Bayern

Video-Utopie eines Künstlers: Freiflächen statt Autos in der Stadt

Der Künstler Jan Kamensky lässt in seiner Video-Utopie Autos in die Luft gehen und schafft stattdessen grüne Freiflächen und Wege zum Gehen, Radeln oder Vorbeirollern. Aber wosollen die Autos denn hin?


Heinrich Eisenmann sieht Gefahr für Mietpreise und Parkplätze.

Heinrich Eisenmann sieht Gefahr für Mietpreise und Parkplätze.

Von Helena Ott

Auf der vierspurigen grauen Fahrbahn stehen und rollen Autos von der Max-Joseph-Brücke Richtung Bogenhausen. Soweit, so alltäglich. Doch dann wird es kurios: Die Schilder und Ampeln winden und biegen sich, bis sie mitsamt Autos abheben und in die Luft schweben. Sie hinterlassen eine riesige freie Fläche. "Das ist der wichtigste Moment", sagt Jan Kamensky, der das animierte Video geschaffen hat. "Da öffnet sich ein Raum, den jeder mit seiner eigenen Fantasie befüllen kann".

Seine drei Utopien, die am Donnerstagabend als Video auf einer großen Leinwand mitten im Stadtteil Au gezeigt werden, hat der Hamburger im Auftrag der Münchner Forschungsgruppe M-Cube erstellt. Mit Einbruch der Dunkelheit projiziert ein Team von M-Cube die videogewordene Fantasie des Digital-Künstlers an der Ecke Schlotthauerstraße und Entenbachstraße auf eine Leinwand. Immer wieder bleiben Anwohner stehen und schauen, was das Mini-Public-Viewing soll. Aber mancher sieht auch direkt seinen Parkplatz bedroht - oder die Mieten im Viertel.

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Eine Straßenecke wird Projektionsfläche für die fantasievolle Umgestaltung von drei Münchner Orten.

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Der Übergang von der Max-Joseph-Brücke in Richtung Bogenhausen. Künstler Jan Kamensky hat den Ort digital umgestaltet.

"Keine Angst", beschwichtigt Sebastian Pfotenhauer, Co-Direktor und damit einer der Leiter des Forschungsclusters M-Cube (Münchner Cluster für Mobilität in Metropolregionen): "Hier geht es nicht um konkrete Planungen, sondern darum, frei darüber nachzudenken, was möglich wäre." Das sogenannte Innovationscluster soll neue Mobilitätskonzepte und eine Neugestaltung des öffentlichen Raums entwickeln. Angeschlossen an die TU München sind 120 Akteure aus Soziologie, Fahrzeugtechnik, Stadtplanung, aber auch Unternehmen, NGOs und Start-ups sind beteiligt.

Die Video-Utopien sind ein Baustein unter 14 solcher Interventionen im öffentlichen Raum. Sie sollten eine Frage aufwerfen, sagt Sebastian Pfotenhauer: "Wie unser öffentlicher Raum aussehen könnte, ohne dass alles auf das Auto ausgerichtet ist?" Zwischen den Anwohnern steht eine kleine Gruppe von M-Cube vor der Leinwand.

Die überwiegend jungen Wissenschaftler verfolgen, wie nach der großen Leere ein breites Rasenband durch den Asphalt sprießt. Und wie auf dem breiten ockerfarbenen Gehweg Fußgänger auftauchen und die Sitzgelegenheiten bevölkern.

"Wenn alle in ihrem Auto sitzen, kann niemand im Viertel ins Gespräch kommen oder sich begegnen", sagt Künstler Kamensky, der solche digitalen Utopien auch schon für Städte, wie Paris und Lissabon entworfen hat. Ein Anwohner ruft: "Den Trick müssen Sie mir mal verraten." In der letzten Sequenz des Videos werden sogar die Frauentürme, gut sichtbar, in den Norden der Max-Joseph-Brücke verpflanzt.

Es ist inzwischen dunkel. Ein Paar, beide 75, das direkt im Haus darüber wohnt, bleibt mitten vor der Leinwand stehen. "Es sieht immer schöner aus mit weniger Autos, aber irgendwo müssen die Autos ja auch hin", sagt die Frau. Ihr eigenes nutzten sie nur für "Urlaubsfahrten", sagen sie. Es parkt für 110 Euro im Monat in einer Garage in der Nähe.

Dann kommt Heinrich Eisenmann (62) dazu. Er hat wenig übrig für "diese Idylle". Es gebe Leute, die seien auf das Auto angewiesen. Und wo sollte sein Besuch aus dem Umland dann parken? "Das bringt nur Gentrifizierung hoch zehn", sagt Eisenmann noch. Jan Kamensky findet die Reaktionen "völlig nachvollziehbar". Die Leute hätten über Jahrzehnte gelernt, dass es überall, wo es schöner wird, auch teurer wird. "Darüber muss man ins Gespräch kommen." Auch dazu seien die Utopien gedacht. Um den Status quo zu kritisieren und nachzudenken, was wirklich gut für die Gemeinschaft wäre.

Unter den Gästen bei der Video-Vorstellung ist auch Katrin Habenschaden. Damit ein Wandel akzeptiert werde, sagt die Zweite Bürgermeisterin von den Grünen, "müssen die Menschen auch sehen, für was sie ihre Parkplätze aufgeben". Aber die temporären Schanigärten oder Sommerstraßen seien auch sehr gut angenommen worden. Platz unterliege in der Stadt einem immer größeren Mangel. Jetzt sei es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie man mit dem wertvollen Raum umgehen wolle. "Gerade ist er jedenfalls nicht fair verteilt", sagt Habenschaden. Die Video-Utopie springt jetzt wieder auf die volle Fahrbahn, mit den vier Spuren und den schmalen Gehwegen zurück.

Alle drei Videos von Künstler Jan Kamensky sind auf der Homepage von M-Cube zu sehen: www.mcube-cluster.de