Salzburger Festspiele
Eröffnung mit "Elektra" und einem riskanten Hygienekonzept
3. August 2020, 13:34 Uhr aktualisiert am 3. August 2020, 18:07 Uhr
Die Salzburger Festspiele beginnen mit einer bejubelten Neuinszenierung der Oper "Elektra" von Richard Strauss in der Felsenreitschule.
Eigentlich ist alles wie immer. Die Wiener Philharmoniker sitzen in Maximalbesetzung eng im Orchestergraben. Hingerissene Fans vergessen sogar, dass auch begeisterte Bravorufe Aerosole enthalten könnten. Der Regisseur Krzysztof Warlikowski wundert sich über ausbleibende Buhs. Und alle sind glücklich, endlich wieder eine richtige Oper mit großem Orchester erleben zu dürfen.
Die Salzburger Festspiele üben sich bei ihrer Eröffnungspremiere in demonstrativer Normalität. 890 Besucher dürfen zum hitzigen Einakter "Elektra" von Richard Strauss in die sonst gut 1400 Menschen fassende Felsenreitschule. Für Abstand sorgen leere Einzelplätze und die obligatorische Maskenpflicht vor und nach der Vorstellung. Freie Reihen, wie zuletzt in den Münchner Theatern, gibt es nicht.
Ein Vabanquespiel
Im Moment lässt sich das nur berichten, nicht bewerten. Mit Glück zahlt sich das auf Druck der allmächtigen österreichischen Tourismusindustrie eingegangene Vabanquespiel aus. Aber die Salzburger Festspiele könnten sich auch als letzter Nagel im Sarg des todkranken Kulturbetriebs erweisen, den zu retten sie derzeit pathetisch vorgeben. Sollte von Salzburg tatsächlich eine Infektionswelle ausgehen, wird im Herbst kein Politiker mehr etwas riskieren: Dann wird alles zugesperrt.
Es ist nicht ohne Ironie, dass die so ekstatisch lebensbejahende wie todessüchtige "Elektra" auf dem diesjährigen Spielplan steht. Franz Welser-Möst hält die in expressionistischen Farben gemalte Partitur diskret in der Balance. Selten war der gesungene Text verständlicher als in dieser Aufführung.
Das Riesenorchester deckt die Sängerinnen der drei Hauptpartien nie zu. Erst wenn das tragische Schlachtfest beginn, lässt Welser-Möst vorsichtig Schärfen und schmutzige Klänge zu. Die Aufführung wahrt bis zum dionysisch rauschenden Schluss ein apollinisches Maß ohne Überzeichnung, an das man sich bei dieser Oper erst einmal gewöhnen muss. Mit Krzysztof Warlikowskis Inszenierung passt das gut zusammen. Ehe die Musik einsetzt, verteidigt Klytämnestra mit einem gesprochenen Monolog aus der "Orestie" ihren Mord an Agamemnon durch die Erinnerung an die erzwungene Opferung ihrer Tochter Iphigenie.
Gute, aber nicht überragende Sänger
Nachdem auf diese Weise ein tragischer Gleichstand erzeugt wurde, erzählt die Inszenierung das Rachewerk des Orest als Psychokrimi in großbürgerlichen Verhältnissen, was Welser-Mösts kammermusikalischem Ansatz kaum widerspricht. Viel Neues kommt dabei nicht zutage, weil die überbreite Felsenreitschule feinere Nuancen verschluckt. Während man sich bei der Großprojektion einer weißhaarig gelockten älteren Frau auf eine unkonventionelle Deutung Klytämnestras freut, erscheint doch die übliche, mit Schmuck behängte dekadente Theatervogelscheuche.
Tanja Ariane Baumgartner wiegt das mit kunstvoll nuanciertem Gesang mühelos auf. Sie ist ein echter dramatischer Alt und nach den vielen pensionsreifen Wagner-Heroinen in dieser Rolle eine echte Erholung für das Ohr. Ausrine Stundyte bewältigt die Titelrolle mit bisweilen rissigem Sopran, neutraler Gestaltung und schönen Lyrismen. Sie kehrt das Zerbrechliche der Figur heraus, wird dabei aber vom Salzburger Publikumsliebling Asmik Grigorian als taffer Chrysotemis mit Verve ausgestochen.
In ein paar Wochen ist man klüger
Gegen Ende projiziert Warlikowski viel Blut samt Fliegen. Man kann an Pandemien denken, muss aber nicht. Elektra ist in dieser Inszenierung viel zu erschöpft, um nach dem von ihrem Bruder Orest (Derek Welton) erledigten Rachewerk noch ekstatisch zu tanzen. Dann drängt sich das Publikum wie eh und je ungeordnet hinaus ins Freie.
Die Festspiele mögen ein tolles Hygienekonzept für ihre Künstler haben. Das Publikum wird weitgehend sich selbst überlassen. Für Abstand sorgt keine geordnete Wegführung durch die zahlreichen Türen, sondern nur die geringere Zahl an Besuchern. Die Karten sind zwar personalisiert und man muss beim Einlass den Ausweis sehen, sonst geht es österreichisch lässig zu. Ob das auch fahrlässig ist, wird man in ein paar Wochen wissen.
Felsenreitschule, wieder am 6., 10., 16., 21. und 24. August. Restkarten unter www.salzburgfestival.at
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