Bayern

Fast alle Räder stehen still: Wie die Münchner den großen Streik-Tag erlebt haben

Durch den Streik kommt der Nahverkehr am Montag fast komplett zum Erliegen. Lange Staus und Chaos bleiben trotzdem aus - so wie die Kunden in der Innenstadt.


Stephanie Mayr

Stephanie Mayr

Von Julia Wohlgeschaffen, Carmen Merckenschlager

München - Der Marienplatz ist fast leer. Der Himmel ist wolkenbedeckt, und nur ein paar einsame Touristen huschen über den Platz.

Kein Wunder, denn das Stadtzentrum ist an diesem Tag nur schwer zu erreichen. Der Grund: der 24-stündige "Megastreiktag" der Gewerkschaften Verdi und EVG. Für die Münchner bedeutet das am Montag also kein Zug, keine Tram und kaum ein Bus.

Wer dennoch in der Stadt weiterkommen will, hat nicht mehr viele Möglichkeiten. Option 1: auf dem Rad gegen Wind und Regen anstrampeln. Option 2: zu Fuß, mit Regenschirm durch die Kälte stapfen. Option 3: mit dem eigenen Pkw fahren oder mit viel Glück ein Taxi erwischen.

Offenbar entscheiden sich viele Münchner für die letzte Option, denn der Verkehr staut sich am Morgen vor 7 Uhr an mehreren Stellen auf dem Mittleren Ring, in der Stadt immer wieder Hupkonzerte. Zwischenzeitiger Stillstand also, für einen Montag aber auch nicht unbedingt ungewöhnlich. Dafür fahren morgens tatsächlich die ersten Busse durch die Stadt. Laut MVG sei jedes zweite Fahrzeug unterwegs. Infotafeln kündigen an, dass ab 15 Uhr die S-Bahn wieder fahren soll.

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Hana Fialová und Jan Hlavín mussten auf den Fernbus umsteigen.

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Hier geht noch was: der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB).

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Richard Antesberger (v.l.), Jaqueline Filipovic, Dieter Joszek, Heinrich Antesberger und Clemens Groß arbeiten als U-Bahnfahrer. Sie sind zufrieden mit dem Streiktag. Sie fordern: "Man muss von seinem Gehalt in München leben können!"

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Lydia verkauft Backwaren zwischen den Gleisen der U3 und U6 am Marienplatz. Gestern Vormittag kam kein einziger Kunde.

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Barista Peter Wirsching hat mittlerweile wenig Verständnis für die Streiks. Er rechnet mit 1000 Euro Umsatzeinbußen.

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Tobias Faul

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Matthew Kohli und Monelle Benjamin

"Wir sind kampfbereit und guter Dinge"

Lydia versucht es mit Humor zu nehmen. "Sonst wäre das schon sehr traurig heute", sagt sie. Sie verkauft Backwaren an einem Kiosk am Marienplatz direkt unten bei den U-Bahngleisen. Gegen 10 Uhr war noch kein einziger Kunde bei ihr. "Ich bin heute mit dem Taxi in die Stadt gefahren. Gegen 7 Uhr war ich hier, habe geputzt. Jetzt lese ich, weil niemand kommt", sagt die 32-Jährige.

Ganze vier Kunden hat Peter Wirsching (67) am späten Vormittag bedient. Er arbeitet als Barista in der Chocolaterie Beluga im Sperrengeschoss am Marienplatz. "Uns werden sicher so um die 1000 Euro Umsatz heute verloren gehen", spekuliert er. Langsam habe er kein Verständnis mehr für die Streiks.

"Die Frage ist: Was bringt's? Freilich sollen die Leute in den Kitas oder Altenheimen mehr verdienen. Aber das bisschen frisst die Inflation ohnehin auf", findet er.

Ganz anders sehen das wiederum die U-Bahnfahrer, die gestern Vormittag von der Kundgebung vom Stachus Richtung Marienplatz laufen. "Wir sind kampfbereit und guter Dinge", sagt Dieter Joszek (51). Er und seine Kollegen wollen zusammenhalten, denn: "Man muss von seinem Gehalt in München leben können", so Joszek. Sein Kollege Richard Antesberger ergänzt: "Viele haben eine falsche Vorstellung von unserem Job. Die denken, wir sitzen einfach den ganzen Tag da. Wir tragen eine große Verantwortung. Teils haben wir 1000 Leute hinten drin. Der Job ist anstrengend und anspruchsvoll!"

Wenn die Münchner nicht in den Öffis sitzen, wo sind sie? Wer kann, bleibt gestern wohl im Homeoffice. Laut Polizei war nur etwas mehr Verkehr auf den Straßen als an einem Nicht-Streiktag. Auch die Unfallzahlen seien kaum gestiegen. Auch an sonst gut frequentierten S-Bahnhöfen im Umland, etwa in Holzkirchen: alles wie leer gefegt.

Unterwegs waren also wirklich wenige, die Münchner haben sich vorbereitet. In der Innenstadt sind ein paar Rentner und Touristen unterwegs. "Es ist Chaos, aber einen Tag geht das schon", heißt es am Marienplatz. "Ich bin heute halt mit dem Radl unterwegs", heißt es am Sendlinger Tor.

Hendrik und Jatte schießen indes Fotos am Hauptbahnhof von den Anzeigetafeln bei den Gleisen. "Wir wollten heute zurück nach Dänemark. Jetzt hoffen wir, dass das morgen klappt", sagt er. Aber es helfe ja nichts. Es scheint, als würde es der Großteil gelassen nehmen.

Während der Marienplatz, der Bahnhof und die U-Bahnstationen lockdownähnlich leer gefegt sind, geht es am Zentralen Omnibus Bahnhof (ZOB) an der Hackerbrücke lebendiger zu. Hier tummeln sich einige wartende Busreisende an den 29 überdachten Terminals, vereinzelte grüne Flixbusse sind um 8 Uhr in der Früh auf der großen Busahnhofsfläche zu sehen. Immer wieder hält ein Taxi und entlässt einen voll beladenen Passagier an den Busbahnhof. In der Einkaufspassage des ZOB sitzen viele Reisende mit ihrem Gepäck auf dem Boden und warten.

Unter ihnen sind einige Reisende, die ursprünglich gar nicht den Bus nehmen wollten, denen jetzt aber nichts anderes übrig geblieben ist. Engelbert Pilshofer (58) ist auf dem Weg in seine Heimat, nach Salzburg. Eigentlich wollten er und seine Frau mit dem Zug nach Österreich fahren, sie hätten sich ein Bayern-Ticket gekauft. Aber der Streik macht ihnen einen Strich durch die Rechnung.

"Wir haben zum Glück noch die letzten beiden Plätze im Bus nach Salzburg bekommen", sagt er. Das Verständnis für den Streik hält sich bei ihm in Grenzen. "Ich finde ihn zu hart." Auch viele andere Busreisende erzählen der AZ, dass sie eigentlich mit dem Zug gefahren wären. Und eine junge Familie aus Tschechien würde jetzt eigentlich sogar im Flugzeug nach Prag sitzen. Doch Hana Fialová (33) und Jan Hlavín (34) geben sich gelassen: "So lange unsere Tochter zufrieden ist, sind wir's auch", sagt die Mutter.

Nachgefragt: Haben Sie Verständnis für den Streik?

Stephanie Mayr (39), Bühnenbildassistenz: "Ich habe Verständnis für den Streik. Die meisten können offensichtlich nicht von ihrem Gehalt leben. Dann muss sich etwas für sie ändern. Ich bin heute mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren - privat mache ich das in der Innenstadt immer. Beruflich bin ich oft mit dem Auto unterwegs. Doch momentan habe ich frei und ich verstehe, warum gestreikt wird."

Matthew Kohli (26), Geologe: "Durch den Streik entstehen uns Zusatzausgaben von über 1000 Euro, die wir sicher nicht zurückerstattet bekommen. Wir hängen in München fest, wollten heute nach London fliegen, müssen einen Bus nach Zürich nehmen und dann von dort aus nach London fliegen. " Monelle Benjamin (25) Krankenschwester: "Ich verstehe, dass gestreikt wird - doch uns trifft es hart."

Tobias Faul (31), Fachingenieur: "Aus solidarischen Gründen bin ich beim Streik dabei, weil es angemessen ist, dass auch Arbeitnehmer besser bezahlt werden. Eine gesellschaftliche Spaltung ist aufzuhalten. Ich bin heute mit dem Auto unterwegs und komme vom Ammersee in die Innenstadt. Ich hatte keinen Stau und habe volles Verständnis für den Streik."