Interview zum Tag des Baumes
Hans Ludwig Körner: „Multiples Organversagen im Wald“
25. April 2020, 7:00 Uhr aktualisiert am 8. April 2023, 6:03 Uhr
Im Frühjahr 2020 stecken Wälder und Waldbesitzer offenbar in der Krise: Schadhafter Baumbestand einerseits, älter werdende Waldbesitzer andererseits. Die Sorge um die Zukunft der Wälder wächst.
Zum Tag des Baumes haben wir mit dem Geschäftsführer des Bayerischen Waldbesitzerverbands, Hans Ludwig Körner, über den Zustand und die Perspektiven der Wälder der Region gesprochen.
Herr Körner, wie ist der Zustand der Wälder im Frühjahr 2020?
Hans Ludwig Körner: Die Wälder sind geschwächt. Dürre, Sturmtief Sabine, das Ende Februar noch getobt hat. Das hat die Wälder sehr stark belastet, hinzu kommen die Schäden aus den Jahren zuvor und der Borkenkäferbefall. Eine Erkrankung, kurz vor dem multiplen Organversagen.
Was ist aus Ihrer Sicht zu tun, um diese Krankheit zu lindern?
Körner: Waldbesitzer sollten vor allem dringend ihre Wälder auf Schadstellen kontrollieren. Das sind besonders Einzelwürfe oder Nester, also Stellen, in denen einzelne Bäume umgefallen sind. Gerade bei der Fichte sind das ideale Brutstätten für den Borkenkäfer. Deswegen muss dieses Schadholz aus dem Wald heraus.
"Früher wurde noch jeder Zweig aus dem Wald herausgetragen"
Der Bund Naturschutz ruft die Waldbesitzer zum Tag des Baumes dazu auf, das Totholz im Wald zu lassen…
Körner: Der Wald ist auch Lebensraum für Menschen. Wenn er abstirbt, fehlt er uns mit seinen vielfachen Leistungen. Wasserschutz, gesunde Luft, Klimaschutz. Die Wälder sind randvoll mit Totholz, wir kommen garnicht hinterher, das alles aufzuarbeiten. Wir sind auch von der Überbewirtschaftung längst abgekommen. Nach dem Krieg hat man noch jeden Stängel und jeden Zweig aus dem Wald herausgetragen, um ihn zu verheizen. In der heutigen Nutzung bleibt sehr viel Restbestand im Wald. Einen abgestorbenen Baum, der sich bereits im biologischen Abbau befindet, wird ein Waldbesitzer heute auch stehen lassen.
Dann gibt es noch den wirtschaftlichen Faktor. Im vergangenen Jahr hat die große Menge Käferholz den Holzpreis ins Bodenlose fallen lassen. Was erwartet Waldbesitzer dieses Jahr?
Körner: Im Grunde das Gleiche, wenn nicht noch mehr, falls nicht noch Regen kommt. In Teilen Bayerns hat es seit fünf, sechs Wochen nicht nennenswert geregnet. Das macht den Käferbefall wahrscheinlicher.
Bezogen auf die ostbayerischen Wälder - ist hier die Lage besser?
Körner: Ist Ostbayern sind nach wie vor die Schäden von Sturmtief Sabine ein Thema. Hier ergibt sich ein Teufelskreis. Das Aufarbeiten ist leichter, wenn der Waldbesitzer sein Holz auch verkaufen kann. Der Wald ist unsere Produktionsstätte. Im Moment ist die Situation fast vergleichbar mit einem Handwerker, der auf eine Baustelle fährt und dadurch mehr Kosten hat, als er durch den Auftrag bekommt.
Der Wald als Erlebnisraum in Zeiten des Lockdowns
Wie sieht es mit der Motivation der Waldbesitzer aus, Projekte wie den Waldumbau fortzuführen und umzusetzen?
Körner: Wer sollte es sonst machen? Wir stehen auch zu dieser Verpflichtung. Es wird aber zunehmend kritisch. Auch die Waldbesitzer werden älter und Waldarbeit ist schwere, körperlich anstrengende Arbeit. Wenn jedes Jahr so ein Nackenschlag kommt wie Sabine, Trockenheit, Wildverbiss, dann reißt den Waldbesitzern irgendwann der Geduldsfaden. Einige Waldbesitzer im Bayerischen Wald haben uns schon gesagt: "Wir schaffen es nicht mehr, wir geben auf". Das ist sehr traurig. Die Frage ist: Wie kriegt man die Fördergelder auf die Fläche?
Inwiefern?
Körner: Viele der Förderrichtlinien müssen auf Ebene der EU gegengezeichnet werden. Das zieht sich dann ewig hin. Der Käfer frisst schneller, als wir eine Förderrichtlinie ausrollen können. Wir sind da machtlos. Wir können nur immer wieder telefonieren, nachfragen. Die Instanzen reichen die Anfragen dann die Hierarchie hoch weiter, von München über Berlin nach Brüssel - und am Ende ist keiner zuständig.
Entdecken gerade jetzt, in Zeiten des Lockdowns Menschen den Wald als Lebensraum?
Körner: Defintiv, das nimmt stetig zu. Der Wald ist ein Erholungs- und Erlebnisraum. Die Ruhe, die gute Luft, Vögel und andere Tiere. Es nimmt auch zu, weil die Menschen mehr Zeit haben. Die Arbeitszeit nimmt ab, es gibt mehr Freizeit. Dazu sind Freizeitsportarten wie Nordic Walking in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Das wollen die Waldbesitzer auch, weil es ein Bewusstsein für den Wald als Lebensraum schafft.
Mindestens 1,8 Millionen Festmeter seit Anfang des Jahres verloren
In Zahlen ausgedrückt: Wie viel Baumbestand haben die Wälder Ostbayerns verloren?
Körner: Allein beim Sturmtief sind 1,8 Millionen Festmeter gefallen. Die Bäume selbst sind entwertet, weil sie zerborsten, zerfasert und abgedreht sind. Neben dem wirtschaftlichen Schaden fehlt er auch dem Wald als Ökosystem wieder, wo er eigentlich Schatten spenden, Luft reinigen und vieles mehr sollte.
Interessanterweise scheint beim Thema Jagd die Meinung der Waldbesitzer und die der Naturschutzverbände nicht allzu weit auseinander zu liegen. Auch der Bund Naturschutz fordert eine intensivere Bejagung.
Körner: Das stimmt. Wenn irgendwo ein junger Baumbestand angepflanzt wird, darf es nicht sein, dass am nächsten Tag Rehe die jungen Pflanzen auffressen. Für die ist es wie in einer Kantine, in der es wochenlang nur Grießbrei gibt. Wenn dort eines Tages drei Schüsseln Mousse au Chocolat daneben stehen, dann sind dann zuerst weg. Das ist auch zu teuer, wenn man bedenkt, dass eine solche Pflanze bis sie im Boden ist, schon mal drei bis fünf Euro kostet. Der Staat fördert diese Aufforstung mit Steuergeld. Zäune in den Wald zu stellen ist teuer und bringt für die Tiere dort ganz andere Probleme mit sich. Das Geld ist besser angelegt, wenn dafür noch mehr Waldumbau ermöglicht wird.