Interview
Dr. Cordt Zollfrank: Eine Welt ohne Plastik
2. Oktober 2018, 13:42 Uhr aktualisiert am 28. März 2023, 15:37 Uhr
... muss nicht sein, aber es muss das richtige Plastik sein. Dr. Cordt Zollfrank, Professor für "Biogene Polymere" am TUM Campus Straubing erklärt, warum wir Biokunststoffe brauchen.
Wir leben im Plastikzeitalter. In fast jedem Gegenstand ist Plastik verbaut. Dennoch machen wir uns kaum Gedanken, woraus sich Kunststoff zusammensetzt. Herr Professor Zollfrank, bitte erklären Sie uns in wenigen Sätzen, wie Plastik hergestellt wird.
Professor Zollfrank: Der Begriff "Kunststoff" bezeichnet einen Stoff, der aus langkettigen oder vernetzten Molekülen besteht - den Makromolekülen (Polymere). Damit aus Polymeren ein Kunststoff wird, müssen noch verschiedenste Zusätze (Additive) beigemengt werden. Die bekanntesten unter den Additiven sind sogenannte Weichmacher, Antioxidantien, Brandschutzmittel, Treibmittel, UV-Stabilisatoren, Farbstoffe und -pigmente.
Den weltweiten Verbrauch an Kunststoffen beziffern Fachleute auf über 300 Millionen Tonnen jährlich. Die meisten der heute verwendeten Kunststoffe haben Erdöl als Rohstoffquelle. Doch dieses steht ja nur noch begrenzt zur Verfügung …
Über den Zeitpunkt, wann die Erdölvorräte aufgebraucht sein werden, diskutieren Experten intensiv. Erdöl ist eine fossile Rohstoffquelle, die im Laufe von Jahrmillionen aus Biomasse entstanden ist. Diese Biomasse waren hauptsächlich abgestorbene Kleinstlebewesen der Meere, vor allem Algen. Erdöl ist demzufolge eine natürliche Ressource. Aufgrund der langen Entstehungsprozesse und weil es eben nicht in der Menge nachgebildet wird, wie es entnommen wird, ist das Erdöl als Rohstoff endlich.
Welche Alternativen zu Erdöl als Rohstoff für Kunststoff gibt es?
Als alternative Rohstoffquelle kann man viele nachwachsende Rohstoffe nutzen, wie etwa Holz, einjährige Pflanzen oder Mikroorganismen. Aus diesen lassen sich Biopolymere gewinnen. Aus Holz kann beispielsweise Cellulose und Lignin gewonnen werden. Leder, Wolle, Seide, Kautschuk und Schellack sind weitere Beispiele für Biopolymere.
Herkömmliche Kunststoffe sind langlebig und schwer biologisch abbaubar. So heißt es, dass sich beispielsweise eine PET-Flasche erst in 500 Jahren zersetzt. Wieso dauert das so lange?
Kommt Kunststoff in die Umwelt, werden zunächst einmal die niedermolekularen Bestandteile (kleinere Moleküle, Additive) ausgewaschen. Die Kunststoffe werden durch UV-Strahlen, durch tierische Einwirkungen, durch die Gezeiten, den Wind oder Bodenerosion zerkleinert. Dabei bleibt das Makromolekül als solches intakt. Es wird nicht abgebaut, sondern es entstehen nur immer kleinere Partikel. Wenn die Partikel kleiner als fünf Millimeter sind, sprechen wir von Mikroplastik. Je nach Art und Beschaffenheit der Additive sind beträchtliche Risiken für Lebewesen zu erwarten. Ein großes Problem ist, dass die Tiere diese oft nicht von ihrer Nahrung unterscheiden können. In den Mägen von verendeten Seevögeln hat man kleinere Plastikpartikel bis hin zu einem völlig unzersetzten Gegen- stand aus Plastik gefunden. Da die Kunststoffe keinen Nährwert besitzen, verhungern die Tiere mit vollem Magen. Auch sind die Folgen für Gewässer und Boden durch Mikroplastik bislang nicht abschätzbar.
Während Mikroplastik und der "Plastikmüllstrudel" in den Ozeanen mittlerweile erforscht werden, findet der Plastikeintrag in unsere Böden kaum Beachtung. Am TUM Campus Straubing haben Sie dieses Thema nun aufgegriffen.
Alles, was wir essen, und alles, woraus wir unsere nachwachsenden Rohstoffe erzeugen, beruht auf der Nutzung von land- und forstwirtschaftlichen Böden. Vorsichtige Schätzungen haben ergeben, dass bereits jetzt ein Mikroplastikpartikel in einem Bodenwürfel von drei Zentimetern Kantenlänge zu finden wäre. Wir müssen Kunststoffe entwickeln, die, wenn sie einmal in die Umwelt gelangt sind, idealerweise den Boden verbessern. Da es solche noch kaum gibt, müssen wir intensiv weiter forschen.
Es wäre also wünschenswert, wir hätten Kunststoffe, die einerseits gute Gebrauchseigenschaften haben, sich dann aber einfach auflösen. In diesem Zusammenhang fällt der Begriff "Biokunststoff". Was zeichnet diesen aus?
Werden Kunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe erzeugt, spricht man von Biokunststoffen. Die zweite Definition betrifft die biologische Abbaubarkeit: Biokunststoffe, die durch Bakterien und andere Mikroorganismen oder Pilze verstoffwechselt und damit abgebaut werden. Das bedeutet, dass diese Kunststoffe in die Kreisläufe der Natur zurückgeführt werden. So wandelt sich ein Biokunststoff aus Maisstärke bereits nach 45 Tagen in einer industriellen Anlage zu wertvollem Kompost um.
Sie sagen: "Eine Welt ohne Plastik muss nicht sein, aber es muss eine Welt mit den richtigen Kunststoffen sein". Was können wir als Verbraucher tun?
Verzichten. Wir sollten uns überlegen, ob wir eine Plastiktüte wirklich brauchen, ob die Kunststoffverpackung für jedes Produkt, jedes Buch, jedes Stück Obst, jedes Gemüse wirklich nötig ist. Gibt es Alternativen aus nachwachsenden Rohstoffen und sind diese biologisch abbaubar? Um es noch besser zu machen, sind die Industrie und der Gesetzgeber gefragt. Sie halten alle nötigen Mittel in der Hand, um Biokunststoffe aus ausschließlich nachwachsenden Rohstoffquellen mit biologischer Abbaubarkeit herzustellen.
Selbstversuch: Unser wöchentlicher Plastikmüll
Wie viel Müll kommt wohl bei einem Drei-Personen-Haushalt innerhalb von einer Woche zusammen? Das wollte die Freistunde-Volontärin Anna-Lena Weber herausfinden.
Es ist Donnerstagvormittag. Meine Mutter erledigt wie jede Woche den Lebensmitteleinkauf. Mein Vater und ich komplettieren den Drei-Personen-Haushalt. Der Wocheneinkauf auf einem Tisch ausgebreitet sieht erst mal nach wenig aus. Hinzu kommen jedoch noch die Einkäufe beim Metzger und Bäcker sowie bereits vorhandene Tiefkühlkost. Genau sieben Tage lang habe ich unseren Verpackungsmüll gesammelt. Am Ende der Woche hatten wir 26 PET-Teile (Duschgelverpackung, Plastikbecher etc.), zehn Papierverpackungen, acht Teile aus Aluminium, sechs Teile aus dem Kunststoff Polypropylen, drei Teile Restmüll und Tetrapack, zwei Dosen aus Weißblech und einen Mehrweg- Kasten gefüllt mit zwölf Glasflaschen. Kurz gesagt: Viel mehr Müll als erwartet. Ich bin geschockt. Dabei fällt mir auf: die Pfandflaschen habe ich beim Zählen vollkommen vergessen. Das wären dann nochmal 15 Stück. Das sitzt. Ich mittlerweile auch. Ich betrachte den Mülltisch vor mir und denke: "Muss das wirklich alles sein?"
Die größte Sünde: Schmelzkäse
Unsere größte Verpackungssünde aus dieser Woche ist eine Packung Schmelzkäse. In der 250-Gramm Packung sind zehn Scheiben Käse jeweils einzeln in einer Plastikfolie verpackt. Neben dem Bund Bananen, der ganz ohne Verpackung auskam, ist der Mehrweg-Wasserkasten unser umweltfreundlichstes Lebensmittel. Als meine Mutter den Berg auf unserem Esstisch sieht, schüttelt sie den Kopf. Wir müssen was ändern und zwar am besten gestern.