Freistunde
Wie es ist, mit 25 Schäfer zu sein
2. September 2020, 16:48 Uhr aktualisiert am 2. September 2020, 16:48 Uhr
Das ganze Jahr über ist Michael Meier auf Wiesen und Weiden unterwegs. Immer mit dabei: zwei Hunde und 900 Schafe.
Sobald die Schafe gegen neun Uhr den weißen Transporter heranfahren sehen, stehen sie gemächlich auf. "Mäh". Gehen ein paar Schritte. Blöken, als würden sie ihren Schäfer begrüßen.
Für Michael ist nie zur Debatte gestanden, dass er etwas anderes als Schäfer wird. "Schon als Zweijähriger war ich mit dem Opa beim Hirten dabei", erinnert sich der 25-Jährige. Trotzdem hofft sein Vater, dass er nicht die vierte Generation Schäfer wird. Michael soll etwas mit Zukunft lernen. Er wird Maurer. Doch das Hirten lässt ihn nicht los. Er hilft bei anderen Schäfern aus, bis er schließlich seinen Willen durchsetzt und eine Ausbildung zum Schäfer macht.
Nach zwei Jahren Lehre und zwei Jahren als Aushilfsschäfer hat der gebürtige Straubinger seit Januar 2019 seine eigene Herde. Hauptsächlich weiße Merinoschafe. Zehn schwarze und ein braunes Bergschaf gehören auch dazu. Im Frühjahr und Sommer weidet er mit etwa 600 von ihnen im Bayerischen Wald auf dem Geißkopf oder im zwölf Kilometer entfernten Rusel am Skilift. Gerade ist er auf einer Ausweichfläche auf dem Truppenübungsplatz in Regen. Um die restlichen 300 Tiere kümmert sich in der Zwischenzeit sein Vater.
Sieben Stunden fressen und eine Pause im Schatten
Immer wenn die Soldaten eine Übung abhalten, weicht Michael auf die an einem Bach gelegene Weide aus. Von Weitem sind hin und wieder Schüsse zu hören. Das stört die Schafe aber nicht. Sie sind in ihrem Pferch: einem Kreis aus Stromzaun. Darin verbringen sie die Nacht. Als Michael aus dem Transporter steigt und auf seine Herde zugeht, liegen die meisten noch am Boden. Jeden Tag gegen zehn Uhr lässt er die Schafe heraus. Insgesamt sollen sie um die sieben Stunden zum Fressen haben. Dazwischen gibt es je nach Temperatur ein bis zwei Stunden Pause zum Wiederkäuen im Schatten.
Der 25-Jährige lebt für seine Schafe. 365 Tage im Jahr, ohne Wochenenden, ohne Urlaub. Einen festen Wohnsitz hat er nicht. "I bin da, wo meine Schafe sind." Zur Zeit also in einer Ferienwohnung in Regen. Und krank sein? Das gibt es für Michael nicht. "Da gehst du raus, und wenn es dir noch so dreckig geht." Hätte er diese Einstellung nicht, könnte er diesen Beruf nicht machen. Allein von den Produkten, die er herstellt, also Wolle und Fleisch, kann er nicht leben. "Es ist etwas mehr als ein gutes Taschengeld, aber ein festes Standbein ist das nicht." Seine Haupteinnahmequelle sind Fördergelder, die er für die Landschaftspflege erhält. "Ich lebe quasi vom Staat. Hört sich traurig an, ist aber so. Anders würde das gar nicht gehen."
Mittlerweile ist es 13 Uhr. Der erste "Fressblock" ist vorbei. Die Herde steht nahe beieinander. Es sieht fast so aus, als würden sie kuscheln. Manche legen den Kopf auf den Rücken des Nachbarschafes. Während die Tiere ruhig zusammenstehen, nimmt sich Michael diejenige vor, die ihm während des Weidens zum Beispiel durch Hinken aufgefallen sind.
Ruhig nähert er sich dem Tier mit der Schippe - seinem Hirtenstock. An dessen Ende ist ein Metallhaken. Er stellt dem Schaf damit ein Bein, packt es am Fell und setzt es auf den Hintern. Etwas verdattert sitzt das Schaf vor Michael. Sein Atem geht schnell. Der Hirte greift in seine Hosentasche nach einem Klappmesser.
Ein möglicher Grund dafür, dass das Tier hinkt, könnte der sogenannte Eiterdruck sein. Deshalb ist es wichtig, die Klauen der Schafe regelmäßig zu schneiden. Ist Michael fertig, markiert er das Schaf mit einem roten Punkt am Ohr. Kurz darauf lässt er das Schaf los. Es eilt zur Herde zurück.
Pediküre für die Schafe und ein roter Punkt aufs Ohr
Damit er sich in solchen Situation voll auf seine Aufgabe konzentrieren kann, ist es wichtig, dass er sich zu hundert Prozent auf seine Hütehunde verlassen kann. Insgesamt hat er vier. Heute dabei sind Leo und Resi. Die beiden altdeutschen Hütehunde haben die Aufgabe, die Herde zusammen zu halten, und von Straßen oder anderen Gefahren fernzuhalten, wenn sie auf Wanderschaft sind. "Ein Schäfer ohne Hunde, das ist, wie wenn ein Zimmerer auf ein Dach steigt und keinen Hammer dabei hat. Die sind mein Werkzeug und das muss funktionieren." Tut es das nicht, müssen die Hunde ausgetauscht werden. Sei es für ein paar Tage, damit sie sich wieder regenerieren können, oder ganz, wenn sie sich nicht für die Schafe interessieren.
Das Klischee, dass Schäfer den ganzen Tag den Schafen beim Fressen zuschauen, ärgert den 25-Jährigen. Genauso, dass die Leute seine Arbeit so romantisch sehen. "Für viele sind wir eine Attraktion. Es gibt ja nicht mehr viele von uns."
Trotz der Entbehrungen, die Michael hat, will er nichts anderes machen. Und so pfeift er Leo und Resi zu sich und treibt mit ihnen die Herde weiter.