Einer der Macher der Seite im Interview

Hinterkaifeck.net: Detektive aus Leidenschaft


Eine Frage, die sich Menschen damals wie heute stellten: Warum musste bei den Morden in Hinterkaifeck auch der gerade mal zwei Jahre alte Josef sterben? Er wurde in diesem Kinderwagen erschlagen.

Eine Frage, die sich Menschen damals wie heute stellten: Warum musste bei den Morden in Hinterkaifeck auch der gerade mal zwei Jahre alte Josef sterben? Er wurde in diesem Kinderwagen erschlagen.

Ungelöste Mordfälle gibt es viele - auch in der bayerischen Kriminalgeschichte. Doch kaum ein Fall fesselt die Menschen so wie der Sechsfach-Mord von Hinterkaifeck am 31. März 1922. Bis heute versuchen Menschen aller Berufsschichten, dem Rätsel auf den Grund zu gehen und vielleicht sogar noch knapp 100 Jahre nach der Tat neue Entdeckungen zu machen. So auch in dem Online-Forum Hinterkaifeck.net. Wir haben uns mit Olaf Krämer im Interview über die Faszination Hinterkaifeck unterhalten. Er ist einer der Macher der Online-Plattform.

Herr Krämer, wann und wie kam es zur Gründung des Online-Forums Hinterkaifeck.net?

Olaf Krämer: Im Frühjahr 2008 gab es schon an einigen Stellen im Internet Diskussionen über Hinterkaifeck, auch wenn außer den Büchern von Herrn Leuschner so gut wie keine Originalinformationen verfügbar waren. Beispielhaft sei hier allmystery.de genannt, dessen Hinterkaifeck-Diskussion eine der längsten ist, zeitlich wie inhaltlich. Die wenigen Personen, die in den Archiven recherchiert hatten, waren sich unsicher, wie viel sie davon preisgeben durften.

Und dadurch reifte also die Idee, eine Webseite für die gesammelten Informationen im Mordfall Hinterkaifeck anzubieten?

Olaf Krämer: Ja, denn bis dahin fand man überall nur ein bisschen Information und nirgends konnten die vollständigen Infos gesucht und nachgeschaut werden. Außerdem gab es bis dahin nur jeweils einen Diskussionsstrang, was bei den vielen offenen und diskussionswürdigen Fragen im Fall Hinterkaifeck schnell den Bedarf nach mehr Übersichtlichkeit aufkommen ließ. Das erkannte Dirk Tzschapke und er ergriff die Initiative, erst eine Webseite zum Nachlesen der Fakten und dann zeitnah noch ein Forum für die vielen kleinen Diskussionen zu installieren.

"Neue Details in fast jedem Rechercheansatz"

Wer sind die Initiatoren dahinter?

Olaf Krämer: Dirk Tzschapke hat das zuerst alleine gestemmt, das Forum dann aber 2010 an Jasmine Kaptur übergeben. Seit 2016 unterstütze ich sie.

Wieviele Nutzer befinden sich in diesem Forum und welche Beiträge leisten diese?

Olaf Krämer: Derzeit sind rund 1.200 aktive User verzeichnet, was aber nur bedeutet, dass sich binnen der letzten zwei Jahre 1.200 Personen bei uns angemeldet und im Forum gestöbert haben. Der Anteil der aktiv diskutierenden User ist deutlich geringer, das sind sicher eher 20 bis 30, die sich regelmäßig beteiligen. Die Zahl derjenigen, die auch im "echten Leben" recherchieren, dürfte bei lediglich drei bis fünf liegen. Was aber daran liegt, dass dank des Engagements von Dirk Tzschapke und vielen aktiven Usern in der Zwischenzeit die wichtigsten Akten für alle zur Verfügung stehen. Somit erübrigen sich eigene Recherchen oft.

Werden denn immer noch neue Hinweise entdeckt?

Olaf Krämer: Neue Details finden sich fast in jedem neuen Rechercheansatz. Das sind allerdings dann Kleinigkeiten wie die Sterbeanzeige von Karl Gabriel in der lokalen Zeitung oder ein anonymer Brief in Sütterlin, in dem ein Nachbar angeschwärzt wird. Für viele sind auch diese Dinge spannend. Wirklich relevante und für die Auflösung des Falls entscheidende Fakten sind in den öffentlich zugänglichen Quellen nicht zu erwarten. Da müsste schon ein glaubwürdiges Geständnis auftauchen.

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"Vielleicht ist jeder von uns im Herzen ein Detektiv?"

Der Mordfall jährt sich ja dieses Jahr zum 98. Mal. Warum interessieren sich Ihrer Meinung nach aber immer noch so viele Menschen dafür?

Olaf Krämer: Es ist die Kombination aus mehreren Dingen. Da ist zum einen das Nichtbegreifen, wie ein Sechsfach-Mord nicht aufgeklärt werden konnte und ein Täter damit davonkam. Vielleicht ist aber auch jeder von uns im Herzen ein Detektiv, der dieses Rätsel lösen möchte. Außerdem bietet der Mordfall trotz seiner räumlichen Ansiedlung in Deutschland die Möglichkeit, in fremde Welten einzutauchen: in eine gänzlich andere Zeit, geprägt von Weltpolitik und Religion, vom ländlichen Leben, von immensen Veränderungen im Alltag und schließlich von dem Kosmos einer kleinen Familie, in der Schicksalsschläge passiert und missbräuchliche Strukturen zu beobachten waren. Diese Fremde birgt neben dem eigentlichen Mord auch eine Anziehungskraft.

Weshalb haftet diesem Fall förmlich etwas Mysteriöses an? Ist es Ihrer Ansicht nach allein die Tatsache, dass der Fall nie gelöst wurde?

Olaf Krämer: Dass der Fall nie gelöst wurde bietet natürlich für jeden einzelnen die Chance, sich eine eigene Lösung des Falles zu basteln. Anders als in einem Kriminalroman oder einer Zeitungsreportage über einen abgeschlossenen Fall kann jede neue Information die subjektive Sicht auf den Fall völlig in Frage zu stellen. Hinterkaifeck ist ein persönliches Rätsel.

"Damals galt ein Menschenleben nicht unbedingt viel"

Gibt es in Ihrem Forum eine klare Tendenz, wer der Täter gewesen sein könnte? Oder kämen sogar mehrere Täter in Betracht?

Olaf Krämer: Eine ganz eindeutige Tendenz ist nicht zu erkennen. Das liegt auch an der Vielzahl der kursierenden Theorien. Was aber deutlich wird, dass eine Mehrzahl der User an eine Beziehungstat glaubt in dem Sinne, dass sich Täter und Opfer kannten. Das lässt dann wiederum viele Motive wie Nachbarschaftsstreitigkeiten, Erbschaft, Habgier, verletzte Gefühle und so weiter offen.

Was unterscheidet den Fall Ihrer Meinung nach von anderen Mordfällen der Geschichte?

Olaf Krämer: Sicher ragt der Fall aufgrund der Zahl der Opfer und den unerklärlichen Umständen heraus. Man darf aber auch den Kontext der Zeit nicht vergessen. 1922 waren nach einem verlorenen Krieg und einer Revolution Zeiten, in denen ein Menschenleben nicht unbedingt viel galt. Wenn der Fall damals schnell gelöst worden wäre, dann wäre er sicher nicht mehr in dem Maße präsent wie heute, und eher regional. Den Unterschied macht, dass es eben keine Lösung gibt.