnis. Im Herbst 1871 ist es soweit. Im großen Stil lässt er graben. Über 120 Arbeiter legen einen Graben quer über den Hügel. Eine Methode, die heutige Archäologen schaudern lässt. Er geht in tiefste Schichten.
Die Maske des Agamemnon
Am 15. Juni 1873 findet er einen Goldschatz, von ihm flugs der "Schatz des Priamos" genannt. Damit fühlt er all seine Vorstellungen glänzend bestätigt. Die Nachricht geht um die Welt. Jetzt ist er der berühmteste Archäologe, wie er Jahre zuvor schon stolz seinem Sohn geschrieben hat. Und Schliemann ist auch ein begnadeter "Verkäufer" seiner Erfolge. So schreibt er, wie er unter Lebensgefahr mit Sophia den Goldschatz geborgen und sie den wertvollen Schatz, um ihn vor der Habgier der Arbeiter zu retten, in ihrem Schal weggetragen hätte.
Sophia war zur Fundzeit gar nicht in Troja. Aber die Geschichte klang gut. Und das Foto mit Sophia, geschmückt mit dem herrlichen Diadem, das aus Tausenden von Einzelgliedern besteht, ging um die Welt. Im Osmanischen Reich bekam er Ärger. Den Fund hätte er abliefern müssen. Er wird zu 10 000 Gold-Franken Strafe verurteilt. Er zahlt freiwillig 50 000 und kann weiter graben. Bis zu seinem letzten Jahr hat er in Troja gegraben. Nur unterbrochen von ähnlich bedeutenden Grabungen in Mykene. Dort findet er eine Goldmaske. Für ihn ist es die Maske des Agamemnon.
Die Gleichsetzung der archäologischen Funde mit Homers Angaben ist für ihn selbstverständlich. Als Schliemann für seine weiteren Grabungen in Troja mit Wilhelm Dörpfeld einen erfahrenen Fachmann gewinnt, wird in Troja viel sorgfältiger gegraben und auch beobachtet. Dörpfeld erkennt neun (IX) verschiedene, übereinanderliegende Siedlungsschichten: Zerstört wurde Troja in Schicht VI / VII, etwa um 1200. Der Schatz des Priamos wurde von Schliemann gefunden in einer Schicht über 1000 Jahre früher. Kurz vor seinem Tode musste er das erfahren.
Heute ist es leicht, über seine Irrtümer zu richten, seine naive Gleichsetzung von Dichtung und Grabungsfunden zu belächeln.
Der Mythos von Troja
Schliemann war schon zu Lebzeiten heftiger Kritik ausgesetzt und hatte viele Neider, auch unter Archäologen. Lange hat man seine Erkenntnisse geleugnet. Das prägte ihn. Aber er war ein Mann, der die Archäologie in der Welt bekannt machte, wie niemand je zuvor und auch nach ihm.
Sicher ist auch: Er hat mit den mächtigen Mauern Trojas, Mykenes, Tiryns auch diese Stätten freigelegt, an denen sich die Fantasie griechischer Dichter späterer Zeiten entzündete. Und wahrscheinlich ist es auch, dass die Griechen wohl schon seit dem 7. Jahrhundert vor Christus das von ihm ausgegrabene Troja für das homerische Troja hielten.
Nur darf keiner glauben, dass es in Troja einen König namens Priamos gegeben hat. Auch darf man aus dem Mythos von Troja nicht unbedingt schließen, dass es in vorgeschichtlicher Zeit einen Krieg um die Stadt gegeben hat, der so bedeutend war, dass er noch 500 Jahre später in der epischen und mythischen Tradition der Griechen weiterlebte.
Der Schatz ist heute in Moskau
Was ist von Schliemanns Lebenswerk geblieben? Seine Bücher liest heute keiner mehr, aber die Ausgrabungen von Troja, Mykene und Tiryns bleiben mit seinem Namen verbunden, auch wenn neuere Forschungen viele seiner einst so stolz propagierten Erkenntnisse radikal korrigiert haben.
Was blieb noch: Seine Funde in Mykene und Tiryns sind im Athener Nationalmuseum zu sehen. Der Goldschatz des Priamos, einst in Berlin - galt in der Archäologie lange als verschollen oder im Krieg zerstört - befand sich aber seit 1945 in Moskau und ist jetzt im Puschkin-Museum zu sehen.
Sein prachtvolles Wohnhaus in Athen beherbergt ein Numismatisches Museum und ist öffentlich zugänglich. Sehenswert ist auch sein acht Meter hohes Grab im ,Ersten Friedhof' Athens: Über der Grabkammer erhebt sich ein kleiner Tempel, in den Proportionen ähnlich dem bekannten Niketempel auf der Akropolis. Auf dem Gesims des Tempels steht in großen griechischen Lettern "DEM HEROS SCHLIEMANN".