Kultur
"Dido and Aeneas... Erwartung" im Nationaltheater
30. Januar 2023, 17:21 Uhr aktualisiert am 30. Januar 2023, 17:21 Uhr
Nicht einmal musikgeschichtliche Umwege führen von der ersten Oper der englischen Musikgeschichte zu Arnold Schönbergs 220 Jahre jüngerem Radikal-Expressionismus. Über das ewige Thema der älteren, verlassenen Frau entsteht trotzdem eine verblüffend enge Beziehung auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper, wo die beiden Werke seit Sonntag in harter Fügung aufeinandertreffen.
Der Regisseur Krzysztof Warlikowski enttäuschte im Nationaltheater und bei den Salzburger Festspielen zuletzt mit flauen Arbeiten. In dem Doppelabend "Dido and Aeneas… Erwartung" findet er zwar nicht völlig zu alter Stärke zurück. Depressiven Episoden begegnet man im Theater und im Leben allzu oft, manches szenische Bild scheint abgegriffen. Aber alles Psychologische wirkt diesmal überzeugend, und das Meiste dieser Inszenierung ist letztendlich keine aufgesetzte Interpretation, sondern beruht nur auf einer gründlichen Lektüre beider Werke.
Am Beginn scheint eine muntere Gesellschaft wild entschlossen, die in einem abgelegenen Ferienhaus weilende Dido aufzuheitern und mit dem Lonesome Rider Aeneas zusammenzubringen. Der repariert im Monteuranzug einen alten Straßenkreuzer. Doch der Versuch, Dido ins Leben und in eine neue Beziehung zurückzuholen, ist von Beginn an eine aussichtslose Mission: Wenn sie etwas liebt, dann ihre Verzweiflung und ihre Tabletten.
Warlikowski arbeitet verblüffend genau den radikalen Pessimismus dieser Oper von Henry Purcell heraus: Aeneas verlässt Dido nicht wie bei Vergil, um die göttlich beauftragte, welthistorische Mission der Gründung Roms zu erfüllen. Eine kleine, miese und dreckige Intrige der Hexen erledigt die karthagische Königin. Eine Stunde später stammelt die jetzt namenlose Frau in Schönbergs 30-Minüter "Erwartung" dann "die Hexe… die Dirne… die Frau mit den weißen Armen".
Aus dieser Konstellation entwickelt die Inszenierung einen etwas billigen Eifersuchtskonflikt. Aber sind solche Dinge nicht auch im Leben immer ziemlich billig, und fallen nicht viele Männer auf die Versuchung von etwas Arschgewackel in engen Goldhosen herein?
Ob sich das alles in einer Realität abspielt, im benebelten Hirn Didos oder im Kopf der Frau aus "Erwartung": All das lässt die Inszenierung offen. Man könnte sagen, auch das sei billig und wie der allgegenwärtige Winter der erkalteten Gefühle ein allzu bekanntes Theaterrezept. Doch der Realitätsverlust dieser Frau, die Sein, Schein und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten kann, ist die Substanz des Texts von Marie Pappenheim für Schönbergs Monodram.
Ausrine Stundyte singt die Dido mit beträchtlichem, bisweilen ruinös wirkendem Flackern. Damit gewinnt sie keinen Stilpreis für Alte Musik. Aber es ist auch vokal ein starkes Porträt einer alternden, unaufhaltbar sich selbst zerstörenden Frau. In Schönbergs "Erwartung" verschwindet dann die Trübung der Stimme: Die lettische Sopranistin singt die schwierige Partie mit durchdringender Klarheit, hoher Genauigkeit und bemerkenswerter Textverständlichkeit.
Günter Papendells rauer Bariton passt zum Autobastler und - überraschenderweise - auch zum Liedchen des jungen Seemanns, das dem Aeneas zugeschlagen wurde. Victoria Randems Belinda ist zu einer Gegenspielerin Didos aufgewertet, der Countertenor Key'mon W. Murrah fügt sich bestens in die vom Opernballett dargestellte queere Freak-Truppe, die als Markenzeichen in jeden ordentlichen Warlikowski gehört.
Von den günstigen Plätzen nur mäßig einsehbare Live-Videos gewähren den Einblick in das Haus (Ausstattung: Malgorzata Szczesniak). Zu einem Zwischenspiel von Pawel Mykietyn für Elektronik und E-Gitarre überbrücken Breakdancer den Umbau im Orchester.
Während sich einem der Gedanke aufdrängt, dass ein endloses Tunnel-Video als Todesmetapher nicht die allerletzte Neuigkeit sei, bereitet die Inszenierung einen verbindenden Coup zwischen den beiden Opern vor. Danach ist man letztendlich bereit, Warlikowski den knirschenden Übergang zwischen den Opern doch nachzusehen.
Überzeugendes kann man auch über die musikalische Seite sagen. Dirigent Andrew Manze versöhnt Purcells kleine Streicherbesetzung mit dem riesigen Nationaltheater. Schönbergs Riesenorchester fächert er klanglich souverän auf, und es gelingt das Kunststück, die gedeckten Klangmischungen nicht trüb wirken zu lassen. Und wenn es etwas schön wie bei Richard Strauss auszusingen gibt, dann machen die Bläser und Streicher des Bayerischen Staatsorchesters das auch.
Bei wissenschaftlichen Vorträgen gilt die Regel, sie sollten zu je einem Drittel aus Bekanntem, Unbekannten und Unverständlichem bestehen. Ob das generell für Inszenierungen gilt, soll hier nicht entschieden werden. Bei "Dido and Aeneas… Erwartung" funktioniert es mit ganz leichten Abstrichen sehr gut.
Wieder am 1., 4., 8. und 10. Februar um 19 Uhr im Nationaltheater. Karten online und unter 2185 1920.