Bayern

Gentrifizierung in Untergiesing: "Das Viertel hat nichts davon"

In Untergiesing entstehen auf engstem Raum gleich drei edle Bauprojekte. Das Beispiel zeigt, was mit der Stadt passiert, wenn begehrte Viertel nicht geschützt werden


Der Neubau ist schon erkennbar: In der Sommerstraße 54 entstehen möblierte Apartments. Das Vordergebäude ist denkmalgeschützt. Rechts in Gelb grenzt die Nummer 52 an. Auch auf diesem Grund wird neu gebaut.

Der Neubau ist schon erkennbar: In der Sommerstraße 54 entstehen möblierte Apartments. Das Vordergebäude ist denkmalgeschützt. Rechts in Gelb grenzt die Nummer 52 an. Auch auf diesem Grund wird neu gebaut.

Von Myriam Siegert

Man könnte sie fast übersehen. In einer engen Kurve der Claude-Lorraine-Straße gegenüber den Gewächshäusern der Stadtgärtnerei zweigt die Sommerstraße ab. Kopfsteinpflaster, einspurig, nur schmale Gehwege an den Seiten. Hinein zwischen ehemalige Kutscher- und kleine Stadthäuser. Hier, an ihrem südlichen Ende in Untergiesing, gleicht die Sommerstraße eher einer Dorfstraße.

Weil die Straßenzüge so beschaulich daherkommen, man aber trotzdem mitten in der Stadt und auch noch gleich an der Isar ist, möchten hier viele gerne wohnen. Die Gegend ist begehrt, immer wieder mal gab es in den letzten Jahren einen Aufschrei, wenn eines der alten Kutscherhäusl einem modernen Neubau wich oder luxuriös aufsaniert wurde.

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Sommerstraße 47: Die Lücke für den Neubau ist eng. Mittlerweile ist hier eine tiefe Baugrube ausgehoben.

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Sommerstraße 52 vorher: Hinter dem Vorderhaus reihen sich mehrereGaragen und Schuppen aneinander. Sie dürfen abgerissen werden.

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Sommerstraße 52 nachher: Kaum ist der Abriss der Anbauten Ende Januar genehmigt, sind eine Woche später die Bagger am Werk.


Die Grundstücke sind schmal und tief. In der Sommerstraße 54 ist der Bau eines langen Neubauriegels, der rückseitig an ein kleines Häuschen anschließt, schon recht weit.

Bis vor Kurzem verriet ein Transparent am Bauzaun, dass hier 21 möblierte Studentenapartments entstehen. Auf der Webseite der Immobilienfirma, die diese vertreibt, ist nur von "vollmöblierten Apartments in der Au" die Rede. Jeweils mit ein oder zwei Zimmern, Balkon oder Terrasse, ausgestattet mit Designmöbeln und "hochwertigen Einbauküchen". Klingt eher nach Luxus, als nach Studentenbude.

Das Vordergebäude, ein kleines zweistöckiges Häusl, wollten die Bauherren wohl erst abreißen, doch wie das Planungsreferat der AZ auf Anfrage mitteilt, wurde nur der Umbau des denkmalgeschützten Gebäudes genehmigt. Aktuell klage der Besitzer gegen die Ablehnung des Abbruchantrags und gegen den Denkmalschutz.

Gleich nebenan, Hausnummer 52, steht ein ganz ähnliches Häusl mit einem langgezogenen rückwärtigen Anbau aus Garagen, Werkstatt und Schuppen schon seit einiger Zeit leer. Man löse hier gerade den Hausstand des Großvaters auf, war beim Flohmarkt im vergangenen Jahr zu hören. Das Haus wird wohl bald verschwinden. Bagger und Container stehen schon bereit, drinnen wird hörbar entkernt.

Die Anbauten wurden in der vergangenen Woche abgerissen. Erst im Januar wurde dies beantragt und nach denkmalschutzrechtlicher Prüfung auch genehmigt, so das Planungsreferat. Keine Woche später war der Abrissbagger am Werk.

Ein Immobilienentwickler wirbt auf seiner Internetseite, hier würden sechs Stadthäuser entstehen, "Wohneinheiten für gehobene Ansprüche mit Wohnflächen von 150 bis 180 Quadratmetern", mit einer "außergewöhnlichen lichtdurchfluteten Dachkonstruktion" und "architektonisch perfekt in die Umgebung integriert". Das Ganze in "traumhafter Lage keine 500 Meter von Isar entfernt". Fertigstellung schon Endes des Jahres.

Allerdings, ein Bauantrag scheint noch gar nicht gestellt worden zu sein. Beim Planungsreferat hat man seit über 15 Jahren keine Vorgänge zu der Adresse vorliegen.

Derselbe Immobilienentwickler baut auch schräg gegenüber in der Sommerstraße 47. In der engen Baugrube zwischen zwei Häusern wird schon gearbeitet. Der Baukran nimmt die gesamte Straßenbreite ein, nur ein schmaler Fußweg bleibt zum Vorbeikommen.

Hier, so verrät es die Webseite des Immobilienunternehmens, entstehe ein großzügiger, "barrierefreier Mehrfamilien-Neubau", samt Tiefgarage mit E-Ladepunkten. Sieben Wohneinheiten verspricht der Anbieter und "Wohnflächen von 60 bis 110 Quadratmetern", außerdem ein "130 Quadratmeter großes Penthouse mit eigener 60 Quadratmeter-Terrasse für gehobene Ansprüche."

Auch hier wird mit der Lage im begehrten Au-Haidhausen geworben. Die "Untere Au sei Lebensgefühl pur", stehe für die "nahezu perfekte Kombination aus urbanem Lifestyle, der Nähe zu Wasser und Natur, Tradition und Moderne." Bei so viel Pathos stört es freilich nicht, dass man sich hier keineswegs in der Au, sondern in Untergiesing befindet.


Sebastian Weisenburger, Grünen-Stadtrat und Untergiesinger BA-Chef, muss bei diesen Superlativen der Immobiliensprache beinahe schmunzeln. Mit Au-Haidhausen lasse sich eben mehr Geld machen, als mit Untergiesing, sagt er der AZ.

Das Thema ist aber freilich keines zum Lachen. Untergiesing sei seit Jahren einer zunehmenden Gentrifizierung ausgesetzt, so Weisenburger. Der BA und auch er persönlich stünden solchen Projekten daher sehr kritisch gegenüber. "Hier wird einfallslose Architektur mit offenkundiger Profitmaximierung kombiniert, ohne dass der Stadtbezirk etwas davon hat", sagt er.

Das Bauvorhaben in der Sommerstraße 47, das mit dem Penthouse, hatte der BA daher im November 2020 einstimmig abgelehnt. Bezirksausschüsse haben in solchen Angelegenheiten allerdings nur beratende Funktion, nicht jedes Bauvorhaben geht überhaupt über den Tisch der Viertelpolitiker.

Hätte man also Einflussmöglichkeiten gehabt, hier für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen? Der Großteil Untergiesings steht mittlerweile unter dem Schutz einer Erhaltungssatzung. Aber: Genau zwischen Claude-Lorrain-Straße, Untere Weidenstraße, Kühbachstraße und Pilgersheimer Straße klafft eine Lücke in dem Schutzgebiet.

Die Regelungen der Erhaltungssatzung beziehen sich vor allem auf Bestandsgebäude, doch würde hier eine Erhaltungssatzung gelten, hätte die Stadt ein Vorkaufsrecht auf den Grundstücken gehabt. Warum in dem Bereich keine Satzung gilt, kann der BA laut Weisenburger nicht nachvollziehen.

2021, als die Satzung zuletzt überprüft wurde, hatte sich der BA beim Planungsreferat einstimmig dafür ausgesprochen, den Umgriff zwischen Hans-Mielich-Platz, Schyrenbad, Unterer Weidenstraße und Birkenau "unbedingt" mit aufzunehmen, da "ganz offensichtlich ein großes Aufwertungspotenzial" gegeben sei, so der BA-Chef.

Das Planungsreferat sah das offenbar anders. Es erklärt auf AZ-Anfrage: Der Bereich sei mitgeprüft worden. "Aufgrund geringer Gentrifizierungsdynamik, sowie nicht hinreichender Verdrängungsgefahr," eignete er sich aber "nicht für die Aufnahme in das angrenzende Erhaltungssatzungsgebiet".

Diese Bewertung erfolge nach drei Kriterien - Aufwertungspotenzial des Gebäudebestandes, Gentrifizierungsdynamik und Verdrängungsgefahr der Bevölkerung. Für eine rechtssichere Satzung müssten alle erfüllt sein.

Dass hier nun auf nur wenigen Metern Straße in direkter Nachbarschaft gleich mehrere schicke Neubauprojekte mit teuren Wohnungen entstehen, dürfte manchem als Gegenbeweis zu der Einschätzung reichen.

Um das ganze Areal zu schützen, hätte die Stadt seit Sommer 2021 ein passenderes Instrument: den sektoralen Bebauungsplan. In einem Areal, in dem ein solcher gilt, kann die Stadt einen Prozentsatz an bezahlbarem Wohnraum vorschreiben.

Erst diese Woche hat der Stadtrat einen solchen für ein Areal an der Martin-Luther-, Kistler- und Weinbauernstraße in Obergiesing beschlossen. Hier müssen nun 40 Prozent geförderter Wohnraum entstehen.

Vielleicht ist das Gebiet um die südliche Sommerstraße ja der nächste Kandidat.