Bayern

SPD-Chef will 29-Euro-Ticket für Bayern

Im AZ-Interview erklärt Florian von Brunn sein Konzept für die regionale Monatskarte, fordert, dass in Münchens Wohnvierteln höher gebaut wird. Und verteidigt, dass auch in Zukunft nachts die LKW zur Großmarkthalle rollen


Florian von Brunn beim Interview mit AZ-Lokalchef Felix Müller (l.) am Freitag in der Gaststätte Großmarkthalle.

Florian von Brunn beim Interview mit AZ-Lokalchef Felix Müller (l.) am Freitag in der Gaststätte Großmarkthalle.

Von Felix Müller

München - Vor dem bayerischen Parteitag am Wochenende spricht Spitzenkandidat Florian von Brunn in der Gaststätte Großmarkthalle mit der AZ über den Wahlkampf und die Großstadt.


AZ: Herr von Brunn, bei den letzten Landtagswahlen haben die Münchner Christian Ude und Natascha Kohnen als SPD-Spitzenkandidaten krachende Niederlagen eingefahren. Wäre es nicht Zeit, es als SPD mal ohne Städter zu versuchen und, sagen wir, auf einen bodenständigen Niederbayern zu setzen?

FLORIAN VON BRUNN: Das wäre natürlich eine Möglichkeit gewesen, es hat sich aber konkret nicht angeboten. Aus meiner Sicht wäre ein anderer eine Alternative gewesen: Dieter Reiter. Aber der will wohl OB bleiben. Ich habe die Aufgabe als Spitzenkandidat sehr gerne übernommen. Christian Ude hat übrigens unser Ergebnis verbessert.

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"CSU und Freie Wähler wollen das Erfolgsrezept von Trump kopieren", sagt Florian von Brunn.

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Sein Viertel: Florian von Brunn an der Gotzinger Straße, gleich bei der Großmarkthalle ums Eck.

In den letzten Tagen erst hat Ministerpräsident Markus Söder im Fernsehen behauptet, in Münchner Kitas gebe es kein Fisch und Fleisch mehr, sein Vize Hubert Aiwanger schoss auf allen Kanälen gegen eine Kinderlesung in einer Stadtbibliothek, bei der ein als Frau verkleideter Mann auftritt. Erleben wir den Beginn eines Wahlkampfs der Konservativen gegen die vermeintlich elitär-traditionslos-abgehobenen Großstädter?

Ich habe sehr stark den Eindruck, dass CSU und Freie Wähler das Erfolgsrezept von Trump kopieren wollen und solche konstruierten Debatten ideologisch aufladen. Dabei kann in München doch jeder sagen, essen und singen, was er will.

Die Giftpfeile von CSU, Freien Wählern und "Bild"-Zeitung richten sich parteipolitisch fast nur gegen die Grünen. Liegt das auch daran, dass die SPD gar nicht mehr auf die Grünen-Wähler in der Innenstadt zielt - sondern wie Franziska Giffey in Berlin eher auf bodenständige Autofahrer vom Stadtrand?

Ich glaube, die Grünen bieten sich mehr an, weil man die alten Klischees aufgreifen kann, Markus Söder spricht ja sogar von Körneressern. Es gibt aber schon auch inhaltliche Unterschiede: Natürlich haben wir als SPD soziale Politik viel mehr im Blick.

Die Staatsregierung hat mitten in München ein Grundstück an den US-Riesen Apple verkauft. Wäre sowas mit der SPD denkbar: ja oder nein?

Ich stehe für eine klare Linie. Dass wir als Freistaat gar keine Grundstücke mehr verkaufen, sondern sie Städten und Gemeinden günstig überlassen. Damit sie so bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen.

Ist es für München nicht auch ein Segen, dass Konzerne neu in die Stadt drängen?

Es ist wichtig für München und die Region, dass wir starke und innovative Unternehmen haben. Und: Wir können es ja ohnehin nicht verbieten.

Reden wir über Münchner Themen, für die der Freistaat unmittelbar zuständig ist. Welche Schulnote geben Sie Sicherheit und Polizei in der Stadt?

Wir haben ein sehr hohes Sicherheitsniveau. Das erfahre ich auch immer wieder auf Bürgerversammlungen. Das liegt aber auch an der starken Wirtschaft und der Sozialpolitik in München.

Also wie ist Ihre Schulnote für die Münchner Polizei?

Sehr gut.

Und für die berühmten Münchner Hochschulen?

Auch sehr gut. Es fehlen aber Wohnungen für Studierende.

Münchner Hochkultur?

München braucht auch Projekte wie die Elbphilharmonie. Ich bin aber auch sehr zufrieden, gerade mit dem, was die Stadt schon macht. Wir haben in Sendling ja jetzt mit dem HP8 auch ein tolles Ausweichquartier für den Gasteig.

Also wieder Schulnote Eins?

Ich würde sagen: Eins.

Bei dieser exzellenten Ist-Situation: Wo soll da in München eine Wechselstimmung herkommen?

Es gibt keine Wechselstimmung. Aber die brauchen wir ja auch nicht unbedingt. Die Münchner haben ja einen SPD-Oberbürgermeister gewählt.

In früheren SPD-Landtagswahlkämpfen hieß es in München immer, man brauche einen roten Ministerpräsidenten zum Wohl der Stadt - wegen dem kurzen Draht ins Rathaus. Jetzt sehen wir aber, dass kein Blatt Papier zwischen OB Dieter Reiter und Markus Söder passt, es gibt fast nie Kritik, dafür ständig gemeinsame fröhliche Fototermine. Dazu braucht's einen SPD-Ministerpräsidenten also schonmal nicht.

Das sehe ich ganz anders als Sie. Ich spreche viel mit Dieter Reiter. Und er hat zurecht sehr viel Kritik am Ministerpräsidenten.

Ach ja?

Ja, klar. Angefangen von der Fehlentscheidung, die Wohnungen der Landesbank zu verkaufen bis zuletzt zum Thema S-Bahn-Stammstrecke. Ich kann keine Zurückhaltung bei Dieter Reiter feststellen.

Ist der populäre OB für Sie in der Stadt im Wahlkampf Fluch oder Segen? Als Spitzenkandidat ist es ja auch schwierig, eher als Vorband aufzutreten und die Leute kommen wegen Reiter.

Wir arbeiten Hand in Hand. Aber natürlich mache ich mit der bayerischen SPD einen eigenständigen Wahlkampf. Viele unserer Punkte kommen aber auch und besonders den Münchnern zugute wie das Thema bezahlbares Wohnen und der ÖPNV.

Was fordern Sie beim ÖPNV?

Zum Beispiel, zusätzlich zum 49-Euro-Ticket ein regionales 29-Euro-Ticket für Bayern einzuführen, bei dem man außerdem auch noch seine Kinder mitnehmen darf.

Und beim Wohnen?

Ein bayerisches Bündnis für bezahlbares Wohnen, eine Wohnmilliarde für Bayern, die besonders bei den Städten und Gemeinden ankommen soll - und eben auch, dass Grundstücke an die Kommunen vergeben werden.

Was sind Ideen, die gerade in München helfen können, die Wohnungsnot zu bekämpfen?

Wo mit Indexmieten die Mietsteigerung an die Inflation gebunden ist, fordern wir vom Bund dringend auch eine Mietpreisbremse. Das betrifft inzwischen ja sehr viele Münchner. Ins Bürgerbüro kommen zu mir immer wieder gerade auch ältere Leute, die sagen: Nach der nächsten Mieterhöhung können wir uns unsere Wohnungen nicht mehr leisten.

Was noch?

Ich will, dass man immer ein Stockwerk mehr bauen kann als beim Nachbarhaus. Auch ohne Bebauungsplan. Dafür muss der Bund das Baugesetzbuch ändern. Und es darf nicht mehr sein, dass - wie jetzt in Hartmannshofen, wo sehr viele Gebäude des Freistaats leerstehen - Grundstücke und Häuser aus öffentlicher Hand meistbietend verkauft werden. Die Wohnungen für Staatsbedienstete am McGraw-Graben in Giesing müssen endlich gebaut werden. Und in der Studentenstadt stehen 1500 Wohnungen leer. Die staatliche Bayernheim hat immer noch keine einzige Wohnung gebaut. Das sind alles Probleme, die wir sofort angehen werden.

Was wäre für die SPD bei der Landtagswahl in München ein gutes Ergebnis? Platz 2 hinter den Grünen?

Ein Direktmandat in der Stadt wäre auf jeden Fall gut. Und in Bayern peilen wir Platz 2 an, mindestens aber Platz 3. Dafür brauchen wir mehr Prozente als letztes Mal.

Reden wir über Sendling, Ihr Viertel. Hier haben die Grünen bei der Bundestagswahl das einzige Direktmandat in ganz Bayern geholt. Warum trifft die SPD nicht mal mehr in den innerstädtischen ehemaligen Arbeitervierteln das Lebensgefühl?

Die Stadt verändert sich: Ältere sterben und wir haben starken Zuzug, das ist natürlich auch in Sendling so. Und: In den letzten Jahren haben Umweltthemen zurecht eine große Rolle gespielt. Mit der Inflation und den gestiegenen Energiekosten geht es jetzt aber auch mehr ums Soziale. Hier liegt die Kompetenz der SPD.

Vor Jahren sind wir schon einmal hier in der Gaststätte Großmarkthalle zusammengesessen und haben über Sendling gesprochen. Damals sagten Sie, das Viertel solle nicht zu sauber werden, insgesamt seien Sie da sehr zuversichtlich. Sind Sie das ernsthaft immer noch?

Ja. Die vielen Genossenschaftswohnungen im Sendlinger Unterfeld sind ein Anker. Beim HP8 hat man eine gute Lösung hinbekommen, dass dort neben der Kultur immer noch auch eine Reifenwerkstatt ist oder die Ausbildungswerkstatt der Stadtwerke. Und: Wenn die Großmarkthalle hierbleibt, wird das seinen Teil dazu beitragen, dass das Viertel seinen Charme behält.

Sind LKW, die in Massen in der Nacht in die Stadt hinein zu einem Umschlagplatz fahren, echt noch zeitgemäß?

Niemand findet toll, dass Lastwagen vor seiner Tür fahren. Aber es wäre nicht gut fürs Viertel, wenn es Gewerbe verliert. Es gibt hier auch Wohnungsbau und Gaststätten. Dieser Mix ist doch viel besser als reine Schlafstädte.

Ein paar Meter von Ihrem Sendlinger Büro entfernt, gleich gegenüber von Ihrem Lieblingsitaliener Piccola Italia, klafft das Sendlinger Loch, eine riesige Baugrube, wo seit Jahren nichts passiert, nachdem sich ein Investor mit seinen Luxuswohnungen verzockt hat. Was denken Sie, wenn Sie das sehen?

Ich ärgere mich jedes Mal. Es ist ein weiterer Hinweis, dass wir eine Baulandsteuer brauchen. Die würde bedeuten, dass man mehr Grundsteuer zahlt, wenn man ein Grundstück unnötigerweise nicht bebaut.

Sind Sie für Dieselfahrverbote in München?

Wir haben keine andere Wahl.

Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich sagt doch, München hätte es auch einfach nicht tun können.

Das ist unverantwortlich. Die CSU hat es selbst nicht geschafft, Maßnahmen zu ergreifen, um die Belastung etwa mit Stickoxid in der Stadt zu senken. Stichwort S-Bahn. Dann hat man die Verantwortung der Stadt übergeben und nun zeigt man mit dem Finger auf sie. Natürlich musste gehandelt werden, sonst hätten Gerichtsurteile gedroht. Es ist aber eine Lösung mit Augenmaß. Und wenn die Werte sinken, wird die Stufe 2 nicht in Kraft treten.

Anwohner an Landshuter Allee und Tegernseer Landstraße sagen uns aber, sie würden gar keine Effekte merken.

Das muss man abwarten.

Sie gelten als sehr fleißig und anständig - und als schwer vermittelbar im Bierzelt auf dem Lande. Wann schalten Sie um auf den Attacke-Modus?

Es geht nicht um Attacke.

Nein?

Wir haben einen Ministerpräsidenten, der alles ankündigt und nichts hält. Von 10 000 Wohnungen ist noch keine einzige gebaut. Man kennt ja Menschen, die immer sagen, sie machen dies und das und dann kommt nichts. So einer ist Markus Söder.

Und was sind Sie für einer?

Ich mache lieber verlässlich Politik.