Bernd Ohlmann (HBE)
Einzelhandel: Raus aus den Städten, rein ins Netz?
20. Februar 2019, 10:09 Uhr aktualisiert am 20. Februar 2019, 10:51 Uhr
Viele Hotels legen Wert auf eine Instagram-taugliche Aufmachung. Restaurants und Skigebiete sowieso. Wer im Urlaubsbereich nicht auch online zu finden ist, findet nicht statt.
Was aber bedeutet diese Entwicklung für den Einzelhandel in der Region? Muss auch der digital werden und, wenn ja, wie? Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverbands Bayern (HBE) sieht im Online-Marketing Chancen wie auch Risiken.
Herr Ohlmann, welche Bedeutung hat Online-Marketing für die Handelsunternehmen in Ostbayern?
Bernd Ohlmann: Das ist sehr unterschiedlich. Konsequent alle digitalen Kanäle bespielen natürlich die großen Handelsunternehmen. In Ostbayern gibt es vor allem viele mittelständische, inhabergeführte Familienbetriebe. Für die ist es aus Kostengründen und auch von der Manpower her oft gar nicht möglich. Für viele ist die eigene Homepage die einzige Online-Plattform. Der Verkauf über einen eigenen Webshop lohnt sich für die meisten nicht.
Es scheitert also oft an der Manpower. Wofür wird die im digitalen Bereich gebraucht?
Ohlmann: In Social Media muss alles sehr schnell bearbeitet werden. Wenn ich am Freitag eine Produktanfrage oder eine Beschwerde habe, und erst Mitte der darauffolgenden Woche jemand darauf antwortet, dann ist das kontraproduktiv. Da muss in einem Unternehmen jemand bestimmt und ermächtigt werden, sofort darauf zu antworten. Wenn das im Unternehmen erst mal über mehrere Instanzen geht, funktioniert diese Art des Kundenkontakts nicht.
80 Prozent der Einzelhändler verkaufen online
Gibt es Plattformen, die sich mehr "lohnen" als andere?
Ohlmann: Oft klappt es nur, einzelne Kanäle zu bespielen, die sollten die Unternehmer dann bewusst auswählen. Allen voran die Influencer-Plattform Instagram. Manche sind auf Pinterest oder auf SnapChat, immer mehr bespielen einen Newsletter per WhatsApp. Es gibt mittelständische Betriebe, die zigtausend Follower auf Instagram beziehungsweise Fans auf Facebook haben.
Bekommt der Einzelhandel hier auch Unterstützung von den Herstellern? Liefern die Werbekonzepte, die zum Beispiel besonders für Instagram taugen?
Ohlmann: Natürlich ist es eine Strategie der Hersteller von Produkten, mit Sondereditionen einen Hype zu erzeugen. Besonders im Bereich Schuhe und Klamotten ist das eine Strategie. Hier wird mit Sondermodellen viel Wirbel gemacht. Wenn das positiv in den Blogs vermerkt wird, ergibt das einen Dominio-Effekt. Auch Cross-Marketing ist ein Faktor, also, dass Hersteller gemeinsam etwas vermarkten. In dieser Liga können aber wirklich nur die großen Unternehmen mitspielen.
Bei Online-Werbung müssten die sogenannten "Impuls-Käufe" ja eigentlich auch digital passieren. Was sagen die Zahlen dazu?
Ohlmann: Wir haben 60.000 Einzelhandelsbetriebe in ganz Bayern - davon sind die meisten kleine Einzelhändler. 80 Prozent der Händler in der Region haben eine eigene Homepage, ein Drittel etwa verkauft online. Das heißt allerdings nicht, dass sie alle einen eigenen Webshop haben, sondern, dass sie über Marktplätze wie Ebay oder Amazon verkaufen.
Lesen Sie im zweiten unseres Interviews, warum in vielen Bekleidungsgeschäften in Tokyo sogar das Anprobieren digital funktioniert.
Virtuell anprobieren im digitalen Spiegel
Gibt es wirkliche Innovationen im Bereich Online-Verkauf in der Region?
Ohlmann: Im Bayerischen Wald gibt es zum Beispiel ein Hemdengeschäft, das es geschafft hat, die Ladentheke digital zu verlängern. Die haben aus der Not eine Tugend gemacht - die Not war, dass sie nur 400 Quadratmeter Ladenfläche haben. Dort passt bei weitem nicht das ganze Sortiment rein. Die meiste Ware ist also im Lager. Die Kunden allerdings können alle Modelle virtuell anprobieren, die Verkäufer zeigen die Ware, die gerade nicht im Laden ist mit einer entsprechenden Software auf dem iPad oder dem Laptop.
Das klingt schon ein bisschen nach "Augmented Reality"…
Ohlmann: Das kommt in großen Schritten. In Tokyo oder in Seoul ist es schon Gang und Gäbe, dass Teenies in Textilläden gehe und sich vor einen Spiegel stellen, der ihnen ein T-Shirt in bestimmten Farben "anprojiziert". Das T-Shirt wird per Computer auf das Spiegelbild des Kunden gerechnet. Das virtuelle T-Shirt, dass diese elektronischen Spiegel erzeugen, hat immer die richtige Größe, die Farbe kann man sich aussuchen. Gleichzeitig werden Fotos von der Anprobe gemacht, die werden gleich direkt per Social Media mit den Freunden geteilt, mit der Frage: "Welches T-Shirt steht mir am besten?". Wenn die Rückmeldungen, zum Beispiel aus Facebook, sagen, "das Blaue", dann wird das gekauft. So kann das auch laufen. Ich habe eine Bekannte aus Seoul. Wenn die nach München kommt, reibt sie sich die Augen über die WLAN-Versorgung bei uns. In der Beziehung ist das für sie hier tiefste Provinz.
"Da wird viel Geld verbrannt"
Werden also über kurz oder lang alle Händler den "Sprung in die Digitalisierung" machen müssen?
Ohlmann: Es wird immer Betriebe geben, die es nicht machen müssen, weil sie eben ihre Nische haben. Nehmen wir als Beispiel einen Schreibwarenhändler oder Spielwarenhändler in der Landshuter Innenstadt. Als ein alteingesessener Betrieb, der schon seit Kaufmannszeiten als Familienunternehmen am Ort ist, wird der immer Kunden haben, auch ohne die Digitalkanäle zu bespielen.
Deswegen warne ich auch manche Unternehmer davor. Agenturen nutzen manchmal die Unsicherheit bei vielen Handelsunternehmen aus. Sie machen verkaufen denen dann sehr bunte und vor allem sehr teure Konzepte für das Online-Marketing. Da wird sehr viel Geld verbrannt. Letztlich sagen aber alle Handelsexperten: Es kommt eine große Ernüchterung. Ich warne vor der Einstellung, solche Dinge blind zu kaufen, um auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Ich sage den Händlern: Wenn Deine Kunden online sind, dann musst auch Du dort sein. Sind Deine Kunden dort nicht, dann brauchst Du's nicht.