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Ohne Titel

Frédéric Schwildens Roman "Toxic Man" erzählt vom Altern jüngerer Männer und lobt eine Münchner Metzgereikette


Ser Autor und Journalist Frédéric Schwilden.

Ser Autor und Journalist Frédéric Schwilden.

Von Robert Braunmüller

Vor bald 30 Jahren schickte Christian Kracht in "Faserland" einen jüngeren Mann in Markenklamotten von Sylt aus Richtung Süden, um ihn zuletzt im Zürichsee verschwinden zu lassen.

Die Faszination dieses Romans scheint unter Autoren im Grenzbereich zwischen Journalismus und Literatur ungebrochen: Auch "Toxic Man", das Romandebüt des für die "Welt" als Kolumnist und Reporter schreibenden Frédéric Schwilden, ist spürbar von Krachts Roman geprägt.

Beide Ich-Erzähler laufen vor etwas davon. Hier wie da eilt die Hauptfigur von Party zu Party. Die Stimmung ist trübe und alkoholhaltig. Kracht und Schwilden schreiben über dandyhafte Schnösel, die ihre Umwelt primär ästhetisch wahrnehmen. Beide werden bei schlechter Laune von konservativen Anwandlungen erfasst, wobei Schwildens Hauptfigur nicht Sozialdemokraten, sondern grüne Besserwisser verabscheut. Wie in "Faserland" grenzt die Menge erwähnter Marken an Product Placement und eine Stelle über den Maximalismus von Nazivergleichen lässt sich sogar als direkte Anspielung auf "Faserland" lesen.

Fans dieses Romans werden auch an Schwildens Buch Vergnügen finden: Gegenwartsbeschimpfungen sind ein süffig lesbares Thema. Trotzdem ist "Toxic Man" keine reine Kracht-Kopie. Obwohl der Roman als Road Movie episodisch und anekdotisch angelegt ist, gibt es einen roten Faden: Die Hauptfigur verliert den eigenen Vater, während sie selbst mit der Familiengründung beschäftigt ist. Kern der Geschichte ist die Engführung eines Generationswechsels zwischen Vatersterben und Vater-Werden.

Der Ich-Erzähler ist ein ungesund lebender, gefühlskalter Fotograf mit aufsteigender Karriere in Richtung Kunst. Die mit dem Smartphone geschossene Aufnahme der Leiche seines Vaters wird das vieldiskutierte Hauptwerk einer Ausstellung.

Man erfährt aus Schwildens Buch eine Menge Bekanntes und auch Originelles über spießige, irgendwann im Leben stehengeblieben Akademiker-Eltern und die Kunstwelt. Der Autor schildert mit viel Abscheu und Realismus schäbige Krankenhäuser und die Tristesse eines Beerdigungsinstituts. Wie in "Faserland" treten auch in "Toxic Man" allerhand Personen der Zeitgeschichte auf. Höhepunkt des Romans ist die in ihrem Exzess unglaublich spießige Party in der Berliner Villa des ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn, der wohl ziemlich treffend als Parvenü aus der Provinz geschildert wird.

"Toxic Man" läuft - im Unterschied zum im Nichts verläppernden "Faserland" - auf einen erzählerischen Coup hinaus, den wir hier nicht spoilern wollen. Wer Ähnliches wie die Hauptfigur erlebt hat, könnte womöglich auf den ersten Seiten ahnen, worauf der Roman hinauswill, obwohl Schwilden falsche Fährten legt. Und wer es nicht merkt, dem sei gesagt: Der Autor hat ein wichtiges Phänomen in einer Genauigkeit erfasst, die staunen lässt und dieses Buch lesenswert macht.

Auf den letzten Seiten steht eine Liebeserklärung an München und eine Metzgereikette, die jeder Hiesige auch ohne Namensnennung erkennen würde: "Da waren Dosen mit saurem Lüngerl in der Auslage, und die Verkäuferinnen waren auf eine gute Weise übergewichtig", sagt der Erzähler. "Und so fühle ich mich gerade: Frisch verliebt in einer Stadt, die schön und gut und richtig ist".

Das geht runter wie ein Augustiner. Und mit der Flasche in der Hand prosten wir Schwilden zu. Zum Älterwerden jüngerer Männer hat der Autor einiges zu sagen. Und die Sache, die man in einer Rezension nicht spoilern sollte, bringt "Toxic Man" so präzise auf den Punkt, dass man nach dem Lesen dieser Passage eigentlich einen Schnaps bräuchte, auch wenn das in Wirklichkeit auch nicht weiterhilft.

Frédéric Schwilden: "Toxic Man" (Piper, 288 Seiten, 22 Euro)