Bayern

Schuh-Bertl im großen AZ-Interview: "So oft wie möglich barfuß laufen"

Der Schuh-Bertl (60)ist einer der letzten Schuster Münchens. Er hat rund 40 Jahre Berufserfahrung. Dutzende Prominente bekamen schon handgefertigte Maß-Schuhe von ihm - sogar der Papst


Zu Besuch bei Schuh Bertl in München.

Zu Besuch bei Schuh Bertl in München.

Von Hüseyin Ince

Es ist einer der letzten Tage des Jahres 2022. Und der Schuh-Bertl tut, was er leidenschaftlich gut kann. Er baut Maß-Schuhe oder repariert für seine Kunden ein Paar, das sie bei ihm vor Jahren gekauft haben. Im Hinterhof der Kohlstraße 3 hat der Schuh-Bertl seine Werkstatt. Im ersten Raum riecht es nach Holz. Schusterleisten hängen von der Decke. Im zweiten Raum riecht man deutlich den Schuhkleber. Der Schuh-Bertl schneidet gerade die Sohle von einem recht abgetragenen Schuh. Dazu lauter Radiopop.

SCHUH-BERTL: Achtung, jetzt gibt's Krach. Bei mir scheppert's immer zwischendurch.

AZ: Macht nix.
(Der Schuh-Bertl wirft die Maschine an, nimmt einen Stiefel ohne Sohle in die Hand und schleift ihn an der Maschine glatt) Jetzt kommt die Sohle drauf. Da habe ich schon den Kleber aufgestrichen. Jetzt presse ich die mit der Maschine drauf. Acht Bar Druck. Da kannst du so kräftig sein, wie du willst, das kriegst du nicht drauf. Was hast du denn da an?

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Ein Nachbau des Schuhs, den Bertl für den kürzlich verstorbenen Ex-Papst Joseph Ratzinger angefertigt hat.

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Schuhe von Basti Schweinsteiger beim Schuh Bertl in München.

Das sind meine Lieblingsstiefel, mit Schafswolle. Die sind schon völlig fertig. Aber ich habe die Sohle noch mal mehr schlecht als recht angeklebt.
Zeig mal her, stell deinen Fuß mal auf den Hocker. Mmhm, aha. Da haben wir gleich das nächste Thema.

Dilettanten, die den Schuh lieber selber kleben, als dass sie zum Schuster gehen?
Nein, gar nicht. Thema Nachhaltigkeit. Alle reden darüber, kaum einer macht es. Meine Schuhe sind immer reparabel. Das mache ich schon immer so.

Also finden Sie es gar nicht so schlecht, dass ich versucht habe, selbst zu kleben?
Du kannst mich ruhig duzen. Schau, meine Kollegen und ich, wir machen bezahlbare genähte Schuhe in handwerklicher Manier, die lange halten und reparierbar sind. Den Stiefel, den ich gerade repariere, haben wir gebaut im Jahr 2019. Die Sohle wäre hier nie abgegangen. Weißt du, warum sich deine Sohle gelöst hat?

Nein. Weil der Kleber schwach geworden ist?
Die Nähte deiner Sohle sind nicht echt. Sie halten die Sohle nicht am Schuh. Ist also nur geklebt. Meine Schuhe sind geklebt und genäht. Komm mal mit. (Wir gehen zur Schuh-Nähmaschine hinüber. Mit viel Kraft näht Bertl die frisch geklebte Sohle einmal rundherum)

Verstehe. Da werde ich künftig genauer hinschauen. Seit wann bist du hier eigentlich Schuster?
Seit 1988. Ich habe damals den Laden von einem Schustermeister übernommen.

Trägst du immer Lederhosen?
Das ist mein Arbeitsgwand. Ein guter Schutz. Und außerdem kann man die bei uns auch kaufen. Ich empfehle immer die regionale Hirschlederne.

Wovor schützt die Lederhose?
Vor Schnitten. Ich arbeite mit einem sehr scharfen Messer, mit einem sogenannten Kneip.

Hast du dich also ohne Lederhose schon mal ins Bein geschnitten?
Das erste und einzige Mal, ja. (Bertl schiebt seine Hosenträger links und rechts ab, zieht die Hose runter und zeigt auf eine drei Zentimeter lange Narbe auf dem rechten Oberschenkel).

Aiaiai.
Sauberer, glatter Schnitt. Seitdem immer Lederhosen. So einfach ist das. Ein gut geschliffener Kneip schneidet durch Leder wie Butter. Die Messer sind aus Spanien, wo wir auch eine Produktion haben.

"In den 80ern habe ich alte deutsche Autos in den Iran überführt"

Warum ist dir so wichtig, dass man deine Schuhe auch wieder reparieren kann?
Früher war das ganz normal, dass man etwas verkauft, das lange hält. Das ist immer der Anspruch gewesen, Handwerkerehre. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Heutzutage bescheißen sie einen eher. Das darf eigentlich nicht sein.

Warst du eigentlich schon vor 1988 Schuster?
Ich habe eine Schuster-Ausbildung. Aber ich hatte schon viele Jobs. In den 80ern, während des Iran-Irak-Krieges, habe ich alte Autos in den Iran überführt. Am Berg Ararat vorbei, in der Türkei. Kennst du den Berg?

Schon davon gehört.
Tiefstes Gebirge. So viel Armut habe ich selten gesehen. Aber eine unfassbar wunderschöne Landschaft.

Du bist einer der letzten Schuster Münchens. Wird es den Beruf in 50 Jahren noch geben?
Nein, ich befürchte, das Handwerk stirbt. Ich suche schon seit Ewigkeiten potenzielle Nachfolger für meine Werkstatt. Aber da ist nichts in Sicht.

Es ist eine körperlich sehr harte Arbeit oder?
Ja, da sollte man kräftig sein. Du arbeitest zwar viel mit Maschinen, aber trotzdem brauchst du oft grobe Gewalt. Für zierliche Leute ist das sicher nichts. Alleine, um die Leisten in einen Schuh zu drücken, muss man schon viel Kraft haben. Und das ist nur ein kleiner Teil des Handwerks.

Bertl, du sprichst oft klares Deutsch, wechselst dann plötzlich in den Dialekt. Bist du gebürtiger Münchner?
Grafing. Da bin ich geboren. Auf Messen braucht man Hochdeutsch, damit sie einen verstehen. Meine Eltern haben slowenische Wurzeln. Wie ist es bei dir?

Ich komme aus der Gegend von Miesbach.
Ach, Miesbach. Schau mal her. (Holt ein paar Frauenschuhe aus dem Nebenraum). Kennst du die? Das sind Miesbacher, also Miaschbecker. Aber weißt was? Keiner trägt die noch handgemacht in den Trachtenvereinen. Heute sind die oft einfach nur aus Gummi. So viel zur bayerischen Tradition.

Was kosten die bei dir?
Maßschuhe kosten zwischen 1.800 und 2.000 Euro. Aber wir machen hauptsächlich bezahlbare Schuhe ab 200 Euro, die rahmen- oder zwiegenäht sind und die man reparieren kann. Ebenso machen wir Sneakers, komplett in Deutschland, ab 200 Euro, die man auch reparieren kann.

"Es ist mir wichtig,
dass ein Schuh in
Würde altern kann"

Du hattest erzählt, dass du Arbeit auslagerst. Wo sitzen deine Kollegen eigentlich?
Spanien, Portugal, England. Aber die Zwiegenähten werden alle in Deutschland produziert, so regional wie möglich. In England gibt es immer noch diese große Tradition der handgemachten Business-Schuhe. Das haben wir in Deutschland nicht mehr.

Du könntest Tag und Nacht arbeiten oder?
Das mache ich sowieso. Sonst würd ich das nicht schaffen. Ich arbeite 360 Tage im Jahr. Aber ich habe Glück. Mein Beruf ist mein großes Hobby. Ich gehe gerne arbeiten. Das können heute nicht mehr viele Leute behaupten. Ich habe auch das Glück, dass ich in der Nähe meiner Arbeit wohne. Alte Mietverträge. Aber wie das für die künftigen Generationen werden soll, bei den heutigen Mietpreisen... Viele Leute können von ihrer Arbeit nicht mehr leben, geschweige denn Rücklagen bilden. Das ist keine gute Entwicklung.

Was hältst du eigentlich von dem großen Sneaker-Trend?
Ich habe nichts gegen Sneaker. Ich habe mit der Firma Brütting sogar selbst einen entwickelt. Aber drei Sachen waren mir wichtig. Rate mal.

Bezahlbar, regional produziert und reparabel?
Richtig. Aber es ist auch wichtig, dass ein Schuh in Würde altern kann. Und als Meister meines Fachs kann ich dir sagen: Das schaffe ich, dass ein Schuh würdevoll altert. Komm mal mit.

(Wir stapfen durch den Schnee in Bertls Büro nebenan).

Hier ist meine Bibliothek über Schuhe. Und meine Denkfabrik. Das ist der rote Sneaker. Der gehört einer japanischen Kundin. Die hat die runtergeräubert. Und ich habe ihr dann demonstriert, dass man den wieder in den Originalzustand versetzen kann.

Wie viel hat der gekostet?
250 Euro.

Und hielt dann?
Knapp zwei Jahre. Aber die Kundin hat es drauf angelegt. Die hat den richtig runtergelatscht.

Was kostet die Reparatur?
60 Euro.

Das klingt nicht wild für gutes Handwerk.
Sehe ich auch so.

Wie viele Bücher über Schuhe sind das hier?
Das dürften um die 2.000 sein, manche sind aus dem 15. Jahrhundert. Hab selbst schon drei geschrieben. Eines über den Haferlschuh. Und jetzt gerade schreibe ich wieder eines.

Worum wird es darin gehen?
Nicht über Semmeln.

Ich habe mal ein Video gesehen auf deiner Internetseite, in dem du von Grund auf einen Haferlschuh aufbaust. Wie viele Stunden stecken in so einem Haferlschuh?
Stimmt schon, es ist ein immenser Aufwand. Ich schätze, in jedem Haferlschuh stecken zwischen 25 und 40 Stunden.

Was ist eigentlich dein Lieblingsschuh?
Ich habe 300 Paar. Aber am liebsten laufe ich barfuß. Das sollte jeder so oft wie möglich tun.

Interessant, warum findest du das wichtig?
Nur ein Wort: Hallux, Fehlstellungen am Fuß, eine Volkskrankheit. Millionen von Menschen sind betroffen. Wenn man gute Schuhe hat und dazu viel barfuß läuft, verändern sich die Füße ein Leben lang kaum. Sie werden mit der Zeit nur etwas breiter. Ich möchte übrigens auch ein Buch über den Hallux schreiben.

Ein eigentlich medizinisches Thema.
Finde ich nicht. Die Medizin kommt erst später dazu. Falsche Schuhe führen oft zum Hallux.

"Ich habe schon Schuhe für Otti Fischer gebaut. Seine Hochzeitschuhe"

Was ist deine größte Kritik an der heutigen Massen-Schuhproduktion?
Alles dreht sich nur um den Profit und deshalb gibt es fast keine regionale Produktion mehr. Wegwerfgesellschaft.

Gibt es Schuhhersteller, die du gut findest?
Birkenstock zum Beispiel. Die wollen jetzt einen Schuh herausbringen, der echte Nähte hat, zum Jubiläum. Ich hab schon für Herrn Birkenstock Schuhe gemacht. Übrigens auch für Otti Fischer. Seine Hochzeitsschuhe.

Auch für Papst Ratzinger.
Ja, ich wurde schon in die Prima Fila eingeladen.

Die Schuhe waren bestimmt teuer oder?
Ich hatte mich darum beworben, für den Papst Schuhe zu bauen und wurde dann auserwählt. Er hat sie also gar nicht bezahlt (lacht lauti).

Kohlstrasse 3,
mehr Info auch unter
www.schuhbertl.comi