Skitourengehen boomt
Nachts auf die Brettl
1. März 2019, 20:26 Uhr aktualisiert am 1. März 2019, 20:26 Uhr
Es ist Nacht, die Lifte stehen still. Doch auf manchen Pisten herrscht reger Betrieb. Die Parkplätze an den Talstationen sind gut gefüllt. Karawanen von Skitourengehern ziehen mit Stirnlampe gerüstet den Berg hinauf. Der Deutsche Alpenverein (DAV) schätzt, dass eine halbe Million Deutsche gelegentlich auf den Lift verzichten und mit Skiern aufsteigen. Allein im Skigebiet Garmisch verzeichnen die Liftbetreiber jährlich 25 000 Tourengeher auf den Pisten, fast doppelt so viele wie im Winter 2011/2012. Immer mehr Tourengeher steigen auch nachts auf die Brettl. "Je nach Wetterlage und Schneeverhältnissen sind an einem Tourenabend im Schnitt mehr als 500 Tourengeher bei uns um Skigebiet unterwegs", sagt Karl Dirnhofer, Betriebsleiter des Skigebietes Garmisch-Classic. Dabei ist von der schönen Landschaft wenig zu sehen - und von der gepriesenen Ruhe der Bergwelt kann kaum die Rede sein. "Es gehört halt zum Lifestyle", sagt der Geschäftsführer der Hörnle-Hütte bei Bad Kohlgrub, Martin Bierling. Der Trend verschafft ihm wie auch anderen Hütten abendlichen Hochbetrieb. Manchmal kämen an einem Abend 200 bis 300 Tourengeher - grob geschätzt. Gelegentlich wird es knapp mit den Plätzen. Die natürliche Begrenzung sei die Kapazität des Parkplatzes im Tal. "Wenn der Parkplatz voll ist, ist auch die Hütte voll." Die Kasse klingelt - und die Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun, Gulaschsuppe, Würstl und Bier auszugeben.)) Skitourengeherin Maria von Kirschbaum schätzt an den Abenden, "dass ich abends noch mal an die Luft kann". Manchmal sei auf den Hütten zwar arg viel los. Den Job hinter sich zu lassen, den Tag durchzudenken und gemeinsam mit Freunden unterwegs zu sein - das lockt die Gmunderin aber immer wieder auch abends auf den Berg. "Nächtliche Aktivitäten sind interessant, weil man sie neben dem Beruf machen kann", sagt Peter Schöttl, Vorstand des Verbandes Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte. Gerade die Möglichkeit, auf der Piste Skitouren zu gehen, habe die Sportart für mehr Menschen erschlossen. "Auf der Piste kommt jeder hinunter." Dabei seien manche zu den "unglaublichsten Zeiten" unterwegs. "Man muss gewärtig sein, auch um 5 Uhr früh einen Skitourengeher anzutreffen. Das ist ein großes Problem, wenn es geschneit hat und wir Lawinensprengungen vornehmen müssen." Denn die sollen vor dem Liftstart stattfinden. Spätabendliche Touren - im Sommer sind es Mountainbiker, Bergläufer oder Wanderer - verschaffen den Bergrettern mehr Arbeit. Die Zahl der Alarmierungen nach 16 Uhr sei von rund 1 000 im Jahr 2007 auf über 1 600 im Jahr 2017 gestiegen, sagt Roland Ampenberger von der Bergwacht Bayern. Bei den Skitourenabenden, bei denen die Wintersportler auf ganz bestimmten Pisten zu teils eigens für sie geöffneten Hütten gehen, passiere zwar relativ wenig. "Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass etwas passieren kann." Manchmal laufen Tourengeher auch nach Liftschluss trotz der Pistensperrung während der Präparierungsarbeiten los. Dabei gab es schon schwere Unfälle, weil Skifahrer im Dunkeln in die Windenseile von Pistenraupen rasten. Inzwischen fahren die Raupen, sonst bei letztem Tageslicht unterwegs, an Tourenabenden oft erst nach 22 Uhr. Keine Ruhe für die Natur. Naturschützer sehen die Entwicklung mit Skepsis. "Der Trend in die Nacht hinein ist ein Problem für die Wildtiere. Die Regel sollte sein, zur Dämmerung auch wieder unten zu sein", sagt der Alpenbeauftragte des Bundes Naturschutz in Bayern, Thomas Frey. Manche Stirnlampen sind hell wie Autoscheinwerfer. Auch das sei "nicht ideal". Die organisierten Abendveranstaltungen lenkten den Strom zumindest in Bahnen. "Tourenabende sind ein Teil der Lösung des Problems", sagt Frey. "Wenn am Abend neben der laufenden Schneekanone ein Tourengeher hochgeht, hält sich die Belastung in Grenzen." Auch Thomas Bucher vom Alpenverein sagt: "Wir finden es gut, wenn die Sache kanalisiert ist und es Skitourenabende gibt." In manchen Gebieten nehme die nächtliche Aktivität allerdings überhand; die Leute stiegen in alle Richtungen auf. Dabei ist der späte Sport nicht unbedingt gesund. "Der Abbau der körperlichen Leistungsfähigkeit beginnt um 19 Uhr mit Einbruch der Dunkelheit", sagt der Wiener Freizeitforscher Peter Zellmann. Aber: "Welches Fußballspiel beginnt vor 19 Uhr? Die Wirtschaft hat das Kommando auch in den Sport hinein übernommen." Die Trendindustrie signalisiere: "Häng dich an, sonst hängen wir dich ab." Waren es in den 1960er Jahren das Auto, das Eigenheim und der Fernseher, so bestimme Sportlichkeit heute den gesellschaftlichen Status mit. "Fit sein gehört zum Image." Auch nächtliche Skitouren sind für manchen ein Imagefaktor. Zellmann sieht sie aber noch immer als Randphänomen. "Was subjektiv als Masse empfunden wird, ist objektiv immer noch eine Minderheit."
Jetzt weiterlesen mit
- alle Artikel auf idowa.de in voller Länge und deutlich weniger Werbung
- als Abonnent unterstützen Sie Journalismus in Ihrer Region
- einen Monat für 0,99 Euro testen, danach 9,90 Euro im Monat