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Vom Luxus zum Massengeschäft
13. Februar 2012, 18:21 Uhr aktualisiert am 13. Februar 2012, 18:21 Uhr
Ein Kapitän, der sich aus dem Staub gemacht hat, Personal, dem es schwer fällt, die Lage in den Griff zu bekommen und über 3 000 Passagiere, die der Dunkelheit und Kälte ausgesetzt sind. Verschiedene Stimmen sprechen durcheinander. Und eine 290 Meter lange und 36 Meter breite Stadt auf dem Meer kommt immer mehr in Schräglage und droht zu sinken.
Seit dem 14. Januar ist die Presse voll von Berichten über die Costa Concordia, welche am 13. Januar um 21.45 Uhr Ortszeit mit einem Felsen kollidierte. Das Schiff verließ gegen 19 Uhr den Hafen von Civitavecchia und befand sich auf einer Kreuzfahrt durch das westliche Mittelmeer auf dem Weg nach Savona. 17 Tote und 15 Vermisste. Und das nur, weil Kapitän Schettino sehr nah an die Insel Giglio fuhr, um die Inselbewohner zu grüßen und somit die gängige Praxis des "Verneigens" durchzuführen. Zu nah. Die Folge davon war ein etwa 70 Meter langer Riss. Das tatsächliche Drama begann erst jetzt. Schettino soll sich laut Zeugenaussagen "inkompetent und nicht standesgemäß" verhalten und seine Funktion "nicht im Geringsten erfüllt" haben. Zunächst wurde von einem Problem mit dem Generator gesprochen. Es ist also nicht ganz auszuschließen, dass die Verantwortlichen des Schiffes, bevor sie sich des tatsächlichen Schadens bewusst waren, den Vorfall zu vertuschen versuchten. Erst nach einer Stunde wurden die Passagiere aufgefordert, ihre Rettungswesten anzulegen, woraufhin das Signal zur Evakuierung des Schiffes gegeben wurde. Die zuständige Leitstelle der Capitaneria di Porto in Livorno erfuhr erst um 22.06 Uhr zufällig - und nicht, wie es sein sollte, durch den Kapitän - von der Havarie. Diese Meldung wurde um 22.14 Uhr durch die Schiffsführung bestätigt - allerdings sprach diese von einem Stromausfall. Insgesamt verlief die Rettung sehr chaotisch. Die vollständige Evakuierung dauerte bis etwa 4.45 Uhr und ein Mitschnitt des Gesprächs der Küstenwache von einem Telefonat zwischen dem Kommandanten des MRSC Livorno, Gregorio De Falco, und dem Kapitän Schettino belegt, dass sich letzterer schon um 01.46 Uhr nicht mehr an Bord befand. Am 26. Januar wurde die Suche nach Passagieren im Inneren des Wracks eingestellt, weil die Sicherheit der Taucher dadurch, dass das Schiff immer weiter sinkt, nicht mehr gewährleistet ist. Nun ergibt sich das nächste Problem: Die etwa 2 200 Tonnen Treibstoff und 180 Tonnen Schmierstoff an Bord könnte die Umwelt gefährden. Das beträfe auch mehrere Naturreservate in der Umgebung des Monte Argentario.
Drei-Klassen-Gesellschaft an Bord
Der Besatzung wird vorgeworfen, sehr schlecht ausgebildet gewesen zu sein und falsch reagiert zu haben. Doch was dürfen wir bei acht Tagen Mittelmeer für 400 Euro erwarten? Einschließlich All-you-can-eat-Buffet viermal pro Tag, versteht sich.
Man stelle sich die Besatzung des Schiffes als Drei-Klassen-Gesellschaft vor: Ganz oben ist der kleinste Teil, die Deck-Crew, bestehend aus etwa 50 Angestellten, aus Europa und der USA. Das monatliche Bruttogehalt beträgt etwa 12 500 Dollar. Im Zentrum des Schiffes befinden sich die Hotelangestellten, also Stewards, Köche, Musiker, Tänzer, sowie Reinigungs- und Servicekräfte. Eben die, die wir am meisten zu Gesicht bekommen und die uns den Urlaub schön machen. Deren monatliches Bruttogehalt beläuft sich auf 1 000 bis 3 000 Dollar und sie kommen aus der ganzen Welt. Und ganz unten im Schiff gibt es die, die der Kreuzfahrer nicht zu Gesicht bekommt. Die Arbeiter des Maschinenraums, also beispielsweise Elektriker und Mechaniker, welche aus den Philippinen und anderen Entwicklungsländern stammen. Von diesen bekommen manche nur 500 Dollar. In einer Situation wie dieser treffen alle drei Klassen zusammen und es kommt auf jedes einzelne Glied an. Jeder hat im Katastrophenfall seine eigene Aufgabe, genau beschrieben im Rettungsplan. Über 1 000 Angestellte, die sich zum Teil selbst zum ersten Mal sehen, müssen Hand in Hand zusammenarbeiten. Als wäre das nicht schon schwer genug, fehlte in Fall der Costa Concordia auch noch der Kapitän, der normalerweise die Kommandos gibt. Nun muss man sich erneut fragen, ob man der Besatzung - den Kapitän ausgenommen - wirklich so viel Schuld zuweisen kann. Das Handeln des Kapitäns wurde durch 19 deutsche Überlebende zur Anzeige gebracht. "Es geht um den Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung, der Aussetzung, Gefährdung des Schiffverkehrs und um unterlassene Hilfeleistung", sagte der Anwalt der Opfer.
In den vergangenen Jahren haben sich Kreuzfahrten von der Luxusreise zum Massengeschäft entwickelt. Eine Reise, die früher sehr teuer war und die sich nur wenige Menschen leisten konnten, macht heute nahezu jeder. Es gibt mehr Schiffe, größere Schiffe und die Schiffe erwecken mehr und mehr den Eindruck als handle es sich um eine kleine Stadt. Zwischen den verschiedenen Anbietern herrscht ein Wettbewerb - und der entscheidet über den Preis. Darunter leidet in erster Linie die Besatzung, vor allem diejenigen, die im unteren Bereich des Schiffes tätig ist. Die Menschen müssen für Niedrigstlöhne schuften. Ein klarer Fall von Ausbeutung. Gespart wird auch an der Ausbildung der Besatzung. Internationale Vorschrift ist, dass jedes einzelne Besatzungsmitglied - auch der Tellerwäscher - dafür trainiert ist, Rettungsaufgaben zu übernehmen. Diese Kenntnisse müssen durch Scheine nachgewiesen und regelmäßig durch Probeeinsätze geübt werden. Es gibt Schiffe, die sich tatsächlich daran halten und solche, auf denen den Besatzungsmitgliedern nur einmalig der Hebel gezeigt wird, den sie im Notfall betätigen müssen. Auf welchem von beiden man sich befindet, kann der Kreuzfahrttourist leider nicht herausfinden. Aber, dass sich in jedem Fall, auch auf gut geführten Schiffen, die Koordination in einer möglichen Krisensituation sehr schwer gestaltet, müsste jedem Kreuzfahrer bewusst sein. Ebenso die Tatsache, dass es kein unsinkbares Schiff gibt.