Autobiografie

Elton John: "Ich. Elton John. Die Autobiografie" - die AZ-Kritik


Elton John bei der UK-Premiere von "Rocketman" in London

Elton John bei der UK-Premiere von "Rocketman" in London

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Elton John, der größte Exzentriker unter den Mega-Popstars hat eine Autobiografie geschrieben. Die ist natürlich schrill, aber voller Humor, Selbstironie - und ziemlich indiskret

Wer für ein paar Stunden in eine völlig andere Welt abtauchen will, der kann Mittelalter-Romane lesen, anthropologische Studien über Stämme fernab der Zivilisation oder Science Fiction-Literatur. Oder, neuerdings: die Autobiografie von Elton John.

Der ist zwar aus Fleisch und Blut, doch sein Leben ist mit dem von uns Nicht-Megastars kaum zu vergleichen. Er gibt in "Ich, Elton John" auch gar nicht vor, ein gewöhnlicher Mensch zu sein, der nur zufällig die Gabe hat, in Nullkommanix Songs wie "I Guess That's Why They Call It The Blues" oder "Rocket Man" rauszuhauen. Elton John weiß: Sein Leben ist selbst für einen Larger-Than-Life-Popstar völlig unnormal.
Auch andere Reiche mögen Kaufräusche haben: Doch wer hat schon mal privat eine Trambahn gekauft, die dann von Australien nach England verschifft werden musste? Wer hat in seinem Haus nicht nur eine komplette Disco, sondern auch einen Nachbau des Throns von Tutanchamun?

Kostüme zwischen Glam-Rock-Glanz und Christbaum

Elton Johns Exzentrik macht freilich bei seinem chronischen Konsumrausch nicht halt. In den Siebzigern verkündete er Gästen und Bediensteten sein morgendliches Erwachen stets durch eine Fanfare, die er über die Außenlautsprecher seiner Stereoanlage ertönen ließ. Seine überkandidelten Kostüme zwischen Glam-Rock-Glanz und Christbaum sind legendär, er trat auch bisweilen als Frau oder als Katze auf, als Operettengeneral oder Musketier, als Minnie Mouse oder, 1980 bei der Zugabe des größten Open Air-Konzerts seiner Karriere, als Donald Duck: Auf eine Kostümprobe hatte er verzichtet und auf der Bühne stellte er fest, dass er weder laufen noch sitzen konnte. So sang er vor einer halben Million Zuschauer im Central Park die zarte Liebesballade "Your Song" als gebückter Erpel.

Man könnte mit diesen Anekdoten schier endlos fortfahren. Und genau das machen Elton John und sein Co-Autor, der "Guardian"-Journalist Alexis Petridis - und zwar mit großartigem britischen Humor. "Ich, Elton John" ist ein extrem lustiges, selbstironisches, unterhaltsames und herrlich indiskretes Buch.

Der gesamte Wahnsinn von Elton Johns Leben wurde von Mitte der Siebziger bis zu seinem Entzug 1990 noch von unglaublichen Mengen Kokain und Alkohol befördert. Seither ist er trocken, hat dafür aber - als zur Abhängigkeit neigende Persönlichkeit - neue, weniger nahe liegende Süchte aufgebaut: etwa das manische Schreddern von Papier. So zerstörte er aus Versehen kurz vor der Feier seiner Lebenspartnerschaft mit David - sie waren 2005 eines der ersten schwulen Paare in England, die von dem neuen Gesetz Gebrauch machten - dessen liebevoll ausgearbeitete Tischordnung.

Und es war nicht leicht, die 600 Gäste geschickt zu platzieren: Es gab einen Tisch für Mitglieder der britische Königsfamilie, einen für ehemalige Beatles samt Familie, einen für befreundete Pornodarsteller. Bei gewöhnlichen Essen im Hause Elton John war der Promifaktor allerdings kaum geringer: So verließ einmal Sylvester Stallone stinksauer eine Dinnerparty, weil Richard Gere ihm die Tour bei der hübschen Blonden vermasselte, auf die er so scharf war: Lady Di.

Dominante Mutter

So verrückt-unterhaltsam diese Autobiografie ist, sie erzählt auch die Geschichte eines schwierigen Lebens: Der Vater war lieblos und betrachtete die Berufswahl seines Sohnes selbst dann noch als rundheraus verfehlt, als dieser die größten Arenen der Welt füllte. Unter der herrischen, streitsüchtigen Mutter litt Elton John noch weitaus länger: Zu ihrem 90. Geburtstag engagierte sie aus reiner Boshaftigkeit einen Elton-John-Imitator.

Von Eltons Leidenschaft für Musik handelt das Buch natürlich auch, und noch immer ist er fasziniert von den Momenten, als die vergötterten Musiker von "The Band" hinter die Bühne kamen, als er beim entscheidenden Konzert seiner Karriere, 1970 im "Troubadour" in L.A., sein Idol Leon Russell im Publikum erkannte, oder als Bob Dylan seinen Songwriting-Partner Bernie Taupin für den Text von "My Father's Gun" lobte.
Woher seine Fähigkeit kommt, in Windeseile einen Welthit nach dem anderen zu schreiben, kann und will er selbst nicht erklären. Das Hitalbum "Captain Fantastic And The Brown Dirt Cowboy" etwa komponierte er in Gänze, als er mit seinem Freund John Lennon von England nach Amerika übersetzte: Er schrieb es am Schiffsklavier.

Die einzige kleine Schwäche dieses großartigen Buchs ist eine Leerstelle: Wie sich der schüchterne, jungfräuliche Musik-Nerd aus London, der am liebsten in Plattenläden stöberte, mit seinen ersten Erfolgen ratzfatz in einen überdrehten, megalomanischen Star voller Allüren und Schrullen verwandelte, bleibt ein Rätsel.

Die deutsche Übersetzung ist sprachlich sehr gelungen, nur wäre etwas mehr Sorgfalt der Sache angemessen gewesen: So gibt es nicht zwei Songs, die "Look Ma" und "No Hands" heißen, wohl aber ein Lied namens "Look Ma, No Hands". Rätselhafter ist freilich, dass "Your Song", das Stück, das eine der größten Karrieren des 20. Jahrhunderts begründete, an einer Stelle "My Song" genannt wird. Egal: Wer sich für Popmusik interessiert oder einfach mal wieder herzhaft lachen will, sollte dieses Buch lesen.

Elton John: "Ich. Elton John. Die Autobiografie" (Heyne Verlag, 496 Seiten, 26 Euro)