Salzburger Festspiele
Andris Nelsons und die Wiener Philharmoniker mit Mahlers Sechster
10. August 2020, 17:01 Uhr aktualisiert am 12. August 2020, 15:18 Uhr
Andris Nelsons und die Wiener Philharmoniker mit Gustav Mahlers Symphonie Nr. 6 im Großen Festspielhaus.
Von Schostakowitsch lernen, heißt Katastrophen gestalten lernen. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn Andris Nelsons mit den Wiener Philharmonikern im Großen Festspielhaus die Symphonie Nr. 6 von Gustav Mahler aufführt, die der Komponist in einer schwachen Stunde als "Tragische" bezeichnen wollte, die aber besser "Die Böse" heißen sollte, weil Überhöhung und Pathos weitgehend fehlen.
Es ist die Symphonie, deren Held am Ende nicht - wie in der Fünften - in der Natur aufgeht, sondern (je nach Lesart) von zwei oder drei Hammerschlägen gefällt wird. Es ist ein Werk, in dem vor allem in den Ecksätzen martialische Rhythmen und ein eiserner Ton vorherrschen, den Mahlerianer immer wieder auf die folgenden Katastrophen des 20. Jahrhunderts bezogen haben, auch wenn es absurd ist, den Komponisten auf diese Weise zum Propheten zu erklären.
Nelsons holt, und das dürfte er bei Schostakowitsch gelernt haben, den bösen Tonfall der Musik in einer Weise heraus wie kein anderer. Über dem ersten Satz liegt eine drängend-rastlose Unruhe, die sich bereits bei der Wiederholung der Exposition ins Schneidende steigert. In der Almglocken-Episode holt Dirigent ein Hornsolo heraus, das wie ein quälender Gedanke die Idylle stört. Nirgendwo herrscht hier Friede.
Erledigt von fünf Becken
Die Wiener Philharmoniker spielen das alles mit einem sehr körperlichen Tonfall, der nie in eine Vorführung bloßer Orchestervirtuosität umschlägt. Jede Gruppe kultiviert eine sehr eigene Farbigkeit. Die Tuba und das Kontrafagott sind niemals nur ein in sich ruhendes Bassfundament, sondern ein schwarz gähnender Abgrund, in dem etwas unbestimmt Böses lauert.
Nelsons versteht das Scherzo als Zerrspiegel des ersten Satzes. Im Andante moderato kehrt dann Ruhe ein. Aber der Dirigent nimmt die Musik so dezent, dass der doppelte Boden einer Vision spürbar bleibt. Im Finale, das vielen Dirigenten und Orchestern leicht zu einem grellen Weltuntergangsfurioso missrät, findet Nelsons zu sehr schlüssigen Lösungen für den Hammer, die trotz einem Riesen-Instrument nicht lächerlich wirken.
Denn der Dirigent legt den Schwerpunkt nicht auf die Schläge, sondern auf die nachfolgenden Schmerzensschreie des Orchesters. Sie sind in Nelsons' Sicht die eigentlichen Kulminationspunkte. Und die Katastrophe ereignet sich in seiner Sicht nicht beim dritten (und von Mahler wieder entfernten) Schlag, sondern kurz davor bei dem Beckenschlag mit mehreren Becken, den fünf Schlagzeuger der Wiener Philharmoniker in ein apokalyptisches Zischen verwandeln.
Was danach kommt, ist nur noch Trauer, Nachspiel, Resignation und ein böser Choral, bei dem die traditionelle Farbigkeit des Klangs der Wiener Philharmoniker dazu benutzt wird, um die Doppelbödigkeit von Mahlers Musik zu betonen. Und das kann nur ein Dirigent, der bei Schostakowitsch gelernt hat, hinter die Fassade zu blicken.
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