Kultur

Dackel und Duelle

Marco Goecke belästigt eine Journalistin in Hannover mit Hundekot, ein weiterer Fall in der langen Geschichte der Übergriffe auf Kritiker


Marco Goecke in einem Raum für Beleuchtung und Requisiten.

Marco Goecke in einem Raum für Beleuchtung und Requisiten.

Von Robert Braunmüller

Ohrfeigen sind der Goldstandard in der Auseinandersetzung im und über das Theater. Auch das letzte Duell auf dänischem Boden ging auf eine watschenhaltige Auseinandersetzung zwischen einem Schauspieler und einem Kritiker zurück. 1956 ohrfeigte die Burgschauspielerin Käthe Dorsch den Wiener Kritiker Hans Weigel in einem Café mit den Worten "Ich finde es an der Zeit, dass Sie etwas auf Ihr ungewaschenes Maul bekommen". Auch Theaterleute lassen hin und wieder den Watschenbaum umfallen, während über sich gegenseitig watschende Kritiker nichts überliefert wird - vielleicht aber auch nur, weil Journalisten den Corpsgeist wahren.

Im beschaulichen Hannover wurde nun eine neue Stufe der Eskalation erreicht: Ballettchef Marco Goecke soll der "FAZ"-Kritikerin Wiebke Hüster im Foyer aufgelauert und sie mit Hundekot beschmiert haben. Offenbar provoziert durch ihre Rezension seines Den Haager Ballettabends "In the Dutch Mountains", drohte er ihr zunächst ein "Hausverbot" an und warf ihr vor," für Abonnementskündigungen in Hannover verantwortlich zu sein", berichtet die Zeitung.

Dann soll Goecke handgreiflich geworden sein: "Er zog eine Papiertüte mit Tierkot hervor und traktierte das Gesicht unserer Tanzkritikerin mit dem Inhalt. Danach konnte er durch das dicht besuchte Foyer ungehindert seiner Wege gehen", so die "FAZ".

Die Betroffene erklärt, sie habe Anzeige erstattet. Das Staatstheater Hannover bestätigte in einer Mitteilung den Vorfall bei der Premiere des Ballettabends "Glaube - Liebe - Hoffnung" am Samstag, entschuldigte sich und rief zur Besonnenheit auf. Goecke wurde beurlaubt, arbeitsrechtliche Schritte würden geprüft, das Hausverbot hat nun ihn ereilt. Das Theater wolle "ein offener Ort des respektvollen Miteinanders und Austausches" bleiben, hieß es weiter.

"Der Vorfall löst auf erschreckend tatsächliche Weise ein, was in Kunstkreisen inzwischen offenbar häufig über Kritik und Kritiker gedacht und gesagt wird", heißt es in dem "FAZ"-Artikel weiter. Sie zeuge von dem "fatalen Selbstverständnis einer Persönlichkeit in hoch subventionierter Leitungsfunktion, die meint, über alle kritische Beurteilung erhaben zu sein und ihr gegenüber im Zweifelsfall auch Gewalt anwenden zu dürfen."

Die Zeitung denkt dabei an den Ausspruch der Hamburger Intendantin Karin Beier, Theaterkritik sei die "Scheiße am Ärmel der Kunst". Frank Rieger, Landesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) in Niedersachsen, sprach sogar von einer Attacke auf die Pressefreiheit.

Dem Vernehmen nach soll Goecke zum Kot seines eigenen Dackels Gustav gegriffen haben. Der wiederum ist in der Szene eine Berühmtheit: Er soll schon mit Prinzessin Caroline von Monaco gespeist haben. Gustav inspirierte den Choreografen zum Ballett "Dogs sleep", das im Pariser Palais Garnier zu sehen war. "Gustav ist immer dabei, wenn ich arbeite", sagt sein Herrchen damals der "Stuttgarter Zeitung". "Ich habe mir überlegt, was er während der Proben und von den vielen Stücken, deren Entstehen er miterlebt hat, alles wahrnimmt, was er träumt, wie sein Schlaf aussieht."

Der 1972 in Wuppertal geborene Goecke studierte an der Ballettakademie der Bosl-Stiftung in München sowie am Königlichen Konservatorium Den Haag. Er choreografiert seit über 20 Jahren, war Hauschoreograf beim Nederlands Dans Theater und am Stuttgarter Ballett, wo er 2018 ausschied, um nach Hannover zu wechseln.

Das Bayerische Staatsballett hat ein Werk Goeckes im Repertoire: die Choreografie "Sweet Bones' Melody" als Teil des Dreiteilers "Passagen". Im Juni kuratiert Goecke im Dackelparadies München die erste Ausgabe der Reihe "Sphären" - womöglich dann als freier Choreograf und Ex-Ballettchef von Hannover.

Der eingangs erwähnte dänische Kritiker wurde übrigens später Finanzminister. Die Affäre um den Spiralblock, den ein Schauspieler in Frankfurt dem "FAZ"-Kritiker Gerhard Stadelmaier entriss, endete mit einer Entschuldigung der Oberbürgermeisterin.

Im Verlauf der Wiener Watschenaffäre verlangte der Burgschauspieler Raoul Aslan, kein Kritiker dürfe mehr in Wien über Schauspieler urteilen. Das sei in Zukunft die Aufgabe eines vier Monate turnusmäßig zu bestimmenden Schauspielers. Die Forderung scheint verhallt zu sein. Aber wer weiß: Womöglich wäre der Schauspieler dann wegen seiner Texte von eigenen Kollegen verprügelt worden.