Kultur
Die Geheimniskrämerin
19. Februar 2023, 16:32 Uhr aktualisiert am 20. Februar 2023, 13:36 Uhr
Hollywoodglamour fehlt zwar im Berlinale-Wettbewerb, dafür sorgte Schauspieler und Regisseur Sean Penn fürs Star-Ambiente. Nach seinen warmen Worten für den omnipräsenten ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selinskyj bei der Festivaleröffnung feierte sein mit Co-Regisseur Aaron Kaufman gedrehter Dokumentarfilm "Superpower" einen Tag später Premiere.
Schon 2021 begann die Arbeit an einem Porträt über Selenskyj und dessen Aufstieg vom Schauspieler zum Präsidenten, den ersten Tag des russischen Überfalls erlebten sie in Kiew, wo er ihnen bei einem kurzen Treffen sehr selbstbewusst begegnete. Viel Neues erfährt man nicht, die Stärke des schwachen, wenn auch engagierten Films sind Gespräche mit Menschen auf der Straße, der unbeugsamer Wille, ihre Identität zu wahren und trotz mörderischen Angriffen durchzuhalten. Vor allem stört die Selbstinszenierung Penns.
Auf der Pressekonferenz plädierte er für die Lieferung von Kampfjets an das vom Krieg gepeinigte Land und für jegliche militärische wie humanitäre Unterstützung, forderte den Ausschluss von Russen im Kultur- und Sportbereich wie den Olympischen Spielen. Den Vorwurf des "Propagandafilms" wies er scharf zurück: "Wir zeigen die Wahrheit, die können nicht alle ertragen. Dieser Mann ist ein Held, er hat Mut, er ist das Gesicht der Ukraine". In die Politik gehen möchte Penn aber nicht, dafür brauche man "zu viele Gesichter".
Im Wettbewerb lässt der ganz große Knüller noch auf sich warten. Nach "The Survival of Kindness" musste man erst einmal durchatmen. Der Australier Rolf de Heer wirft fast ohne Worte den Blick in eine dystopische Zukunft, eine neue Perspektive auf Pandemie oder Black Lives Matter-Bewegung. Jedenfalls eine schwer zu enträtselnde Parabel. Kaum erträgliche Bilder von Mord, Folter und Totschlag an schwarzen Menschen, ausgeführt von Weißen mit Gasmasken.
Eine schwarze Frau eingesperrt in einem Käfig unter sengender Wüstensonne befreit sich nach einigen Tagen und irrt durch eine von Tod, Rassismus und Diskriminierung gezeichnete Welt.
Ein wenig Freundlichkeit, ein bisschen Menschlichkeit geben winzige Momente der Hoffnung, aber die Antwort auf die Frage, ob die Menschlichkeit siegt oder das Böse, ist mehr als düster. Dennoch ist der Film ein möglicher Bärenfavorit.
International gefragt ist Franz Rogowski. Nach der französischen Tragikomödie "Passages" an der Seite von Ben Wishaw in der Sektion "Panorama" trumpft er im Wettbewerb in Giacomo Abbruzzeses "Disco Boy" auf als Belarusse Aleksei, der in der Fremdenlegion anheuert, um nach fünf Jahren den französischen Pass zu erhalten. Ein faustischer Pakt.
Nach einem blutigen Einsatz im Nigerdelta und dem Tod eines Guerillakämpfers leidet er unter Alpträumen, Halluzinationen und Einsamkeit auf einer in einer Pariser Disco endenden Seelenwanderung. Hut ab vor Rogowskis gelungener Performance aus Virilität und Fragilität.
Nach der Häme, die 1983 bei der Berlinale über "Heller Wahn" ausgeschüttet wurde, wollte Margarethe von Trotta, die 1981 als erste Regisseurin überhaupt den "Goldenen Löwen" für "Die bleierne Zeit" in Venedig erhielt, nicht mehr zurück in den Wettbewerb, war nur noch einmal mit "Das Versprechen" außer Konkurrenz vertreten.
Aber jetzt hat sie sich doch wieder getraut und das ist gut so. "Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste" erzählt von der österreichischen Literatin und ihre verzweifelten Liebe zu Max Frisch, an der sie zerbrach. Das Drama mit einer fantastischen Vicky Krieps in der Hauptrolle konzentriert sich auf vier Jahre der Verbindung mit ihren Höhen und Tiefen. Es funkt zwischen dem erfolgreichen Dramatiker und Romanautor und der "jungen Dichterin" 1958 in Paris mit Apollinaireversen. Das Drama beginnt mit einem Telefonklingeln. Ingeborg Bachmann hebt den Hörer ab und fragt leise, ob sie zu ihm kommen soll, zu Max Frisch. Ein Lachen, immer wieder ein Lachen. Sie legt den Hörer auf.
Die spätere Trennung zerreißt sie. Dann ihre Reise in die Wüste Ägyptens mit dem jungen Adolf Opel, das Gefühl der Freiheit. In Rückblenden kommen immer wieder Erinnerungen an die intensive Liebes- und Arbeitsbeziehung, an Leidenschaft und Eifersucht, Verlustangst und Nähe, Spannung zwischen Einsamkeit und Zweisamkeit. Die Figur, von der Frisch mal sagte, sie sei eine "Geheimniskrämerin" bleibt hier bewusst diffus.
Der ständige Wechsel von Ägypten nach Rom oder Zürich bringt viel Unruhe, die Reduzierung auf Frisch (Ronald Zehrfeld) als eifersüchtigen Chauvi und Egomanen greift wohl zu kurz. Die Tragik ist spürbar, aber die erste Liebe und Leidenschaft nur in Ansätzen. Krieps, die im letzten Jahr als Kaiserin Sisi in "Corsage" überzeugte, spielt diese verlorene Frau mit Wucht und Wut, Kraft und Zerbrechlichkeit, mit Ängsten und Emotionen, mit strahlendem Lächeln und Tränen. Ein Silberner Bär als Beste Darstellerin ist nicht ausgeschlossen.
Nach dem Film möchte man mehr erfahren und eintauchen in das im vergangenen Jahr erschienenen Briefwechsel "Wir haben es nicht gut gemacht" und natürlich noch einmal Ingeborg Bachmann lesen, ihre Gedichtsammlungen, ihre Prosa, ihre Essays.