Wallace, Fassbinder, TV-Krimis
Film-Diva des Nachkriegskinos: Karin Baal ist tot
30. November 2024, 11:14 Uhr
Schon ihre erste Filmrolle war ziemlich ungewöhnlich. "Die Halbstarken" von 1956 erzählt von jungen Leuten in Berlin, ihren Lebensumständen und kriminellen Machenschaften. Anfangs testen mehrere junge Männer, ob ihre geklauten Uhren einen Tauchgang im Hallenbad überstehen. Am Beckenrand treffen sie Sissy - gespielt von der jungen Karin Baal. "Kennst du Sissy?", fragt einer seinen Bruder und erklärt ihm dann: "Sissy is 'ne Wolke. Ne Atomwolke."
Der Film wurde ein Klassiker des deutschen Nachkriegskinos - und Baal später als deutsche Antwort auf Brigitte Bardot gefeiert. Nun ist sie im Alter von 84 Jahren in Berlin gestorben, wie ihre Kinder der Deutschen Presse-Agentur mitteilten. "Sie hat eine Generation geprägt und wird unvergessen bleiben. Sie reißt ein riesiges Loch - nicht nur in unserer Familie, sondern in Berlin und ganz Deutschland", sagten Therese Lohner und Thomas Baal, die Kinder der Schauspielerin.
Früher posierte sie auch mal mit Zigarette in der Hand und schwarzem Lidstrich. Sie hat in vielen Filmen und Serien mitgespielt. Etwa in den Produktionen "Das Mädchen Rosemarie" (1958) über den Mord an der Prostituierten Rosemarie Nitribitt, "Der Jugendrichter" (1960) und "Die junge Sünderin" (1960).
Ihre Frauenfigur in "Die Halbstarken" ist heute noch interessant. Ihre Sissy - "mit Ypsilon wie Romy", wie es in einer Szene heißt - spielte sie keck und selbstbewusst. Es gibt eine wunderbare Tanzszene mit Horst Buchholz als Freddy. Es sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen, in denen Frauen noch "Fräulein" genannt werden und man im Café "eine Coca" bestellt.
Im Laufe des Films entpuppte sich Baals Figur als intrigant und gewaltbereit. Als sie einen Mann überfallen, entscheidet Freddy, ihm seinen Schmuck zu lassen. "Warum denn?", fragt Sissy. "Er gehört doch seiner Mutter", entgegnet er. "Na und!", findet Sissy. Am Ende ist sie diejenige, die zur Waffe greift und schießt. Eine Szene, wie man sie selten gesehen hat.
Für die Rolle war Baal unter Hunderten Bewerberinnen ausgesucht worden. Sie selbst war da noch ein Teenager und hieß Karin Blauermel. Das Image der Femme fatale, das in den "Halbstarken" aufgebaut wurde, wurde Baal lange nicht los.
Die "Stuttgarter Nachrichten" nannten sie mal "das verruchte blonde Gift im deutschen Erbsensuppenkino", später kam dann der Neue Deutsche Film. Für Rainer Werner Fassbinder spielte sie in "Berlin Alexanderplatz", "Lili Marleen" und "Lola" mit. Sie arbeitete mit Reinhard Hauff, Margarethe von Trotta und Wim Wenders.
Baal spielte regelmäßig Theater und trat in TV-Serien auf. Sie war in "Liebling Kreuzberg", "Die Schwarzwaldklinik" und "Praxis Bülowbogen" zu sehen. Und in Edgar-Wallace-Filmen. Baal erlebte auch immer wieder Krisen und Tiefschläge. Zwei Ehen scheiterten, ihr dritter Mann starb an Krebs. Sein Tod stürzte sie in Depressionen und Alkohol. Im Jahr 2000 heiratete sie den 30 Jahre jüngeren, von Abschiebung bedrohten kurdischen Schauspieler Cevdet Celik. Die Beziehung ging auseinander.
Im Jahr 2018 wurde sie für ihr Lebenswerk mit dem erstmals verliehenen Götz-George-Preis geehrt. Die Götz George Stiftung würdigte Baal als "großartige Schauspielerin und bewundernswerte Frau". Sie öffne sich mit berührender Hingabe ihren Figuren und mache dadurch auch feinste Nuancen ihrer großen Gefühlsskala sichtbar, hieß es damals.
Zu beobachten ist das auch in "Die Halbstarken". Der Film ist auch eine Auseinandersetzung mit den jungen Menschen, die im Nachkriegsberlin aufwuchsen. "Die Mehrheit der Jugend hat mit der Erscheinung der Halbstarken nichts zu tun", heißt es im Vorspann zum Film. "Die Minderheit aber fällt auf, und deshalb spricht man von ihr." Der Film sollte auch eine Warnung sein "für alle jungen Menschen, die in Gefahr sind, auf Abwege zu geraten". Sehenswert ist er noch heute. Auch wegen Karin Baal.
Auf Bildern aus den vergangenen Jahren sah man Baal im Rollstuhl. Aber auch wenn sie im hohen Alter immer wieder über einen Umzug etwa zur Tochter nach Wien nachdachte, lebte die Schauspielerin bis zuletzt in Berlin, wie ihre Tochter Therese Lohner sagte. "Sie hat Berlin zu sehr geliebt und wollte unbedingt in ihrem geliebten Charlottenburg bleiben."
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