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Vertrieben von daheim: Vier junge Flüchtlinge erzählen ihre Geschichte
5. Dezember 2014, 12:09 Uhr aktualisiert am 5. Dezember 2014, 12:09 Uhr
"Vier Jahre auf der Flucht"
Omid ließ Familie und Freunde in Afghanistan zurück, um sein Leben zu retten
Von Eva Rothmeier
Omid Kurbani ist 21 Jahre alt. Er kommt aus Afghanistan und lebt seit drei Jahren in Deutschland. Mit 14 Jahren ließ Omid seine Familie und seine Freunde hinter sich und brach in ein neues Leben auf. Ohne Pass und ohne Visum.
Er flüchtete vor dem Krieg und um sein eigenes Leben zu retten. "Ich saß in Afghanistan schon seit fünf Monaten wegen einer Schlägerei mit Nachbarn im Gefängnis", erzählt Omid. Die Zustände dort seien unfassbar schlecht gewesen und sein Vater habe eine Menge Geld bezahlt, damit sein minderjähriger Sohn das Gefängnis für ein paar Tage verlassen durfte. Gleichzeitig plante die Familie Omids Flucht. "Wäre ich dort geblieben, hätte ich wieder ins Gefängnis gemusst und das vielleicht nicht überlebt", erklärt er seine Beweggründe. Bis heute darf Omid nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil die Gefahr besteht, dass er dort getötet wird. Schweren Herzens ließ der damals 14-Jährige deshalb seine Eltern, seine vier Geschwister und seine Freunde zurück und floh mit 15 weiteren Personen in einem einzigen Auto in den Iran. "Gefahren wurde natürlich nur abseits der Straßen mitten durchs Gelände - aus Angst vor der Polizei und weil niemand einen Pass besaß." Nach fünf Tagen voller Angst erreichte die Gruppe den Iran, wo Omid in einer Kleiderfabrik als Näher arbeiten konnte. Aber auch dort gab es immer wieder Ärger. "Wir Afghanen zählen im Iran überhaupt nichts", erzählt er. Omid durfte nur illegal arbeiten und immer wieder bereiteten ihm die fehlenden Papiere Schwierigkeiten.
Langer Weg bis nach Deutschland
Omid litt gerade in der Anfangszeit sehr, denn der Jugendliche vermisste seine Familie und seine Freunde und wollte nichts lieber als wieder nach Hause. "Aber ich wusste, das geht nicht", erzählt er. Nach acht Monaten und einem weiteren Gefängnisaufenthalt ging Omids Flucht deshalb weiter in die Türkei. "In der Türkei wurde ich von den Behörden wieder nach Afghanistan abgeschoben, weil ich keinen Pass vorweisen konnte", erzählt der heute 21-Jährige. Doch Omid und seine Familie gaben nicht auf. Wieder zahlten sein Vater und sein Bruder viel Geld für Omids erneute Flucht. Für den Jugendlichen ging es wieder in den Iran und später in die Türkei. "Als ich dort aber wieder nicht mehr bleiben konnte, flüchtete ich mit dem Schiff nach Griechenland", sagt Omid. Diese Flucht sei sehr gefährlich gewesen. "Das Leben in Griechenland war sehr hart", erinnert er sich. Omid bekam keine Arbeitserlaubnis, kein Visum und hatte immer wieder Ärger mit der Polizei. Auch hier konnte er nicht bleiben und so flüchtete er mit vielen Gleichgesinnten in einem Lkw, der auf ein Schiff verladen wurde, nach Italien. "Ich war zwei Wochen dort, als ich schon wieder abgeschoben werden sollte", erzählt Omid.
Der junge Mann flüchtete erneut - dieses Mal nach Deutschland. "Mit Bekannten fuhr ich in einem winzigen Auto mit der Aufschrift ,Pizzaservice' von Mailand nach Kassel, berichtet er. Doch auch in Deutschland wurde der Afghane von der Polizei kontrolliert und weil Omid keinen gültigen Pass hatte, wurde er nach Zirndorf in ein Asylantenheim geschickt. "Dort musste ich 45 Tage bleiben, bis ich 2011 weiter in eine Unterkunft in Parsberg in der Oberpfalz geschickt wurde", erinnert sich Omid. In Deutschland sei zunächst alles sehr schwer gewesen. "Ich konnte die Sprache überhaupt nicht und bekam zunächst auch keinen Deutschkurs genehmigt", erzählt Omid. Das steht nur anerkannten Asylbewerbern zu und das ist Omid bis heute nicht. Mit Hilfe des Internets brachte er sich so gut wie möglich selbst Deutsch bei. "Sonst kommt man doch überhaupt nicht vorwärts", sagt er.
Omids Wunsch: eine Ausbildung als Mechaniker
Nach eineinhalb Jahren kam er 2012 nach Regensburg - für Omid ein Glücksfall. "Hier durfte ich sofort die Städtische Berufsschule II besuchen, bekam Deutschunterricht, arbeite jetzt in der Gastronomie und boxe in einem Verein", erzählt Omid glücklich. Das Leben in Regensburg sei - abgesehen von seiner Wohnsituation in einem Asylbewerberheim - schön: "Ich wünsche mir nichts mehr, als hier als normaler Mensch mit einer Aufenthaltsgenehmigung zu leben und eine Ausbildung als Mechaniker zu machen", sagt er. Bislang wird Omid in Deutschland nur geduldet. Wie es weitergeht, weiß er nicht. Er möchte seine Familie wieder in seine Arme schließen. "Meine Mutter vermisse ich am allermeisten, auch wenn wir regelmäßig telefonieren und skypen. Aber das ist nicht dasselbe", sagt Omid.
"Zurück will ich nicht mehr!"
Vor elf Jahren kam Emilia aus Aserbaidschan nach Deutschland
Von Bastian Schreiner
Die in Rötz untergebrachten Asylbewerber spielen und essen im Gemeinschaftsraum. Ein Jugendlicher verteilt Lebkuchen. Unter den Flüchtlingen ist auch Emilia. Die 22-Jährige stammt aus Aserbaidschan und lebt seit 2003 in Deutschland. "Wir wurden schlecht behandelt, die Leute wurden geschlagen, die Polizei machte Probleme", erzählt sie. Nachdem ihr Vater ermordet worden war, floh Emilia vor elf Jahren mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus der Hauptstadt Baku.
Die 22-Jährige spricht gut Deutsch. "Die Sprache habe ich schon in Aserbaidschan gelernt, mein Vater hat mich auf eine Wochenend-Schule geschickt", informiert sie. Zunächst hatten die drei Flüchtlinge eine Unterkunft in Kulmbach und Kronach in Oberfranken. Emilia besuchte die Hauptschule im fränkischen Schnaittach, schaffte aber keinen Abschluss. Seit ein paar Jahren wohnt sie nun in Rötz. Ihr 27-jähriger Bruder ist momentan in Nürnberg untergebracht. "Meine Mutter wurde 2011 wieder abgeschoben", berichtet sie erbost. In ihrem kleinen Zimmer lebt sie allein. Einmal im Monat steht sie mit ihrer Mutter via Facebook in Kontakt. "Vielleicht versucht meine Mutter, nochmal hierher zu kommen", sagt Emilia.
Einjähriger Sohn lebt bei Pflegeeltern
Freude bereitet Emilia auch, wenn sie von ihrem Sohn erzählt: "Ich habe einen einjährigen Sohn mit einem deutschen Mann. Mein Kind lebt bei Pflegeeltern, ich kann es alle zwei Wochen einmal sehen." Mit ihrem Freund, der nur am Wochenende zu Besuch kommen darf, ist die 22-Jährige schon mehrere Jahre zusammen. Emilia träumt von einer eigenen Familie. Und sie möchte arbeiten, am liebsten als Hotelfachfrau. "Doch ohne Arbeitserlaubnis geht das nicht", erklärt sie. Auf jeden Fall sei sie dankbar, in Deutschland sein zu können: "Hier ist es viel ruhiger, sicherer und sauberer. Die Landschaft ist schön, die medizinische Versorgung gut." Wetter und Essen seien okay. Aus Baku hat Emilia kaum Sachen mitgebracht. Die Klamotten musste sie hier neu kaufen. Die meisten Bürger in Deutschland würden die Flüchtlinge gut behandeln. "Aber ich verstehe es, wenn einige das nicht so gut finden, dass wir Taschengeld bekommen und fast nichts machen", zeigt sie Verständnis.
Den langweiligen Alltag verbringen die Flüchtlinge meist in ihrem Zimmer oder sie scherzen, reden und spielen zusammen. "Wir unterhalten uns so gut wie möglich auf Deutsch, da alle verschiedene Sprachen sprechen", sagt sie. Unter der Woche geben Ehrenamtliche Deutschkurse oder musizieren und basteln mit den Asylbewerbern.
Für die Zukunft wünscht sich die 22-Jährige vor allem Gesundheit. "Ich bin sehr dankbar, in Deutschland zu sein", betont sie mehrmals. Zurück in das mehr als 3.000 Kilometer entfernte Aserbaidschan will Emilia nicht. Denn sie hat hier in Deutschland nun ihre neue Heimat.
"Hier habe ich eine Zukunft"
Ritwahn hat mit 13 Jahren seine Heimat Somalia verlassen - in der Hoffnung auf ein besseres Leben
Von Stefanie Sobek
Ritwahn ist ein großer Fußballfan. Am liebsten mag er den FC Bayern, sein Lieblingsspieler ist Arjen Robben. Er selbst kickt auch in einer Mannschaft. Außerdem hört er gerne Musik, tanzt viel und würde gerne Gitarre spielen lernen. Wenn Ritwahn von seinen Hobbys erzählt und zwischendurch immer wieder lacht, kann man gar nicht glauben, was der 16-Jährige, der jetzt in der AWOJugendwohngruppe in Straubing untergebracht ist, in seinem bisherigen Leben schon alles mitmachen musste.
Ritwahns Heimat ist Somalia. Dort hat er bis zu seiner Flucht vor drei Jahren zusammen mit seinen Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder gelebt. Die Zustände in Somalia sind katastrophal, es herrscht Krieg. "Wir hatten immer Angst. Tag und Nacht. Wir wussten nicht, ob wir morgen noch leben", sagt Ritwahn. Ein Schicksalsschlag für die Familie war der Tod des Vaters - er wurde erschossen. Als auch sein Bruder umgebracht wurde, war für die Mutter klar, dass das Leben für die Kinder in Somalia zu gefährlich ist.
Flucht aus dem Gefängnis
Ritwahn war damals 13 Jahre alt. Zusammen mit einer seiner Schwestern flüchtete er aus Somalia. Die beiden gerieten in die Fänge von Schlepperbanden, die sie über Äthiopien und den Sudan in die Wüste Sahara brachten. Die Entführer drohten, die Kinder verdursten zu lassen, wenn die Familie kein Geld mehr zahle. Für die Schwester waren die Strapazen unerträglich, sie starb. Ritwahn musste alleine weiter, er fl üchtete nach Libyen. Er wurde in zwei Kindergefängnisse eingesperrt, bis ihm bei einem Arbeitseinsatz die Flucht gelang. In einem Schlauchboot konnte er sich nach Sizilien retten. Von dort kam er nach Rosenheim, wo er drei Monate blieb und Deutsch lernte. Er bezeichnet es als großes Glück, dass er danach in die AWO-Jugendwohngruppe nach Straubing gekommen ist. Seit über einem Jahr wohnt er dort zusammen mit sieben weiteren Jugendlichen in einer Gruppe, sein Zimmer teilt er sich mit zwei jungen Männern aus Somalia. Hier fühlt er sich wohl, zum ersten Mal kann er ohne Angst seinen Alltag meistern. "Hier habe ich eine Zukunft", sagt der 16-Jährige, der mittlerweile schon sehr gut Deutsch spricht. Sein Ziel ist deshalb, einen Ausbildungsplatz zu fi nden. Am liebsten würde er als Verkäufer arbeiten. Einen ersten Schritt in diese Richtung hat er bereits getan: Im Moment absolviert er im Rahmen des Unterrichts an der Berufsschule III ein Praktikum im Real-Markt an der Ittlinger Straße. "Das macht großen Spaß, die Kollegen sind sehr nett", erzählt Ritwahn. Doch bei allen positiven Erlebnissen, die er in seinem neuen Leben in Deutschland hat, lässt ihn der Verlust seiner Familie nicht los. Zu seiner Mutter und seiner großen Schwester, die beide in Somalia geblieben sind, hatte er seit drei Jahren keinen Kontakt mehr. "Ich weiß nicht, wie es ihnen geht", sagt Ritwahn und man spürt seine Verzweifl ung. Sein größter Wunsch für die Zukunft ist deshalb, irgendwie einen Kontakt zu ihnen herzustellen: "Ich vermisse sie so sehr und möchte sie so gerne wiedersehen."
Liebe für alle
Weil er einer religiösen Minderheit angehört, ist Rena auf der Flucht
Von Sebastian Geiger
Rena Aamir Ejaz ist 24 Jahre alt und kommt aus Pakistan. Er hat dort Informatik studiert. Außerdem ist er Mitglied der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft. Dies führte am Ende auch zu seiner Flucht. Denn in Pakistan werden die Ahmadiyya-Muslime gnadenlos verfolgt.
Rena entspricht so gar nicht dem Klischee von Muslimen in der westlichen Welt. Er ist rasiert, trägt Jeans und hat als Informatiker einen modernen Beruf. Er studierte in Pakistan an der Universität Informatik, hat dort Familie und Geschwister. Seinen Glauben praktizierte er offen. Das machte ihn zur Zielscheibe.
Die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft sieht sich nämlich als Reformator des Islam. Sie entstand im 19. Jahrhundert, als Asien von großen Umbrüchen geprägt war. Ihr Motto ist "Liebe für alle - Hass für keinen". Ahmadiyya-Muslime wollen den Islam als einzig wahre Religion verbreiten. Im Gegensatz zu anderen Glaubensgemeinden im Islam stand für ihren Gründer Mirza Ghulam Ahmad aber außer Frage, dass man dieses Ziel nur friedlich und ohne jeden Einsatz von Gewalt verfolgen darf. So wollen die Ahmadiyya-Muslime auch andere Glaubensgruppen im Islam auf ihre Seite bringen. Deshalb geraten ihre Mitglieder immer wieder in Konfl ikt mit Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften - viele Ahmadiyya- Muslime enden als Flüchtlinge.
Flug ins Ungewisse
Die Glaubensgemeinschaft ist deshalb dazu übergegangen, ihren Mitgliedern bei der Reise in die Sicherheit zu helfen. "Deutschland habe ich mit dem Flugzeug erreicht", erzählt Rena. Der Direktflug ist ein vergleichsweise schneller und sicherer Fluchtweg. Wochenlange Unsicherheit und Odysseen sind ihm so erspart geblieben.
Mittlerweile lebt der junge Informatiker mit anderen Mitgliedern seiner Glaubensgemeinschaft im Asylbewerberheim Geisenhausen. Rena schätzt die Bewohner der Marktgemeinde und hat sie als offene und freundliche Menschen erlebt. Was er am liebsten hätte? "Die Möglichkeit, zu arbeiten." Und die Gewissheit, dass er in seiner Heimat wieder sicher leben kann. Auf einen Arbeitsplatz arbeitet der junge Pakistani gerade hin. Er ist Teil eines Kursprojekts der Berufsschule Landshut, die eine Sprachausbildung mit den Grundzügen einer Berufsausbildung kombiniert.
Die Schüler lernen dort Deutsch und Fähigkeiten, die ihnen später den Einstieg in die Ausbildung erleichtern sollen. Für ihn und die anderen Asylbewerber, die an dem Programm teilnehmen, ist es aber noch mehr: eine Möglichkeit, aus dem oft langweiligen Alltag im Heim auszubrechen und etwas zu tun - wie jeder andere auch.