Bayern
Leben in der Schuhschachtel: Männer-Paar findet keine Wohnung in München
2. März 2023, 17:38 Uhr aktualisiert am 2. März 2023, 17:38 Uhr
München - Der Raum ist rechteckig geschnitten, wie eine Schuhschachtel. "Hier musst du gut im Tetris Spielen sein", sagt Nicola Accordino bei der kleinen Führung durch den Raum. Er und sein Partner Luca leben seit zwei Jahren gemeinsam in dem Mini-Apartment.
Es ist erstaunlich, was die beiden hier alles unterkriegen: die Küchenzeile, ein Kühlschrank, ein quadratischer Tisch mit zwei Stühlen, und der breite Schrank. Die zwei Regale dazwischen sind voller Bücher und unter dem Hochbett verstecken sich der kleine Schreibtisch und eine Menge Ringordner mit Unterlagen im Regal daneben.
Was es nicht gibt, ist ein Sofa oder ein Sessel, wo man gemütlich sitzen kann. "Dafür ist kein Platz", sagt Nicola Accordino. Der 43-jährige Italiener arbeitet in München als Kellner und Barista. Er hat einen festen Job und einen festen Partner. Nur die Wohnung fehlt. "Eine Arbeit oder Beziehung findest du hier leichter als eine Wohnung", sagt der große Mann in schlichtem Sweater und Jeans.
Langsam wüsste er einfach nicht mehr, was er noch probieren soll. In seiner Verzweiflung hat er Oberbürgermeister Dieter Reiter am vergangenen Freitag einen Brief mit seiner Situation geschrieben. Er wartet noch auf Antwort. Leicht ist die Wohnungssuche in München für fast niemanden. Viele Familien treibt es immer weiter an den Stadtrand, weil sie nichts finden. Manche Singles zahlen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete. Aber für bestimmte Menschen läuft der Wettbewerb unter zusätzlich verschärften Bedingungen ab.
Der Gastro-Mitarbeiter Nicola Accordino schickt pro Tag 20 Anfragen auf Wohnungsanzeigen, sagt er. Er ist in Sizilien geboren und hat von 23 bis 33 in Rom gelebt. Jetzt ist er 43 und will in der Stadt, die er lieb gewonnen hat, bleiben, sagt er. Doch in den zwei Jahren, in denen sie nun schon in dem winzigen Apartment wohnen, hat er nur eine einzige Antwort auf seine Anfragen bei Vermietern bekommen.
Trotzdem sitzt er jeden Tag eine Stunde vor der Immobilien-App und schreibt Vermietern. "Wir haben gar nicht die Chance zu zeigen, wie freundlich und zuverlässig wir sind", sagt Nicola Accordino. Dazu führt er an, sie hätten viele Freunde in München, immer zufriedene Arbeitgeber und er sei von Haftpflicht, bis Hausratsversicherung top abgesichert. Es erinnert etwas an einen Leistungssportler, der wegen einer falschen Augenfarbe nicht beim Turnier antreten darf.
Online sehen die Vermieter bei den Anfragen nur Name, Alter, Beruf. Auf eine Wohnung kommen mal 50, mal über 100 Interessenten. Nicola Accordino hat alle Unterlagen hochgeladen: die Auskunft der Schufa, ohne Einträge, einen festen Arbeitsvertrag, Gehaltsnachweise über drei Monate und einen Lebenslauf. Der zeigt auch, dass er in den vergangenen Jahren in Deutschland durchgehend Vollzeit gearbeitet hat.
Die Situation von Accordino und seinem Partner zeigt erneut, welche Härten der Wohnraummangel in München erzeugt. Es ist ein besonderer Fall, dass sich zwei erwachsene Männer, weil sie nichts finden, 18 Quadratmeter teilen. Aber sie sind nicht die Einzigen, die solche erschwerten Bedingungen vorfinden.
In einer repräsentativen Befragung von 2020 ermittelte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass 35 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund innerhalb der vergangenen zehn Jahre bei der Suche nach einer Wohnung schon einmal rassistisch diskriminiert wurden. Die Suche nach Wohnraum belegt in der Studie den ersten Platz. Noch vor Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt, in der Schulklasse oder vor der Discotüre. In München leben 1,5 Millionen Menschen. Davon haben 28 Prozent einen ausländischen Pass oder eine Einwanderungsgeschichte.
Die einzige Rückmeldung bekam das Paar in den zwei Jahren für eine Wohnung in Giesing. Dachgeschoss, 44 Quadratmeter, 690 Euro kalt. Es wäre perfekt gewesen, sagt er. Und mehr als doppelt so viel Platz. Aber beim zweiten Kontakt sagte die Vermieterin plötzlich, dass die Miete nun wegen Renovierungen doch teurer wäre. Wie viel? 1000 Euro kalt. "Die wollte uns einfach nicht haben", sagt Accordino.
Ein anderes Mal hatte ihnen ein Bekannter eine Wohnung vermittelt, aus der er ausziehen wollte. Im Gespräch mit dem Vermieter stellte der viele Fragen. Was wäre, wenn er seinen Job verlöre und auch: "Was ist, wenn ihr Euch trennt?" Das ärgert Accordino, weil er sich fragt: "Würde er das ein Hetero-Paar auch fragen?" Am Ende habe der Vermieter jedenfalls gesagt, dass die 40 Quadratmeter zu klein seien, um sie an ein Paar zu vermieten. Damit war auch diese Perspektive im Eimer.
Dann wandte sich der 43-Jährige an das Wohnamt der Stadt. In München gibt es insgesamt über 800 000 geförderte Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften Gewofag und GWG. Doch beim Termin mit der Sachbearbeiterin wurde er abgewimmelt. Mit 1800 Euro netto läge er noch über der Verdienstgrenze. Er durfte sich also nicht einmal auf der Warteliste registrieren. Für die Stadt verdient er zu viel, aber für die Vermieter offenbar zu wenig oder im falschen Beruf, um ihm eine Wohnung zu vermieten.
Nicola Accordino selbst glaubt nicht, dass vorrangig seine italienische Herkunft ihm im Weg steht. Schließlich sei er schon zehn Jahre hier und spricht fließend Deutsch. "Die wollen niemand aus der Gastronomie", sagt er stattdessen. Die Vermieter hätten Vorurteile, dass die Jobs in Cafés, Hotels und Restaurants unsicher seien und schnell wegbrechen können. Liegt das an Corona? Nein, sagt Accordino, das sei auch vorher schon so gewesen.
Es ist plausibel: Je weniger Wohnungen zur Miete auf dem Markt sind, desto weniger Chancen haben Leute in Jobs mit weniger Prestige und Gehalt. "Aber wer macht den ganzen Managern dann den Kaffee?", fragt Accordino. Die Ungleichbehandlung macht ihn wütend, sagt er. Auf der Arbeit behandle er die Reinigungskraft genauso freundlich wie den CEO, das sei für ihn selbstverständlich.
Seine Frage lässt sich weiterspinnen: Wenn Menschen in Pflege, Betreuungs- und Dienstleistungsberufen in einer Stadt wie München inzwischen keine Wohnung mehr finden, wer pflegt dann die Großmutter, wer steuert den Bus, wer schneidet die Haare und liefert die Pakete? "Ich arbeite seit zehn Jahren hier, zahle Steuern und halte mich an die Gesetze", sagt Accordino. Er wünscht sich vor allem eines, gerecht behandelt zu werden.