AZ-Filmkritik
"Postcards from London": Schön, cool und kühl
13. Dezember 2018, 14:24 Uhr aktualisiert am 13. Dezember 2018, 16:51 Uhr
"Postcards from London": Ein junger, gestylter Mann taucht in Londons Edel-Callboyszene ein.
"Mit dem Sex komme ich klar, aber die Kunst macht mich fertig", sagt der Neue auf dem Edelstrich in "Postcards from London". Kein Wunder, leidet der schöne Junge aus der Provinz doch an dem Stendhal-Syndrom: beim Anblick künstlerischer Meisterwerke fällt er in Ohnmacht.
Nach Steve McLeans "Postcards from America", der sich an den Werken des an Aids verstorbenen Schriftstellers David Wojnarowicz orientierte, schickt er dem Zuschauer jetzt abermals kinematographische Postkarten aus der queeren Subkultur. Dieses Mal aus dem im Neonlicht strahlenden, kulissenhaften Londoner Rotlichtviertel Soho.
Erinnerungen an Rainer Werner Fassbinder
Jim (Harris Dickinson) verschlägt es aus der Provinz nach London. Die in einem Rückblick gezeigte Szene, in der er seinen Eltern erklärt, dass es ihn nach London zieht, gehört zu den faszinierendsten und bewegendsten. Der sensible Mann sucht in Soho nach einer "Welt voller Geheimnisse und Möglichkeiten".
Doch schon bald wird der 18-Jährige ausgeraubt. Glücklicherweise nimmt sich eine Gruppe von Callboys seiner an, die ihre Kunden nach dem Sex mit Gesprächen über Malerei, Kunst und Filme erfreuen. Der Treffpunkt der aufgebrezelten Callboys (Jonah Hauer-King, Alessandro Cimadamore, Leonardo Salerni und Raphael Desprez) - die alle etwas zu theatralisch spielen - ist eine häufig von Matrosen besuchte Bar, die den Zuschauer auf Fassbinders "Querelle" verweist.
Der Film nimmt sich zu ernst
Schon bald wird Jim, der sich erst einmal Wissen über Velázquez, Gauguin, Wilde und Pasolini aneignen muss, von einem älteren Maler zur Muse erkoren. Auch Derek Jarmanns "Caravaggio" von 1986 wird Referenz erwiesen, ist Jim doch ein Bewunderer des Malers, der Obdachlose und Prostituierte von der Straße holte und sie als Heilige malte.
Und Jim halluziniert sich vor Caravaggios Bildern in dessen Tableaux vivants hinein. Diese Nachstellungen der barocken Gemälde mit den Schauspielern prägen sich ein. Prätentiös wirkt der Film nur, wo er sich zu ernst nimmt, denn besonders gehaltvoll sind die Kunstgespräche nicht.
Kino: Arena (OmU), R: Steve McLeans (GB, 90 Min.)