Bambi bringt das Wasser
Wie die größte Waldbrandübung seit Jahrzehnten ablief
4. Oktober 2024, 15:14 Uhr
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Sie beherrschen das Luftballett und setzen dabei vor allem auf einen Tango, der gern mit einem Bambi getanzt wird: Bei der Feuerwehr-Großübung "Eichkater" in Niedersachsen haben Kräfte aus Bayern und Niedersachsen vier Tage lang zusammen die Waldbrandbekämpfung aus der Luft geübt - in einer Dimension, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Rund 1.200 Einsatzkräfte, 260 Fahrzeuge, sechs Hubschrauber und vier Flugzeuge haben bei Celle-Scheuen auf insgesamt rund 270 Hektar Fläche länderübergreifend trainiert - darunter ein 53 Mann starkes Kontingent der bayerischen Flughelfer.
Ausgangsszenario: Eine langanhaltende Dürre in Niedersachsen, aus der heraus zahlreiche Waldbrände entstanden sind, die bereits einen Großteil der Einsatzkräfte Niedersachsens gebunden haben. Zwei Tage kämpften die Niedersachsen gegen fiktive Flammen, bevor sie den Katastrophenfall ausrufen mussten und Hilfe aus Bayern entsandt wurde.
Ostbayerische Helfer brachten Expertise mit
Unter Führung der Feuerwehrschule Würzburg nahmen Einsatzkräfte von zehn der 16 Flughelfergruppen des Freistaates an der Übung im rund 300 Kilometer entfernten Celle teil. Dass "Eichkater", der Name der Übung, Eichhörnchen (oder Bairisch: Oachkatzl) bedeutet, musste man zwar erst einmal nachschlagen. Dafür saß im Einsatz jeder Handgriff.
Die Kräfte aus Bayern brachten besonderes Wissen und Ausstattung mit: So halfen Feuerwehr-Kräfte etwa aus Plattling (Kreis Deggendorf) mit besonderer Expertise beim Wassertransport über lange Wegstrecken mittels Hochleistungspumpen. Flughelfer etwa aus Straubing stellten Mannschaften, die Außenlandeplätze für Hubschrauber einrichteten, wo diese mit Löschwasser befüllt werden. Zudem entsendete die Polizei Bayern einen Hubschrauber zur Waldbrandbekämpfung, die Bundeswehr unterstützte mit zwei Transporthubschraubern "NH 90".
Die zweite Hälfte der Waldbrandbekämpfung aus der Luft war zu erreichen unter den Funkrufnamen: Edelweiß, Phönix, Murphy Alpha und Murphy Bravo sowie Mike Alpha 1 und Mike Alpha 2 - alles Hubschrauber in verschiedenen Größen und Leistungsfähigkeiten. Vier Tage lang hatten die Feuerwehrleute viel Spaß beim Feuerwehrfachsimpeln im babylonischen Sprachengewirr mit Dialekten aus Franken, Schwaben, Niederbayern, Woidlerisch sowie Plattdeutsch von der Küste und Niedersächsisch.
Straubinger Maschinist bei "Tango Berg"
Windig geht es immer zu bei den Flughelfern, wenn sie unter Helikopter rennen, die eineinhalb Meter über den Boden schweben. Eine herausgegebene Sturmwarnung der Stufe drei wurde zwar nicht erreicht, die windige Vorstufe dazu blies aber schon kräftig. Der Hubschrauber schwebt dabei lautstark einen knappen Meter über einem, der Wind der Rotorblätter pfeift vom bayerischen Polizeihubschrauber Edelweiß in gefühlter Viertel-Orkanstärke. Aber auf den Wink des Tangos - der Chef ihres Trupps - rennen drei Mann los unter den Heli und hängen das "Bambi Bucket" ein, einen orangefarbenen, aufklappbaren Wasserkorb. Sie tragen blaurote Funktionswesten mit der Aufschrift "Feuerwehr Flughelfer".
Die Reserve hat das große Los gezogen: Die Männer dürfen fliegen. Murphy Alpha, eine NH90-Maschine der Bundeswehr, bringt sie zum Außenlandeplatz. Im unwegsamen Gelände werden sie an dünnen Stahlseilen abgesetzt, wo sie einen Absatzpunkt für Lasten einrichten sollen. Sie sind "Tango Berg", mit dabei Dominik Spranger von den Straubinger Feuerwehrmännern. Im normalen Feuerwehralltag ist er Maschinist, kennt sich also mit den Gerätschaften und der Technik der Feuerwehr aus. Bei seinem Punkt "Berg" wird eine Tragkraftspritze eingeflogen, die im Ernstfall Löschwasser ansaugen würde.
Downwash gibt tückischen Rückenwind
Für Wasser ist am Ende der Startbahn, 300 Meter getrennt vom Rest des Flughelferkontingents, die Mannschaft von "Tango Wasser" zuständig. Darunter zwei Straubinger. Christian Solleder ist einer davon. Das Wasser rinnt auch im einteiligen roten Fliegeranzug. Beide Mike Bravos wollen es wissen und fliegen im Akkord mit Edelweiß und Phönix an, um ihre Bambi Buckets füllen zu lassen. Die Einsatzleitung hatte den Wert der Flughelfer und Helikopter bemerkt. Das Go war endlich da. Und ab da läuft das "Wassergeschäft".
Die Männer müssen durch den Downwash, den Abwind des Helikopters. Das ist wie gegen eine Wand rennen! Da müssen sich die Männer dagegenstemmen. Unterm Heli ist dieser nicht so stark, dafür ist der Rotorenlärm lautstark. Kommuniziert wird mit den Bordmechanikern, die auf den Kufen des Helikopters stehen. Einer aus dem Flughelfer-Team gibt dazu Handzeichen. Die anderen hängen Lasten ein oder füllen Löschbehälter mit gekrümmten Stützrohr am B-Schlauch, dem größten und schwersten Löschschlauch der Feuerwehr. Dann der Rückzug nach vorne.
Damit der Pilot die Mannschaft im Blick hat, marschiert man seitlich nach vorne ab. Der gefährliche Heckrotor muss immer gemieden werden. Der Downwash ist hier noch tückischer. Jetzt hat man Rückenwind, der einen umreißen will. Man stemmt sich beim Laufen in den Boden. Nach zehn bis 15 Metern knien die Foxe, einer gibt das Flieger-OK. Der Löschhelikopter prüft die Schwere seiner Last und gibt dann Gas Richtung Abwurfplatz. In knapp zehn Minuten wird der Phönix aus Niedersachsen wieder über einem schweben, weil sein Bambi wieder Durst hat. Die Füchse schenken da gerne wieder nach.
Flughelfer: FliegE, Tango und Fox
400 Liter, funkt der "Tango Wasser", und hebt zur Unterstreichung vier Finger hoch. Seine zweite Fox-Gruppe bestätigt über Gruppenfunk. Die Geräte benutzen auch Spezialeinheiten von Polizei und Bundeswehr. Per Handzeichen informiert man die beiden Feuerwehrler aus Niedersachsen, die helfen, die schweren, befüllten B-Rohre zu bewegen. Sie kommen nahe an die Maschine, aber nicht darunter. Das macht Laune.
Waldbrandbekämpfung, die Rettung aus Großschadenslagen sowie die Personenrettung aus unwegsamem Gelände mit oder ohne Brandbekämpfung, dafür werden bayerische Flughelfer in der Feuerwehrschule Würzburg gründlich ausgebildet. Flächendeckend verteilt stehen 16 Flughelfergruppen zur Verfügung. Drei davon sind in Ostbayern: Straubing und Neustadt an der Donau (Kreis Kelheim) sind die niederbayerischen Flughelfereinheiten, Cham/Thürnstein die Nachbarn dazu. Weitere Flughelfer kamen aus den Freiwilligen Feuerwehren Amberg, Bad Reichenhall, Bayreuth, Bischofsheim in der Röhn, Herzogenaurach, Oberstdorf, und Schwabach.
Die Tangos, die Chefs der Flughelfertrupps, achten besonders auf Sicherheit und koordinieren sich mit der "FliegE". Das ist die einzige deutsche Abkürzung am Platz und steht für Fliegerische Einsatzleitung. Dort arbeitet Bernd Straub, der Zugführer der Straubinger Zentrumswache, der gleichzeitig Leiter der Straubinger Flughelfer ist. Wie, wann, was geflogen wird. Welcher Hubschrauber was fliegt. Fragen, die man an die FliegE richtet.
"Eichkater Ende!" Alle Tangos und Foxe schwärmen zurück zum Abschnittsleiter Luft. Wie es sich gehört, verabschieden sich die beiden großen Murphys mit einem niedrigen Flyby in 30 Metern Höhe. Aber was heißt niedrig. Niedrig würde für die bayerischen Flughelfer, die einzige Einheit dieser Art in Deutschland, eigentlich heißen, knieend unter dem schwebenden Heli zu arbeiten.