Kultur

"Planwirtschaft wäre der falsche Weg"

Volker Schlöndorff blickt vor der Ehren-Lola auf seine Filme, sein Leben und die Probleme des deutschen Kinos"


Volker Schlöndorff wurde 1939 in Wiesbaden geboren. Er studierte in Paris, war Assistent von Louis Malle und wurde in Deutschland bekannt durch Literaturverfilmungen.

Volker Schlöndorff wurde 1939 in Wiesbaden geboren. Er studierte in Paris, war Assistent von Louis Malle und wurde in Deutschland bekannt durch Literaturverfilmungen.

Von Margret Köhler

Am 12. Mai wird in Berlin der Deutsche Filmpreis verliehen: die "Lolas" in verschiedenen Kategorien. Regisseur Volker Schlöndorff erhält den Ehrenpreis der Deutschen Filmakademie. Der 84-Jährige wird damit für seine herausragenden Verdienste um den deutschen Film gewürdigt. Das Gründungsmitglied der Filmakademie schaut zurück auf eine lange und erfolgreiche Karriere. Energie und Neugier sind immer noch da.

AZ: Herr Schlöndorff, Sie haben Preise vom Oscar und der "Goldenen Palme" für "Die Blechtrommel" bis hin zum französischen "César" für das Drehbuch von "Diplomatie" erhalten. Nimmt man Preise nach einer bestimmten Zeit für selbstverständlich und stellt sie als Staubfänger ins Regal oder erhalten diese einen Ehrenplatz?

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Der Schriftsteller Günter Grass, der Schauspieler David Bennent und der Regisseur Volker Schlöndorff 1979 bei den Dreharbeiten zur "Blechtrommel" 1979.

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Der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff nimmt während der Oscar-Verleihung in Hollywood von der Schauspielerin Ann-Margret den Oscar für den besten fremdsprachigen Film ("Die Blechtrommel") entgegen.

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David Bennent ("Oskar Matzerath") und Volker Schlöndorff 1979 in Cannes.

VOLKER SCHLÖNDORFF: Ich habe weder eine Preisstatue noch ein Filmplakat in der Wohnung. Der Deutsche Filmpreis geht wie alle anderen direkt an das Filmmuseum Frankfurt. Da steht schon eine ganze Sammlung.

Sie gehören zu den Gründungsmitgliedern der Akademie. Haben sich Ihre Hoffnungen erfüllt? In diesem Jahr gab es einigen Ärger, auch weil Christian Petzolds "Roter Himmel", Gewinner des "Großen Preis der Jury" bei der Berlinale, noch nicht einmal in die Vorauswahl kam.

Trotz meiner Skepsis, warum wir die Oscar-Academy imitieren sollten, ließ ich mich von Helmut Dietl und Bernd Eichinger damals überzeugen. Heute bin ich sicher, es war dringend notwendig, alle Gewerke im deutschen Film zusammen zu führen. Heftige Auseinandersetzungen - auch über die Auswahl - sind das Beste an der Akademie. Alle schütteln sich, wenn sie den Spiegel vorgehalten bekommen. Man kann die Schuld nicht mehr einem Ministerium oder sonst jemanden zuschieben. Im Augenblick stimmen vielleicht die Kriterien nicht, es wird eine Gegenreaktion geben.

Nationale Filmpreise wie César in Frankreich, Donatello in Italien oder Goya in Spanien sind undotiert. Bei uns verteilt die Zunft rund drei Mio Euro unter sich. Ist das optimal? Spielt da vielleicht mal der Neidfaktor eine Rolle?

Wenn ich abstimme, denke ich doch nie an das Geld für den Gewinner. Und diesen guten Glauben unterstelle ich allen Mitgliedern. Es geht völlig unabhängig von der Dotierung um den Besten Film, das Beste Drehbuch, die Beste Regie, die Besten in allen Kategorien. Eine Trennung fände ich verheerend. Der Oscar für "Everything Everywhere All at Once" ist auch umstritten.

Von Anfang an haben Sie sich als politischen Filmemacher gesehen, sind nicht nur für Literaturverfilmungen bekannt, sondern auch für politische Filme wie "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", "Die Stille nach dem Schuss" oder der "Neunte Tag". Gehen für Sie Politik und Filmemachen Hand in Hand?

Nicht mehr so stark wie in den Anfängen. Ich habe in meiner frühen Jugend in Frankreich noch den Algerienkrieg miterlebt und es war für mich selbstverständlich, dass man sich da engagieren musste. Das hat auch meinen ersten Kurzfilm 1960 hervorgebracht. Das Bewusstsein muss man immer haben, aber der politische Film im Sinne des agitatorischen Films ist heute eigentlich überholt, wie Film und Kino als Austragungsort politischer Konflikte. Diese laufen über das Internet. Allerdings finde ich kontroverse Diskussionen im Kino immer noch lebendiger als im Internet, weil man mit anderen Menschen auch physisch in Kontakt kommt, sich anbrüllen und die Fäuste schwingen kann.

Wie entscheiden Sie sich heute für ein Projekt? Bei "Die Ehre der Katharina Blum" haben Sie sofort zugestimmt, als Heinrich Böll Ihnen die Druckfahnen schickte.

Das war eine Ausnahme, die sich nur wiederholt hat mit "Der Waldmacher", da haben Tony Rinaldo und ich uns nach einer Viertelstunde die Hände geschüttelt und die Sache war ausgemacht. Das waren die einzigen Blitzentscheidungen und übrigens beide Male politisch motiviert. Bei beiden wusste ich, die musst du machen, und zwar sofort. Bei Literaturverfilmungen setzt man sich mit den vielleicht vor Jahrzehnten erschienenen Werken lange auseinander, eine ganz andere Arbeit.

In "Rückkehr nach Montauk" gibt es einen langen Monolog über die Frage, was zählt im Leben. Was zählt für Sie im Leben? Haben sich die Prioritäten im Laufe der Zeit geändert?

Da müsste ich Seelenforschung betreiben. Aber was im Leben gezählt hat, war in der Jugend das gesellschaftliche Engagement im Sinne von Jean-Paul Sartre und den Existenzialisten. Das Engagement war das Allerwichtigste und das Privatleben das Allerunwichtigste. In der Mitte des Lebens wurden Gefühle wichtiger, Freundschaft und Liebe. Und in der letzten Phase würde ich sagen, ist es einfach die Wahrnehmung der Welt und der Natur.

Schön wie Sie das sagen.

Das war jetzt improvisiert. Hoffentlich stimmt es.

Der Titel eines Buches über Sie heißt "Im nächsten Leben Komödie". Programm oder eine launige Bemerkung?

Mein erstes Interview nach "Der junge Törless" mit der "Süddeutschen Zeitung" endete mit dem Satz "eigentlich möchte ich Filme wie Billy Wilder machen". Das war 1966 und bei diesem Wunsch ist es geblieben. Es kommt keiner aus seiner Haut heraus. Ich liebe Komödien und liebe es, zu lachen, aber selbst wenn ich mich anstrenge, fehlt mir die Begabung. Helmut Dietl ist das Gegenbeispiel. Jeder hat seine Richtung, das muss man im Leben akzeptieren.

Sie haben im berühmten Pariser Gymnasium Henry IV mit Bertrand Tavernier die Schulbank gedrückt, später mit Regisseur Louis Malle gearbeitet. Warum sind Sie nicht in Frankreich geblieben?

Als ich mit 25 meinen ersten Film realisieren wollte, habe ich an einen französischen Film gedacht, aber genau die beiden Freunde sagten mir, wir haben hier genug Filmemacher, geh' mal nach Deutschland und drehe dort einen Film, das interessiert uns mehr.

Nach der Wende sind Sie auch aus Amerika, wo Sie "Tod eines Handlungsreisenden" und "Ein Aufstand alter Männer" gedreht haben, wieder nach Deutschland zurückgekehrt.

Wenn ich ehrlich bin: Die Legende erzählt, als die Mauer fiel, habe ich mir in New York gesagt, was machst du eigentlich hier, du müsstest in Berlin sein. Die Wahrheit: Ich habe mir schon ein halbes Jahr vorher eine Wohnung in München besorgt. Ich wollte zurück, dieses ewige Warten und Entwickeln von Projekten in den USA hatte mich nach fünf Jahren schon aufgerieben. Damit bin ich nicht klargekommen.

Welche Erinnerung, welche Erfahrung, welches Erlebnis möchten Sie im Rückblick nicht missen und welche am liebsten vergessen?

Es gibt zwei, drei Filme da möchte ich Billy Wilder zitieren "da bin ich geschieden". Was man nie vergisst? Diese Angst und dieses gleichzeitige Hochgefühl, den ersten Film zu machen. Das ist schon einmalig und kommt nie wieder.

Sie sagten mal, die amerikanische Kultur sei Ihre Muttermilch gewesen. Was ist mit der französischen und der deutschen?

Im Nachkriegsdeutschland von 1945 bis 1956, der Welt, in der ich aufgewachsen bin, war alles total amerikanisch. Wir haben die Amis geliebt, erst die Soldaten, diese jungen und lockeren Männer, dann ihre Musik und ihre Literatur, Tom Sawyer, Mark Twain. Ab der Adoleszenz gab es dann Frankreich, die deutsch-amerikanische Kultur, mit der ich nach Paris kam, wurde nach und nach in Frage gestellt. Ich spürte irgendwie, die französische Kultur passt eigentlich besser zu mir, und habe mich wohl wie ein Fisch im Wasser gefühlt. Das geht bis heute. Vor Kurzem startete "Der Waldmacher" dort im Kino. Die Franzosen haben sofort verstanden, was gemeint war. In Paris kommt es nie zu Missverständnissen. Da sind wir auf der gleichen Welle.

Durch "Die Blechtrommel" 1979 haben Sie den deutschen Film wieder weltweit ins Gespräch gebracht. Der Neue Deutsche Film war in den 1960er und 1970er Jahren berühmt. Wie sehen Sie die Situation heute? Werden Sie nostalgisch, wenn Sie auf die einstige große Zeit zurückblicken?

Ich freue mich über die Präsenz von Wim Wenders mit zwei Filmen in Cannes. Es kommen immer noch die Alten ran. Wenn ich im Ausland unterwegs bin, wird der deutsche Film immer noch mit dem Aufbruch von damals in Verbindung gebracht. Es ist leider nicht gelungen, eine eigenständige Sprache zu finden. Geld ist da, die Förderstruktur muss geändert werden.

Wird zu viel gegängelt? Steuern wir auf eine Planwirtschaft in der Förderung zu?

Planwirtschaft wäre der falsche Weg. In der Filmwirtschaft ist das Kommissionswesen absolut verheerend, da kann nichts Gutes dabei herauskommen. Deshalb ist der Werner Herzog nach Amerika abgehauen, nicht weil er Hollywoodfilme machen wollte, sondern Arthausfilme. Das war bei uns unmöglich. Und all die jungen Herzogs, die es heute hoffentlich gibt, kommen nicht an gegen diese Förderwand.

Von Ihrer Generation sind nicht mehr viele im Filmgeschäft aktiv, Margarethe von Trotta, Edgar Reitz, Alexander Kluge. Fühlt man sich da als Relikt oder als Dinosaurier? Gibt es sowas wie Altersweisheit oder ein Abgeklärtsein?

Einerseits betrachte ich mich als Museumsstück, abgelagert im Filmmuseum Frankfurt, auf der andere Seite habe ich das Gefühl, meine Energie und Neugier sind nach wie vor da und ich müsste mich jetzt eigentlich neu erfinden. Das ist aber gar nicht so leicht.