Literaturhaus München
Ausstellung "Orlando": Alles ist im Fluss! Auch unser Geschlecht....
20. November 2019, 10:27 Uhr aktualisiert am 20. November 2019, 10:27 Uhr
In Virginia Woolfs Roman "Orlando" wird ein Mann über Nacht zur Frau. Die Schauspielerin Tilda Swinton hat das zu einer spannenden Ausstellung inspiriert, die im Literaturhaus München zu sehen ist.
Vielleicht war der "Orlando" einfach zu schön. Tilda Swinton, die androgyne Elfenkönigin des Kinos, hatte mit diesem Film vor fast 30 Jahren den internationalen Durchbruch. Doch die Adaption durch Sally Potter trifft die Romanvorlage von Virginia Woolf nicht wirklich, zumindest nicht den anarchisch-subversiven und zugleich heiter-ironischen Ton. Vielmehr ist man geplättet von märchenhaften Kostümen, von aufwendigen Kulissen und grandiosen Landschaftsaufnahmen - und von der faszinierenden Tilda Swinton.
Tilda Swinton, Virginia Woolf und der Reiz des Sex
Swinton spielt die Titelfigur, die ohne zu altern durch fünf Jahrhunderte wandert, von der poesietrunkenen Shakespeare-Zeit bis in die aufgekratzten 1920er-Jahre, und dabei auf halber Strecke das Geschlecht wechselt: Eines Morgens wacht der junge Edelmann als Frau auf. Einfach so. Ohne schmerzvolle Operationen, Hormonbehandlungen und Therapien, wie sie etwa das Model Casil McArthur durchmachen musste.
Casils Prozess der Geschlechtsumwandlung hat die Fotografin Collier Schorr zwischen 2015 und 2018 in verstörenden wie ästhetischen Bildern festgehalten, die nun neben den Werken von zehn weiteren Künstlern im Literaturhaus München zu sehen sind - unter dem Titel "Orlando. Inspiriert von Virgina Woolf" und kuratiert von Tilda Swinton.
"Orlando" tanzt zwischen Mann und Frau
Seit der Verfilmung des "Orlando" hat Swinton das Thema der Verwandlung nicht mehr losgelassen. Bei ein paar Essays wollte es die Schauspielerin allerdings nicht belassen. Deshalb konzipierte sie eine Ausstellung rund um Geschlechteridentitäten und forderte Künstlerinnen und Künstler auf, Passendes beizusteuern oder ganz neu zu schaffen. Die Schau hatte im Mai dieses Jahres in der New Yorker Aperture Gallery Premiere, und nun ist sie in einer abgespeckten und zugleich erweiterten Version in München und damit erstmals in Europa zu sehen.
Es hängen ein paar Arbeiten weniger, dafür gewinnt man Einblicke in Virginia Woolfs Leben und besonders in ihre Liaison mit Vita Sackville-West. Die betuchte geistreiche Baroness hatte die Schriftstellerin schließlich zum 1928 erschienenen "Orlando" und damit zum "längsten Liebesbrief" der Literaturgeschichte inspiriert. Interessanter ist in diesem Zusammenhang freilich Woolfs Modernität, und hier nicht nur das Hinterfragen der Rollen von Mann und Frau, sondern auch das Changieren zwischen den Geschlechtern und die Transformation. Bis auf die männliche Besetzung von Queen Elizabeth I. durch den umwerfenden Quentin Crisp wird dieses Spiel im Film von 1992 tatsächlich kaum ausgekostet und durch optische Opulenz verschleiert. Mehr war damals wahrscheinlich auch nicht drin, insofern bildet Swintons "Nachklapp" nun eine gewisse Korrektur - mit eindringlichen Bildern.
Die Doppelnatur
Die afroamerikanische Malerin Mickalene Thomas konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Elizabeth und Orlando; im Film wärmt die Königin ihr sieches Herz noch ein letztes Mal an ihrem blutjungen Galan und segnet sodann das Zeitliche. Thomas mischt die beiden Charaktere, taucht sie in einen Cocktail aus historienverliebtem 19. Jahrhundert und Pop Art, dass man nie so recht weiß, ob das schrille Paar womöglich ein Modeshooting über sich ergehen lässt. Es knistert ganz wunderbar, bis man von der Künstlichkeit der Plastikpflanzen auf den Boden der Studio-Realität geholt wird.
Dass Thomas' Personal - ihre Partnerin Racquel Chevremont und der Performance-Künstler Zachary Tye Richardson - auch auf das Brauchtum der Fa'Afafine auf Samoa anspielen, muss man aber wissen: In dieser Gemeinschaft des dritten Geschlechts werden Knaben zu Mädchen erzogen - zur Unterstützung der Familien im Haushalt oder bei der Alten- und Krankenpflege.
Bogart, Rowlands, Bowie und die Hepburne
Mann und Frau verschmelzen schließlich in Lynn Hershman Leesons Doppelnaturen. Mal dominiert Humphrey Bogart, mal Gena Rowlands, im nächsten Bild sind es David Bowie und Katherine Hepburne, die sich jeweils überlagern. Das Schöne: Niemand gewinnt hier die Oberhand.
Dagegen strebte Rosalyne Blumenstein klar auf die weibliche Seite. Nur steckte die spätere Schauspielerin und Autorin in den 70er Jahren, mit 16, noch im "falschen" Körper. Mittlerweile, nach der Geschlechtsangleichung, ist Blumenstein zu einem Vorbild der Transgenderbewegung geworden. Auch für die amerikanische Multimediakünstlerin Zackary Druckers, die Blumenstein mal verführerisch am Pool, mal in der Pose von Sandro Botticellis Venus posieren lässt. Mehr Weiblichkeit geht eigentlich nicht. Aber weiß man's? Auch dieses Klischee haben wir uns wie so vieles virtuos zurechtgebastelt und in den Kulturkanon einbetoniert.
"Orlando", bis 12. Januar im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, Montag bis Freitag von 10 bis 19, Samstag und Sonntag bis 18 Uhr