Bayern

Ein Museum für den Tod

Leichenpräparator Alfred Riepertinger hat Tausende Skelette und Organe gesammelt. Er hat sie der AZ gezeigt. Bald sollen alle sie sehen.


Alfred Riepertinger (68) hat im Keller der Pathologie am Klinik Schwabing Tausende Exponate gesammelt.

Alfred Riepertinger (68) hat im Keller der Pathologie am Klinik Schwabing Tausende Exponate gesammelt.

Von Christina Hertel

Alfred Riepertinger weiß, dass die Toten viel erzählen können. Er arbeitet seit 45 Jahren als Präparator in der Pathologie im Schwabinger Klinikum. Sein Job ist, Leichen wieder so herzustellen, dass man ihnen den Tod nicht mehr ansieht. Riepertinger hat Tausende Tote einbalsamiert und obduziert - darunter Promis wie Franz Josef Strauß und Rudolph Moshammer.

Momentan befinde er sich im "Unruhe-Stand", so drückt es der 68-Jährige aus. Er arbeitet weiterhin ein paar Stunden in der Woche in der Pathologie. Die AZ hat er eingeladen, um von seiner Vision zu erzählen: Er will in dem mehr als 100 Jahre alten Institutsgebäude ein Museum aufbauen, genauer gesagt: das "Siegfried Oberndorfer Museum für historische Pathologie".

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In dem Obduktionssaal werden Serien wie der "Tatort" gedreht. Riepertinger will ihn unbedingt erhalten.

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So soll das Gesicht des Riesen vom Tegernsee ausgesehen haben.

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In dem Saal könnten viele Veranstaltungen stattfinden, erklärt Riepertinger der AZ-Reporterin Christina Hertel.

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Der Keller der Pathologie ist voller Exponate. Riepertinger wünscht sich deshalb ein Museumskonzept.

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Dieses 582 Gramm schwere Haarknäuel wurde aus dem Bauch einer Zwölfjährigen entfernt.

Oberndorfer gründete 1910 die Präparate-Sammlung, erklärt Riepertinger in seinem Büro. In einer Ecke steht ein bräunliches Skelett aus König Ludwigs Zeiten. In einer Vitrine liegen Schädel. Dann sind da noch alte Mikroskope, Fotokameras so groß wie ein Kind, Waagen, Fläschchen und ein kleines Krokodil.

Riepertinger fing 1975 als Zivi in der Pathologie an und wurde zwei Jahre später als medizinischer Präparator eingestellt. Eigentlich ist er gelernter Werkzeugmacher. "Aber sie haben wohl mein Talent erkannt", meint er. Welche Talente braucht man denn als Leichen-Präparator? "Man muss schlechte Gerüche ertragen können. Man braucht handwerkliches Geschick. Und professionelle Distanz zu den Verstorbenen, ohne abgebrüht zu sein", zählt Riepertinger auf.

Wenn er erzählt, wie eine Einbalsamierung funktioniert, klingt er nicht anders als ein Mechaniker, der erklärt, wie ein Ölwechsel abläuft: Das Blut wird abgepumpt und durch eine chemische Substanz ersetzt, die die Fäulnis stoppt. "Man injiziert sechs bis sieben Liter über die Beinarterie, dann härtet das Gewebe aus. Und dann öffnet man den Bauchraum und streut eine Gewürzmischung hinein: Pfefferminzblätter, Thymian, Lavendel, ein malaysisches Pfeffergewürz und Nelken, damit der Leichnam angenehm riecht. Kann man auch zum Kochen verwenden", sagt Riepertinger. Mindestens ein Vierteljahr werde damit hinausgezögert, dass der Leichnam zu faulen beginnt.

Ungefähr 1000 Leichen hat Riepertinger im Laufe der Zeit einbalsamiert. "Es ist egal, ob es die Frau Huber ist oder eine Person des öffentlichen Lebens - im Tod sind alle gleich", meint er.

Riepertinger ist davon überzeugt: Seine Arbeit ist wichtig, damit sich Angehörige noch einmal verabschieden können - und nicht nur vor einem verschlossenen Sarg stehen. Zum Beispiel rekonstruierte er die beiden Mädchen, die vor gut zehn Jahren von ihrem Onkel in Krailling erstochen und mit einer Hantelstange erschlagen wurden.

Doch immer weniger Tote werden professionell einbalsamiert. "Viele verabschieden sich heute nicht mehr von den Toten. Die meisten sterben in Kliniken und Heimen", meint Riepertinger. Er klingt darüber nicht begeistert.

Der 68-Jährige will das Wissen, das er über den Tod sammelte, teilen. Dafür führt er in den Keller der Schwabinger Pathologie. Dort liegen in Vitrinen Organe und Knochen, manche mehr als 100 Jahre alt.

Da ist ein "Bier-Herz" aus dem 19. Jahrhundert, 1144 Gramm schwer, etwa viermal so viel wie ein normales Herz. Es wuchs so stark, weil der Mann, dem es gehörte, wohl um die 15 bis 20 Liter Bier pro Tag trank. So erklärt es Riepertinger.

Er zeigt eine verformte Leber von einer Frau, die ihr Korsett stets zu eng schnürte. Er zeigt ein halbes Kilo schweres Haarknäuel, das einem Mädchen aus dem Bauch geschnitten wurde, das nicht aufhören konnte, seine Haare zu essen.

Und er zeigt: das Skelett von Joseph Huber, genannt "Finessensepperl". Er lebte von 1763 bis 1829 in München. "Er war nur 1,50 Meter groß, und ein kleines Schlitzohr", sagt Riepertinger. "In München hat er Liebesbriefe verteilt." Unterm Karlstor am Stachus hängt eine Plastik von ihm.

Gleich neben dem kleinsten Skelett steht das des vielleicht größten Mannes, der je in Bayern gelebt hat: Thomas Hasler, der Riese vom Tegernsee, 2,35 Meter groß, gestorben 1829.

Um die 3000 Exponate besitze er insgesamt, sagt Riepertinger. Viele bekam er von anderen Kliniken geschenkt. "Ich weiß: Hier unten ist alles viel zu voll." Er wünscht sich, dass die Stadt ein Konzept für ein medizinhistorisches Museum ausarbeiten lässt - und zwar am besten möglichst bald.

Denn Riepertinger weiß, dass die Pathologie in Schwabing schließen soll. Wann genau, stehe noch nicht fest. Dann jedenfalls sei wieder die Stadt München als Eigentümerin für das Gebäude zuständig, erklärt Riepertinger. Im Idealfall würde ein Konzept dann bereits vorliegen. Ohne Museum würden seine historischen Exponate verloren gehen, glaubt er.

Bereits 2016 beantragte der Bezirksausschuss Schwabing-West, ein Museum einzurichten. Doch im Stadtrat ist das Thema bisher nur in der Opposition so richtig angekommen. CSU und FDP stellten Anträge. Die Verwaltung hat sie allerdings noch nicht bearbeitet.

Jetzt macht die CSUlerin Beatrix Burkhardt einen neuen Vorstoß. In einem Antrag fordert sie, dass der Stadtrat mit der Klinik sowie mit dem Bau- und Gesundheitsreferat über das Museum berät.

"Es wäre doch unendlich schade, wenn wir dieses Wissen einfach wegschmeißen würden", meint Burkhardt. Sie weiß zwar, dass ein neues Museum Geld kostet, dass die Kassen der Stadt leerer und die Liste der Vorhaben immer länger wird. Aber sie findet: "Wir sollten es zumindest versuchen. Ich wünsche mir, dass das Museum zum Kult wird."